Zum Teil bizarre Spionageskandale haben schon in den vergangenen Jahren die Öffentlichkeit in Spanien bewegt. Der jüngste Fall setzt nun die linke Minderheitsregierung von Pedro Sánchez mächtig unter Druck – und könnte sogar das Scheitern der wirtschaftlichen Hilfsmaßnahmen für den Krieg in der Ukraine zur Folge haben.

Der spanische Geheimdienst (CNI) soll die Handys von 65 Personen im Umfeld der katalanischen Separatisten und einiger baskischer Nationalisten abgehört haben. Betroffen sind Politiker, darunter die vier letzten Ministerpräsidenten Kataloniens, aber auch deren Anwälte und sogar Familienangehörige. Das CNI hat mutmaßlich die israelische Spionagesoftware Pegasus erworben, mit der man Mobiltelefone infiltrieren und damit deren Inhalte einsehen kann. Pegasus wird nur an Regierungen verkauft und hat bereits in anderen Ländern für Aufruhr gesorgt. Der Fall in Spanien geht auf eine Untersuchung des Citizen Lab der Universität Toronto zurück, über die das US-Magazin „The New Yorker“ berichtete.

Die Überwachung fand von 2018 bis 2020 statt, im Zuge des illegalen Referendums und der folgenden Unabhängigkeitserklärung im katalanischen Parlament. Die heutige Regierung Kataloniens hat aus Protest gegen den Skandal ihre Beziehungen mit Madrid auf ein Minimum beschränkt. Die separatistischen Parteien drohen Sánchez mit dem Entzug ihrer Unterstützung im Spanien-Parlament.

Regierung will sich nicht äußern

Die Regierung wollte sich offiziell nicht zu den Vorwürfen gegen das CNI äußern. Das verbiete das Gesetz aus Sicherheitsgründen ausdrücklich. Doch darin sehen viele den Kern des Problems, nämlich die demokratische Kontrolle des CNI. Mehrere spanische Medien zitierten anonyme Quellen des Geheimdienstes damit, dass dieser tatsächlich das Pegasus- Programm erworben und eingesetzt habe. Das Abhören sei mit der vorgeschriebenen richterlichen Erlaubnis geschehen, es seien nur private Handys gehackt worden. Die Betroffenen bestritten diese durch die Medien kolportierte Version. In vielen Fällen handle es sich um Diensthandys, auf denen die Spuren des Hackens nachgewiesen werden konnten.

Nicht nur die regionalen Nationalisten aus Katalonien und dem Baskenland sind wegen des Abhörskandals reichlich empört. Auch der Koalitionspartner der Sozialisten, das Linksbündnis Unidas Podemos, verlangt schonungslose Aufklärung. „Wir werden Rechenschaft ablegen“, versprach Premier Sánchez in der wöchentlichen Fragestunde im Unterhaus am Mittwoch (27.4.). Der Sozialist unterstrich jedoch, dass alles, was das CNI getan habe, genauestens dem Gesetz entspreche.

Drei Maßnahmen angekündigt

Die Regierung hat drei Maßnahmen angekündigt. Das CNI soll eine interne Untersuchung der Vorwürfe einleiten – eine in den Augen der Betroffenen und Kritiker jedoch unglaubwürdige Maßnahme. Der spanische Ombudsman, der Sozialist Ángel Gabilondo, soll der Sache ebenfalls nachgehen. Und drittens wurde im Unterhaus in Windeseile der Ausschuss zur Kontrolle der Geheimdienste konstituiert. Diese Kommission war seit Beginn der Legislaturperiode Ende 2019 blockiert.

Die konservative PP und die liberalen Ciudadanos wollten die Parlamentarier der Separatisten nicht dabeihaben, während sich die Linken dagegen sträubten, dass die rechtsextreme Vox im Ausschuss sitzt und somit ebenfalls Zugang zu hochsensiblen Informationen erhalten würde. Angesichts des „Catalangate“, wie der Fall in manchen Medien getauft wurde, änderte der von den Regierungsparteien dominierte Vorsitz des Parlaments kurzerhand die Regeln. Für die Ernennung der Mitglieder des Ausschusses ist nur noch eine absolute Mehrheit notwendig und nicht mehr eine von drei Fünfteln der Sitze wie bisher. Die rechten Parteien bezichtigten Sánchez postwendend, die Sicherheit des Landes aus machtpolitischen Interessen aufs Spiel zu setzen.

Verteidigungsministerin unter Beschuss

Unter besonders starkem Beschuss in der Affäre steht die sozialistische Verteidigungsministerin Margarita Robles, der das CNI unterstellt ist. Die frühere Richterin warf den Separatisten am Mittwoch im Parlament vor, eine Opferrolle einzunehmen. „Was soll ein Staat oder eine Regierung denn machen, wenn jemand die Verfassung bricht und die Unabhängigkeit erklärt?“, fragte Robles. Gegen die Politikerin wurden inzwischen Rücktrittsforderungen laut.

Den katalanischen Separatisten reichen die Versprechen zur Aufklärung nicht aus. Ebenfalls am Mittwoch beschloss das Parlament in Barcelona, den Pegasus-Fall vor Gericht zu bringen. Bei der Abstimmung schlossen sich auch die katalanischen Ableger von Sozialisten und Unidas Podemos den nationalistischen Parteien an, während PP, Ciudadanos und Vox dagegen stimmten.

Zustimmung zum Krisenhilfspaket unsicher

Während sich die Aufklärung in den verschiedenen Instanzen wohl lange hinziehen dürfte, ergeben sich für die Regierung unmittelbare Konsequenzen. Die Republikanische Linke Kataloniens (ERC) drohte damit, die notwendige Zustimmung ihrer 13 Abgeordneten in Madrid zum Krisenhilfspaket zu verweigern. Die Maßnahmen, mit denen wirtschaftliche Folgen des Ukraine-Krieges wie der massive Anstieg der Energiepreise abgefedert werden sollen, wurden von der Regierung als Eildekret in Kraft gesetzt. Sie bedürfen aber der Zustimmung im Unterhaus am Donnerstag (28.4.). Sánchez bat vorsichtshalber die Konservativen „formell“ um deren Stimmen, damit die Maßnahmen bestehen bleiben.