Wer im Parc de la Mar unterhalb der Kathedrale lustwandelt, mag sich schon mal über ein eiförmiges, etwa vier Meter hohes Loch in der Stadtmauer gewundert haben. Schaut man genauer hin, erkennt man darüber eine Skulptur mit einer Lok. Hier tuckerten ehedem Güterzüge hinein und hinaus. Sie brachten Waren vom Sackbahnhof der Insel-Hauptstadt an der Plaça d´Espanya zum Hafen und zurück. „Der 1.250 Meter lange Tunnel wurde nach drei Jahren Bauzeit 1931 eröffnet, damit das Schienengewirr in der Altstadt endlich abgebaut werden konnte", weiß Miquel Àngel Riera, Chef der Vereinigung der Eisenbahnfreunde von Mallorca. Seit 1877 fuhren an Orten, auf denen man sich das heute gar nicht vorstellen kann, Züge - etwa auf der Vía Roma oder der Plaça Weyler neben dem ehemaligen Gran Hotel.

Der Tunnel-Bau brachte deutlich mehr Ruhe in die Stadt, zumal mit der ausgegrabenen Erde der Parc de la Mar aufgeschüttet wurde. Die laut pfeifenden und rauchenden Dampfloks transportierten jetzt unterirdisch Kohle aus Lloseta, Marès-­Steine, Schuhe aus Inca, Möbel aus Manacor und andere Waren unter der Plaça Major und der Plaça Santa Eulàlia zu den Schiffen, die sie auf die spanische Halbinsel und sonstwohin weiterschafften. Passagierzüge wurden nie durch den Tunnel gefahren.

Im spanischen Bürgerkrieg (1936 bis 1939) gab der Tunnel den Bürgern dann ein Gefühl von Sicherheit vor Bombenangriffen. „Am Teatre Principal und unter der Plaça Major wurden Eingänge gebaut", sagt Eisenbahnfreund Riera. „Von den Kellern mehrerer palacetes (Herrenhäuser) führten Gänge in den Tunnel." Eine solche Verbindungen vermutete man auch, als im Winter bei den Arbeiten zur Eröffnung einer neuen Filiale der deutschen Drogeriekette Müller an der Plaça d´Espanya ein Eingang zu unterirdischen Räumen gefunden wurde. Doch anders als zunächst angenommen bestehe hier keine Verbindung zum Eisenbahntunnel, sagt Miquel Àngel Riera.

So lange, wie es die Erbauer erhofft hatten, wurde das Bauwerk nicht genutzt. Nach etwas mehr als 30 Jahren war 1965 Schluss. „Da der Hafen hohe Transport- und Stellgebühren von der Bahngesellschaft verlangte und der Transport mit Lastwagen billiger wurde, war der Tunnel immer nutzloser geworden", so der mallorquinische Bahn-Experte.

Nach dem definitiven Aus wurden nach und nach die Schienen entfernt. In den 70er Jahren wurde dann inmitten des Strecken-­Verlaufs unter der Plaça Major ein unterirdisches Parkhaus gebaut. 1998 kam ein weiteres am Mercat de l´Olivar hinzu. Und 2002 schließlich eines unterhalb der Plaça d´Espanya, wo der ehemalige Eingang zum Tunnel jetzt eine Einfahrt für die Autos ist. „Diese Parkhäuser machten den Tunnel für immer unbenutzbar", ärgert sich der Bahn-Experte.

Dennoch: Zwischen der Plaça Major und dem Parc de la Mar wäre der Tunnel, wenn er denn nicht zugemauert wäre, noch immer durchgehend begehbar, und dies auf etwa 600 Metern.

Miquel Àngel Riera findet es schade, dass die Stadtverwaltung dies bislang nicht erwägt. „Es wäre recht einfach, ihn wieder herzurichten", so der Bahn-Fan. Man müsse nur die Ziegel­mauer am Parc de la Mar entfernen. Mit einigen punktuellen Ausbesserungsarbeiten, einer gründlichen Reinigung und der Installation einer Beleuchtungsanlage wäre es getan.

Und was dann tun, mit dem Tunnel ins dunkle Nichts? „Ideal wäre ein kleiner Zug, der hin und herfährt", schlägt Miquel Àngel Riera vor.