Herr Maffay, Ihre Biografie beleuchtet sechs Jahrzehnte Ihres Lebens. Über welchen Lebensabschnitt sprechen Sie am liebsten?

Irgendein Typ hat mir mal einen Spruch gesagt, der mir gut gefällt: Wir sind wie Autofahrer, wir gucken nach vorne.

Was bedeutet Ihnen Ihr 60. Geburtstag?

Erdgeschichtlich gesehen ist er nichts Besonderes. Auch viele andere Menschen werden 60.

Aber über die meisten wird kein Buch geschrieben.

Das ist natürlich ein Privileg, dass man so viel Aufmerksamkeit bekommt, dass jemand ein Buch über dich schreiben will. Aber im Vergleich zu anderen Menschen der Zeitgeschichte ist meine kleine Bio­grafie eine unter Tausenden. Ich brauche nur meinem Vater zuzuhören, was der alles erlebt hat. Da weiß ich, dass ich ziemlich klein dastehe.

Ein Zitat aus Ihrem Buch: ´Ich wünsche mir, eine Frau wirklich zu lieben. Aber es hält mich davon ab, meine Ziele zu erreichen.´ Sind Ihre drei ersten Ehen an Ihrem Job gescheitert?

Jeder Kompromiss ist eigentlich ein Umweg, weil der Egoismus den direktesten Weg bestimmt. Ein Boxer, der in den Ring geht, kann nur sagen: Ich will. Der gibt sich nicht mit einem Kompromiss zufrieden, sondern ist ganz eindeutig auf K.o. aus. Irgendwann zwingt das Leben jeden von uns, den direktesten Weg zu suchen. In Beziehungen sitzen zwei im Boot und rudern. Das muss man erst synchronisieren, sonst dreht sich das Ding im Kreis. Die Kompromisslosigkeit meines Berufs ist Gift für Beziehungen. Die Leistung muss im letzten Konzert, beim letzten Ton genauso da sein wie beim ersten. Wenn ich mich einmal verpflichtet habe für 60 Konzerte, dann interessiert es draußen niemanden, wie ich das hinkriege.

Haben Sie nie daran gedacht, für die Familie alles aufzugeben?

Der Mist ist, dass mir nichts Besseres eingefallen ist. Mir gefällt das ja. Ich stehe da total drauf. Das ist ein wenig die Schere im Kopf: Auf der einen Seite will ich Harmonie und möchte, dass Leute sich in meiner Umgebung wohl fühlen. Aber wo gehobelt wird, fallen eben auch Späne.

Was hat Sie angetrieben: das Streben nach Anerkennung?

Der Wunsch, etwas richtig zu machen, ist bei vielen von uns genetisch vorgegeben. Wir kommen mit diesem Instinkt auf die Welt.

Mussten Sie wegen Ihrer rumänischen Herkunft härter kämpfen als Gleichaltrige?

Die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Umstände prägen. Jemand, der in der Bronx aufwächst, entwickelt sich anders, als einer, der in einer wohlsituierten bürgerlichen Familie groß wird. Es macht einen Unterschied, ob du ethnisch diskriminiert wirst oder zu einer akzeptierten Elite gehörst. Da entwickeln sich deine Killerinstinkte.

Ihr Biograf schreibt: Maffay ist ein Sicherheitsfanatiker. Er weiß, wo er herkommt. Was meint er damit?

Ich mag vor allem eines: Konti­nuität. Ich versuche, Dinge so weit wie möglich zu beeinflussen. Als ich irgendwann von einem eigenen Tonstudio sprach, haben alle gesagt: Jetzt hat er sie nicht mehr alle, ein Studio kann man sich doch mieten. Da habe ich gesagt: Klar, das kann man. Aber einen Schlüssel zu einer Tür zu besitzen und selbst entscheiden zu können, wann man dadurch geht, hat eine andere Qualität.

Sie haben in Ihrem Leben auch über die Stränge geschlagen, zwei Flaschen Whiskey am Tag, Zigaretten ohne Ende...

Das war der größte Schwachsinn, den ich mir im Leben erlaubt habe. So viel Dummheit auf einem Haufen ist schwer auszuhalten. Die Leute haben mich gefragt: Musst du so viel rauchen? Du hast doch gerade eine ausgemacht, und am Klo brennt immer noch eine. Ich habe gesagt: Bleibt mir mit solchen dämlichen Fragen vom Leibe. Ich weiß, was ich tue. Aber ich wusste es eben nicht.

Dann kam Anfang der 90er die Diagnose: Verdacht auf Lungenkrebs.

Mir war das Herz in die Hose gerutscht. Das war einfach ein bisschen früh, um die Löffel abzugeben. Und dann habe ich mir gesagt, wenn ­diese Kelle an mir vorbeigeht, könnte man ja wirklich gesünder leben.

Sind Sie ein gläubiger Mensch?

Man hat versucht, mich atheistisch zu erziehen. Das hat nicht geklappt. Ich gehe in die Kirche, ich habe eine Kapelle gebaut und einen überschaubaren Hang zur Spiritualität. Ich bin kein Heiliger. Aber es gibt eine Dimension, und die heißt Glaube. Die Kapelle ist ein guter Ort, sich zu besinnen. Es könnte aber auch ein Baum sein. Ich habe auch einen ­Buddha auf meinem Grundstück. Manch einer fragt sich: Wie geht das? Ich glaube, wir haben alle den gleichen Gott. Und wie der aussieht, ist doch egal. Ich bin nicht an irgendeine Religion gebunden. Aber ich glaube, dass wir im Leben Hilfestellungen brauchen, weil wir so unzulänglich sind und immer an unsere Grenzen stoßen. Deshalb glauben wir an etwas Höheres.

Wie leben Sie Ihren Glauben?

Wenn Sie mich jetzt fragen würden, was in der Bibel wo geschrieben steht, könnte ich Ihnen nichts sagen. Aber in meiner Kapelle liegt eine Bibel. Und wer Lust hat, darin zu blättern, der kann das gerne tun.

In der Kapelle steht auch die Urne Ihrer Mutter. Im Buch wird Ihre Mutter so beschrieben: lebensfroh und traurig, cholerisch und irrational. Sehen Sie da Parallelen zu sich?

(lacht) Absolut. Mein Vater behauptet, dass ich von meiner Mutter unheimlich viel mitbekommen habe. Diese Impulsivität. Wenn ich etwas nicht will, mache ich das gleich deutlich. Die Kantigkeit ist ja auch gleichzeitig ein Schutzmantel für ein empfindliches Inneres.

Udo Lindenberg und Heinz-Rudolf Kunze haben Sie zu Beginn als Schlagerfuzzi abgetan. Heute sind Sie befreundet. Können Sie leicht verzeihen?

Es kommt drauf an. Ich bin kein Elefant, der sich alles merkt. Aber wenn mir einer richtig schräg gekommen ist, muss er schon vorsichtig sein. Das hole ich irgendwann mal raus. Man muss die Dinge aber auch auf sich beruhen lassen können. Denn wenn du dir in deinen Rucksack pausenlos solche Dinge lädst, brichst du irgendwann mal unter der Last zusammen.

Was ist für Sie unverzeihlich?

Wenn einer bescheißt. Das geht überhaupt nicht.

´Intrigen und Falschheit machen mich cholerisch´, steht in Ihrer Biografie. Woran merken Sie, dass es jemand gut mit Ihnen meint?

Wenn einer auf mich zukommt, dann erkenne ich an seiner Körpersprache schon ziemlich viel.

Haben Sie sich oft getäuscht?

Ja, klar. Manchmal habe ich gedacht: Mensch, was ist das denn für ein Vollidiot. Später habe ich dann feststellen müssen: Der einzige Vollidiot war ich.

Ein Satz in Ihrem Buch zu einer früheren Lebensphase lautet: ´Ich muss reisen, um den Kopf frei zu bekommen.´ Hat Sie die Geburt Ihres Sohnes sesshaft gemacht?

Es gibt kaum etwas, was mehr öffnet als eine Reise. Ein noch so tolles Buch kann nicht ersetzen, was du unterwegs siehst. Dabei habe ich viel zu wenig gelesen in meinem Leben. Ich habe einfach nie die Kultur des Lesens praktiziert. Wenn ich Zeit hatte, mich ein wenig zurückzuziehen, habe ich mir lieber eine Gitarre genommen. Es gab Zeiten, da habe ich zwei, drei weite Reisen im Jahr gemacht. Das war sehr inspirierend. Jetzt sind meine Reisen kürzer. Ich fahr mit dem Fahrrad runter ins Dorf (zeigt auf sein Mountainbike, das an der Hauswand steht). Das sind nur fünf Kilometer, aber die Abenteuer sind genauso spannend. Wenn ich morgens in der Bar Español sitze, studiere ich, was um mich herum passiert.

Haben Sie in letzter Zeit Angst um die Insel gehabt?

Ich habe zwischendurch die Schnauze voll gehabt in Anbetracht des Schindluders, der hier auf der Insel mit der Natur getrieben worden ist. Wir verspielen hier eine Qualität, die uns einmal ausgezeichnet hat im Vergleich zu anderen Orten. Wir müssen zusehen, wie die Insel verbaut und versiegelt wird und sich wenige die Taschen vollstopfen. Wir erlauben uns eine Korruption, die ohne Beispiel ist, Lobbyismus ohne Ende. Das ist eklatant.

Sollten sich die Ausländer in die Inselpolitik einmischen?

Wer ist wo Ausländer? Wir leben hier, sind den hiesigen Gesetzen unterworfen und respektieren die Gesellschaft, die auch uns zu res­pektieren hat. Wir sind ein Teil von Europa. Wenn wir hier nicht unsere Meinung sagen, sind wir Duckmäuser und nicht wirklich ein Teil der Gesellschaft. Leute, die herkommen, um die Klappe zu halten, leisten nichts für diese Gesellschaft. Mein Sohn geht hier in die Schule und er wird Mallorquiner sein und diese Gesellschaft eines Tages mitprägen, mehr noch als sein Vater.

Finden Sie es gut, dass Ihr Sohn in der öffentlichen Schule nur auf Katalanisch unterrichtet wird?

Eine Kultur sollte man nicht versanden lassen, die katalanische Sprache ist sehr reich. Aber sie sollte nicht zu einem Dogma werden. Es wäre ziemlich befremdlich, wenn der Freistaat Bayern plötzlich Bayerisch zur Amtssprache machte. Jetzt muss mir kein Linguist kommen und verklickern, dass Bayerisch und Katalanisch nicht vergleichbar sind, weil das eine eine Sprache und das andere ein Dialekt ist. Ich meine einfach, dass diese Form der Begrenzung mit einer gewissen Machtausübung verbunden ist, die nicht Zielsetzung einer modernen Gesellschaft sein kann. Separatismus führt zu einer Radikalisierung der Gesellschaft und nicht zu einer übergeordneten kosmopolitischen Sichtweise. 80 Prozent meiner Freunde hier sind Mallorquiner. Viele arbeiten für mich. Ich vertraue ihnen meine Familie, meinen Besitz an. Deshalb wäre ich traurig, wenn die Dinge sich hier eines Tages so negativ entwickelten, dass ich sagen müsste: Das muss ich nicht mehr haben. So festgenagelt bin ich hier nicht.

Würden Sie wirklich weggehen?

Ich habe Rumänien verlassen, wenngleich diesen Prozess meine Eltern bestimmt haben, weil ich zu jung war. Ich bin aus Kanada weggegangen, das ein sehr großzügiges freies Land ist (Maffay besaß dort eine Ranch; Anm.d Red.). Ich würde aus Deutschland wegziehen, wenn sich die Verhältnisse dort veränderten, und ich würde auch hier weggehen.

In der Printausgabe lesen Sie außerdem:

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- Gibt's ein Mallorca-Baby für Sandy und Olli?