Könnten sich die Mechaniker ein ideales Gepäckstück wünschen, dann würde es so aussehen: ohne Rollen, Hardcover statt unförmige Sporttasche, rechteckig oder quadratisch, auf keinen Fall aber rund. Rucksäcke mit schlecht verschnürten Trageriemen sind die Todfeinde des Systems, das von allen Mitarbeitern auf Palmas Flughafen Son Sant Joan nur SATE genannt wird: Sistema Automatizado de Tratamiento de equipajes. Es ist ein vollauto­matisches System zur Sortierung des Gepäcks vor dem Abflug. Die von Siemens installierte Anlage scheint eine Art künstliche Intelligenz zu haben. Und doch hält sie die Mitarbeiter ständig auf Trab.

Zum Beispiel, wenn es Alarm gibt. Im Kontrollraum, wo die Reise der Koffer auf Bildschirmen und Monitoren in Echtzeit verfolgt wird, ertönt ein Signalton. Der Mitarbeiter greift zum Telefon und verständigt einen Mechaniker, um ein verkantetes Objekt entfernen zu lassen. Das muss schnell gehen, damit die Koffer sich nicht gegenseitig beschädigen, sich auftürmen und den gesamten Ablauf durcheinander bringen. „Ein einziger Sonnenschirm kann ein Chaos anrichten", sagt Koordinator Emilio Alloza.

Zum Glück ist an diesem Mittwoch noch keine Hochsaison. An diesem Morgen steht der Zähler erst bei 2.780 Gepäckstücken. „Im Sommer sind wir morgens um 8 Uhr schon bei 10.000", sagt der Mitarbeiter im Kontrollraum. Der bisherige Rekord liegt bei 80.000 Gepäckstücken an einem Tag und stammt von 2008 – kein Problem für eine 21 Millionen Euro teure Anlage, die für bis zu 14.400 Koffer pro Stunde ausgelegt ist.

Die Gepäck-Odyssee startet, wenn der Koffer beim Check-in-Schalter aus dem Blickfeld der Passagiere verschwindet und nach dem Passieren der Lamellen nach unten plumpst. „Die Wege sind nicht so weit, aber wir haben sehr viele Koffer im System", sagt Alloza. Und egal an welchem der 192 Schalter ein Gepäckstück aufgegeben wird – nach seiner Reise durch das Untergeschoss des Terminals kann es an jedem beliebigen der 46 Ziellaufbänder herauskommen, um von dort in den Flieger verladen zu werden.

Damit das gelingt, erhält jeder Koffer beim Check-in einen Strichcode, der die Reise- und Passagier-Infos enthält. Die erforderlichen Daten werden in der Regel direkt aus dem Reservierungssystem der Fluggesellschaft in die SATE-Computer überspielt. Heute hat das nicht geklappt, ein Informatiker muss ran. Zu tun ist hier eigentlich immer etwas. Jede Anlage dieser Größenordnung sei eine Art Prototyp, sagt Alloza. 45 Mechaniker seien rund um die Uhr im Einsatz, um allein die 3.600 Motoren zu warten, die die insgesamt rund neun Kilometer langen Kofferbänder am Laufen halten.

Der Strichcode wird ähnlich wie an der Supermarktkasse eingelesen. Statt einer Kassiererin kommen in Son Sant Joan jedoch vollautomatische 360-Grad-Scanner zum Einsatz: Egal wie der Koffer auf dem Band liegt – die roten Laserstrahlen finden den Barcode, zur Not auch von unten, durch einen Spalt zwischen zwei Laufbändern. „Der Koffer stoppt in keinem Moment", sagt Alloza. Der Scanner erfasse den Code in 96 Prozent der Fälle.

Klappt das nicht, werden die Gepäckstücke zu einem Mitarbeiter geleitet, der zwischen den vielen Laufbändern jetzt in der Nebensaison ein bisschen verloren wirkt. Im August sei hier die Hölle los, und zwischen den vielen Maschinen herrschten locker 30 Grad, erzählt der Mann und deutet auf den bislang noch abgeschalteten Ventilator. Er schnappt sich den nächsten Koffer und gibt routiniert als Zielort hipódromo 42 ein – eines der 46 Ziellaufbänder eine Etage tiefer. Ihren Namen haben sie daher, dass die Koffer dort wie Pferde auf einer Pferderennbahn ihre Runden drehen, bis sie in Trollys verladen und zum Flieger gefahren werden. Es gibt hier auf dem Airport für vieles Spitznamen. Warum aber die Transferbusse für die Passagiere jardineras (Pflanztröge) heißen, kann niemand erklären.

Sehr ernsthaft geht es dagegen beim Thema Sicherheit zu. SATE sortiert nicht nur, sondern durchleuchtet auch die Koffer. Das geschieht in drei Stufen. Einen ersten Scanner passiert die Hälfte der Gepäckstücke ohne Beanstandung – ist zum Beispiel nur schmutzige Wäsche darin, dürfen die Koffer sofort weitertransportiert werden. Dann werden sie von zwölf speziellen Scannern nach Sprengstoff durchleuchtet. Die dritte Stufe müssen nur noch die allerwenigsten Gepäckstücke passieren: Sie besteht aus drei Computertomographen, die mit zwei Umdrehungen pro Sekunde die Koffer in virtuelle Scheiben schneiden.

Bevor es ins hipódromo geht, müssen die Gepäckstücke schließlich noch in einer Art Transrapid ihre Runden drehen – zumindest treiben wie bei der Versuchsanlage im Emsland Linearmotoren die beiden Sortieranlagen mit je 200 Kipptabletts an, das heißt, sie werden von einem Magnetfeld weitgehend geräuschlos über einen Rundkurs gezogen. Die Koffer gelangen elegant in diese Sortieranlage: Damit sie auch in der Mitte jedes Tabletts landen, misst eine Fotozelle am Ende des Laufbands die Größe des Gepäckstücks, sucht ein freies Tablett, und das Laufband verpasst dem Koffer am Ende den richtigen Schwung.

Der Ausstieg ist dagegen etwas rabiat: Ist die richtige Rutsche erreicht, kippt das Tablett, und der Koffer plumpst nach unten. Und wenn er schließlich in den Bauch des Fliegers verladen wird, hat er im Gegensatz zum Passagier die aufregendste Reise schon hinter sich.

In der Printausgabe vom 21. April (Nummer 572) lesen Sie außerdem:

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- Mit der MZ Mallorca erradeln: Ganz geruhsam nach Alcúdia

- Wegweiser: Wanderung von Caimari nach Lluc

- Kindermenü: Ein Kreuz und viele Hasen

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