An diesem Freitagmorgen in ­Portocolom herrscht schon um 9 Uhr morgens eine schwüle Hitze, die Gedanken und Schritte lähmt. Der Himmel ist nicht so blau wie sonst oft auf Mallorca, sondern von weißem Dunst verhangen. Immerhin gibt die Terrasse der Bar Mestral den Blick auf den Naturhafen an der Südostküste der Insel frei. Dort liegt das Boot von Hilde Grünewald. Die Deutsche ist nicht nur eine erfahrene Seglerin, sie lebt auch das ganze Jahr über auf ihrem Boot – und sie wird bald 90 Jahre alt.

„Damit ist sie wohl in ganz Europa die einzige Frau, die in diesem Alter alleine auf einem Schiff wohnt", meint Günter Zankl (69). Der Österreicher aus Kitzingen verbringt, ebenfalls im Hafen von ­Portocolom, jedes Jahr den Frühsommer auf seinem Boot und kennt Grünewald seit Jahren. Ihren außergewöhn­lichen Lebensstil im hohen Alter fand er so bemerkenswert, dass er der Mallorca Zeitung Bescheid gab und einen Interviewtermin vermittelte. Und zwar für diesen Freitag (29.6.)

Doch Hilde Grünewald kommt nicht. Von der Terrasse aus sehen wir ihren Einmaster namens „Gitano" und das kleine Beiboot, wie es zwischen anderen Segelbooten ungefähr 50 Meter vom Ufer entfernt still auf dem Wasser liegt. Nichts rührt sich.

Wir beschließen nachzusehen. Mit Zankls Beiboot tuckern wir ­gegen 9.30 Uhr zur „Gitano" rüber. Und da sitzt die Dame mit ihrer ersten Tasse Kaffee in der Hand auf der Bank an Deck und blickt aufs Meer hinaus. Von dem Termin mit der Mallorca Zeitung weiß sie nichts. ­­„9 Uhr ist doch keine Zeit," sagt sie.

Vielleicht hat sie es vergessen, vielleicht hat sie es nicht richtig verstanden. Denn ihr Gehör hat nachgelassen, Fragen versteht sie oft nicht auf Anhieb. Groß und schlank ist sie und trägt eine Kette mit einem grünen Stein und ein beige-weiß gestreiftes kurzes Hosenkleid, das in Kontrast zu ihrer braungebrannten Haut steht. Die meisten Segler sitzen wohl weniger elegant auf ihren Booten. Andere Deutsche im ­Hafen kennen Grünewald als Lady. „Sie ist immer tipp-topp", sagt Zankls Frau Christa (69). Wenn sie mit ihrem Beiboot ans Ufer fährt, um einzukaufen, spazierenzugehen oder Kaffee zu trinken, sieht sie sich auch gerne in der Boutique im Hafen um.

Das Alter ist Hilde Grünewald anzusehen, schlohweiße kurze Haare umrahmen ihr faltiges Gesicht mit den wachen blauen Augen. Dass man über sie einen Artikel schreiben will, kann sie nicht ganz nachvollziehen. Immerhin ist ihr Leben auf dem Boot im ­Hafen von Portocolom für sie das Normalste der Welt. „Ich bin hier, weil ich hier glücklich bin", sagt sie. Seit langer Zeit schon lebe sie das ganze Jahr über auf ihrem Boot. Sie hat zwar eine Wohnung, aber dort ist sie nie. „Hier habe ich doch alles. Dusche, Herd, Heizung."

Sie verrät nicht viel über ihre Vergangenheit. Ihr Leben in der Zeitung ausbreiten, das will sie nicht. Nur so weit: Ihre beiden Töchter leben in Berlin und Hamburg. Ihr ganzes Leben sei sie viel gesegelt. Bis in die Karibik, nach Finnland und natürlich das ganze Mittelmeer. „Ich bin mit meinem Mann schon vor der Hochzeit gesegelt, dann haben wir geheiratet und Kinder gekriegt. Ich habe die Kinder groß gezogen und den Ehemann versorgt." Ihr jetziges Boot hat sie schon seit 1978. „So ein Schiff habe ich mir immer gewünscht. Das ist ein schönes Schiff." An diesem Morgen ist ihr aber das kleine Durcheinander peinlich. Ein paar Wasserkanister liegen am Boden, in der Spüle liegt das schmutzige Geschirr vom Vorabend. „Solch eine fürchterliche Unordnung herrscht hier normalerweise nicht. Ich hatte Besuch", entschuldigt sie sich.

Da bringt Günter Zankl den MZ-Fotografen vom Ufer per Beiboot heran. Für das Bild klettert sie barfuß zum Bug. Sie schimpft zwar ein bisschen („ich hab meine erste Tasse Kaffee noch nicht ausgetrunken"), bewegt sich aber flink an der Außenseite zum Segelmast.

Kaum ist das Bild geschossen, rudert Jeff heran. Der Engländer wohnt auf einem Boot wenige Meter entfernt und kommt gerne vorbei. Oft essen sie zusammen. „Wenn Jeff kommt, muss ich was gekocht haben." Und er hilft ­Hilde Grünewald bei Reparaturen und technischen Angelegenheiten, für die ihr selbst mittlerweile die Kraft fehlt. Sie sprechen Englisch miteinander. „Fame at last", witzelt Jeff in Bezug auf den geplanten Artikel.

Hilde Grünewald will so lange auf dem Wasser bleiben, wie es geht. Anderen Senioren empfiehlt sie das Leben auf einem Boot nicht unbedingt. „Da muss man schon so verrückt sein wie ich. Man muss das Boot kennen, sich einzuteilen wissen", sagt sie.

Dann geht der MZ-Besuch wieder von Bord. Hilde Grünewald scheint froh zu sein. Jetzt kann sie endlich aufräumen und ­saubermachen.

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