Als in der Nacht zum 21. März im fernen Island nach fast 200 Jahren ein Vulkan am Eyjafjallajökull-Gletscher ausbrach, konnte Mallorcas Tourismusbranche noch nicht ahnen, was auf sie zukam. Der Vulkan stieß Unmengen Dampf und Asche aus, eine ungünstige Wetterlage tat ihr Übriges: Von Donnerstag (16.4.) an fielen wegen der sich in Europa ausbreitenden Aschewolke allmählich immer mehr Mallorca-Flüge aus – bis der Flughafen Son Sant Joan am Sonntag kurzzeitig ganz schließen musste.

Die Aschewolke ist inzwischen abgezogen, der reguläre Flugbetrieb kommt seit Dienstag und Mittwoch wieder in Gang. Doch der Schaden, den die Aschewolke für die Tourismusindustrie speziell auf Mallorca bedeutet, kann erst allmählich abgeschätzt werden: Ausgefallene Flüge, gestrandete Urlauber, auf dem Festland sitzengebliebene Mallorquiner, Absagen für Tagungen und Events wie Hochzeiten, Umsatzeinbußen für Gastronomen, Einzelhändler und Taxifahrer, nicht zu vergessen die Stornierungen und die Ungewissheit über die Buchungen in den kommenden Wochen – all das lastet auf der Tourismusbranche der Insel, die sich eigentlich von der Wirtschaftskrise erholen sollte.

Der spanische Luftraum war zwar nur wenige Stunden am Sonntag gesperrt – doch tagelang fielen sämtliche Verbindungen mit Städten in Mallorcas wichtigsten Quellmärkten Deutschland und Großbritannien aus. Die Zahl der gestrichenen Flüge mit Ziel- oder Abflughafen auf den Balearen stieg von 54 am Donnerstag auf 229 am Freitag und 288 am Samstag. Am Sonntag blinkte auf den Anzeigetafeln der balearischen Airports schließlich bei 435 von 479 Flügen cancelado. Am Montag sank die Zahl auf 202 am Dienstag auf 130. Der Luftraum über Deutschland blieb zwar bis Mittwochmorgen gesperrt, doch vor allem Air Berlin startete mit Sondergenehmigungen sogenannte kontrollierte Sichtflüge unterhalb einer Höhe von 3.000 Metern. Innerhalb einer Woche fielen insgesamt über 500 Flüge zwischen Palma und Städten in Deutschland aus.

Die großen Reiseveranstalter standen nicht nur vor dem Problem, Flugreisen absagen zu müssen – die auf Mallorca gestrandeten Urlauber mussten auch zurück. „Es war die größte Rückholaktion in der Geschichte des Unternehmens", sagt Christian Wessels, Sprecher von Rewe Touristik (u.a. ITS, Jahn Reisen und Tjaereborg). Insgesamt rund 1.500 Urlauber mussten von der Insel geholt werden. Als die Situation noch nicht abzusehen gewesen sei, habe man Touristen mit der Fähre nach Barcelona gebracht und von dort mit insgesamt 59 Bussen weiter nach Mannheim. Schließlich charterte das Unternehmen noch 30 Jets. „Am Dienstagabend waren 90 Prozent der Urlauber wieder zu Hause", sagt Wessels.

Die Tui, Deutschlands größter Reiseveranstalter, hatte sogar mit 6.000 auf Mallorca gestrandeten Urlaubern zu kämpfen. Für sie sei am Sonntag und Montag eine Luftbrücke nach Barcelona eingerichtet worden, sagt Tui-Sprecher Michael Blum, von dort ging es mit insgesamt 24 Bussen nach Deutschland – wobei die Besatzung jeweils aus einem Reiseleiter und drei Fahrern bestand, um möglichst ohne Unterbrechung fahren zu können.

Die Kosten für die Aktionen sind noch kaum abzuschätzen. Übernachtungen, Transport, Personal – „viele unserer Mitarbeiter haben seit Freitag nur noch vier oder fünf Stunden geschlafen", sagt Stefan Suska, Sprecher von Alltours. Der Schaden belaufe sich auf eine Summe im „mittleren sechsstelligen Bereich". Der Reiseveranstalter hatte knapp 3.000 Urlauber auf Mallorca.

Bei Thomas Cook verweist Sprecherin Nina Kreke darauf, dass auch am Mittwoch noch nicht alle Urlauber nach Hause gebracht werden konnten. Die regulären Condor-Maschinen reichten nicht aus, und zusätzliche Chartermaschinen seien derzeit ein heißbegehrtes Gut. Bis Donnerstagmittag wurden schließlich sieben Sonderflüge organisiert. Die betroffenen Urlauber zeigten jedoch viel Verständnis.

Von den Gästen, die unfreiwillig weiter urlaubten, konnte auf Mallorca kaum jemand profitieren – gleichzeitig blieben neue Urlauber aus, und die Gestrandeten zeigten wenig Konsumfreude. „Wer eigentlich schon wieder an seinem Arbeitsplatz sein müsste, hat wenig Lust, ins Restaurant zu gehen und sich eine schöne Zeit zu machen", sagt Juan Cabrera, Vorsitzender der Vereinigung kleiner und mittlerer Unternehmen (Pimem) auf Mallorca. Er beziffert die Zahl ausgebliebener Restaurantgäste mit rund 2.000.

Viele Urlauber standen in Warteschlagen oder saßen auf gepackten Koffern – und einige wurden auch aufgefordert, im Hotel zu bleiben. „Sie gehen nicht essen, sie kaufen nichts, mancherorts sieht man mehr Angestellte als Urlauber", klagt José Tirado, Sprecher der Vereinigung der Tourismus-Unternehmer (Acotur). Hinzu komme, dass viele Touristen offenbar ihr Urlaubsbudget schon aufgebracht hatten. Die entgangenen Einnahmen der balearischen Tourismusbranche sind zwar noch nicht zu beziffern. Die Zeitung „El Mundo" kommt jedoch in einer Hochrechnung auf 12 Millionen Euro pro Tag.

Nicht mehr wiedergutzumachen sei der Schaden durch abgesagte Kongresse und Tagungen, sagt Cabrera. So fiel unter anderem eine Großmärkte-Fachtagung ins Wasser. Der Branchensprecher beziffert die Zahl ausgebliebener Tagungsgäste mit 1.800 bis 2.000. „So einen Kongress bereitet man nicht in einem Monat vor, diese Einnahmen sind verloren." Die Aschewolke überschatte die Balearen-Wirtschaft ausgerechnet zum Zeitpunkt der mühsamen Erholung von der Wirtschaftskrise – und die Urlauber würden sich in den kommenden Tagen sehr genau überlegen, ob sie ein Flugzeug bestiegen, gibt Cabrera zu bedenken. Viele Hoteliers hätten bereits beschlossen, ihre Häuser nicht wie geplant Mitte April zu öffnen, sondern erst einige Wochen später, heißt es bei Mallorcas Hoteliersvereinigung. „Für diese Saison auf Mallorca wird es definitiv Auswirkungen geben", sagt auch Álvaro Middelmann, Spanien-Chef der Fluggesellschaft Air Berlin.

Angesichts der Unwägbarkeiten will die balearische Landesregierung mit einer Marketing-Kampagne gegensteuern. Die Pläne habe man schon länger gehabt, und beim Krisentreffen mit Unternehmensvertretern am Dienstag sowie im eingerichteten Krisenstab habe sich erneut die Dringlichkeit für ein solches langfristiges Projekt gezeigt, erklärt Vicente Torres, verantwortlich für Tourismuswerbung im balearischen Tourismusministerium. Der Plan: Umfragen in Deutschland und Großbritannien sollen erkunden, wie Urlauber über das Flugchaos und die Folgen denken. Zudem sollen ihre Bedenken bei einem langfristig angelegten PR-Projekt ausgeräumt werden.

Nach Meinung der Reiseveranstalter ist da allerdings nicht viel Überzeugungsarbeit nötig. „Warum sollte jemand, der sich für Mallorca entschieden hat, seine Reise jetzt abblasen?", fragt Blum von der Tui. „Dafür gibt es keinen Grund." Wessels von Rewe Touristik berichtet, dass schon am Dienstag 75 Prozent der Urlauber planmäßig in die Ferien gestartet seien – obwohl man sie erst am Montag spätabends angerufen habe. Und bei Alltours hat man sogar beobachtet, dass zum Höhepunkt der Krise die Buchungszahlen nach oben gingen, wie Suska berichtet. „Die Eruption war heftig, aber im Gegensatz zum 11. September haben die Menschen keine Angst, ins Flugzeug zu steigen."

Natürlich habe es Stornierungen gegeben, räumt Torres vom Tourismusministerium ein. Diese beschränkten sich jedoch auf den Zeitraum der Asche-Krise – die Tendenz der Sommer-Buchungen sei nicht betroffen. Torres betont zudem, dass Mallorca den Stress-Test mit Bravour bestanden habe. Man habe die Zahl der Fähren aufgestockt, Zwischenfälle vermieden und zusammen an einem Strang gezogen. „Wir haben das besser gemeistert als viele andere Länder und unsere Professionalität unter Beweis gestellt." Letztendlich habe man es mit einem Naturphänomen zu tun, für das Mallorca nichts könne: „Wir haben hier keinen Vulkan."