Schon seit über hundert Jahren ist Llucmajor kein schnödes pue­blo mehr. Dank Alfonso XIII. stieg der Ort 1916 zur ciudad auf. Der spanische König ankerte damals vor Arenal, um die Militärstation von Cap Rocat zu besuchen und verlieh Llucmajor im selben Zug den Stadttitel. „Das war nur ein Ehrentitel, der nichts über die Größe, Einwohnerzahl oder wirtschaftliche Situation eines Dorfes aussagte", erklärt Maties Garcias, der im vergangenen Oktober den Auftrag bekam ein Buch über das 100-jährige Bestehen der Stadt Llucmajor zu schreiben. „Llucmajor, cent anys ciutat. Memòria i futur" ist jetzt offiziell präsentiert worden. Als historische Quelle nutzte Maties Garcias die damals populäre vierseitige Wochenzeitung „Heraldo de Lluchmayor".

Ehrentitel hin oder her, Llucmajor erlebte 1916 einen nicht unbedeutenden Aufschwung. Damals existierten in der knapp 10.000 Einwohner starken Gemeinde zwei ideologische Strömungen: die katholische und die sozialistische Arbeiterbewegung, Letztere hauptsächlich von Schuhmachern gesteuert. Sie organisierten politische Diskussionen und Freizeitveranstaltungen, gründeten Schulen, Gewerkschaften­ und Genossenschaften. Die offizielle Sprache in Ämtern und Schulen war castellano, auf der Straße sprach man mallorquín. „Es war eine Zeit, in der sich demokratische Ideen und soziale Rechte festigten, eine Mittelschicht entstand und erste internationale Beziehungen entstanden", so Maties Garcias, der 1960 in Llucmajor geboren ist und viele Jahre dort lebte. Der Katalanischlehrer, Mitbegründer der lokalen Obra Cultural Balear (OCB) sowie des Stadtmagazins „Llucmajor Pinte in Ample" zog später nach Palma.

In das Jahr 1916 fällt auch die Eröffnung des Elektrizitätswerks und der Markthalle (heute Touristeninformation) sowie die neue Bahnverbindung von Palma über Llucmajor nach Santanyí. Mit dem Bahnhof verlängerte man die Straßen Antonio Maura und Lavaderos (heute Carrer del Bisbe Taixequet) und reformierte die Plaza Mayor, noch ohne eine Lösung für die Wasserversorgung aus Randa zu finden. Zwei neue Hotels entstanden (Hotel Universo, Antic Hotel España bereits 1915). Drei Theater und Kinos sowie zwei Radrennbahnen gab es in Llucmajor bereits.

Während viele der jüngeren Bewohner nach Marseille auswanderten, um Geld zu verdienen, wurden erstmals große Ländereien in Llucmajor parzelliert und an neue Investoren verkauft. Es entstanden­ Mandelbaumplantagen und Getreidefelder, die landwirtschaftliche Produktion erhöhte sich. Neben dem Schuhmacherhandwerk gab es eine Stofffabrik sowie eine Schnapsbrennerei. „Es stimmt nicht, dass es vor dem Tourismus keine Einkünfte in Llucmajor gab", sagt Maties Garcias. Die Unternehmer von damals hätten mit ihren Ideen und Innovationen eine wichtige Vorreiterfunktion für den späteren Tourismus gehabt.

Noch heute gibt es neben der Dienstleistungsbranche im Indus­triegebiet Son Noguera und dem florierenden Tourismus auch profitable landwirtschaftliche Projekte wie Weinanbau, Feigenbäume, Mandeln und Bio-Lamm, schreibt Maties Garcias im letzten Kapitel seines Buchs. Dass die Bahnstrecke von Palma über Llucmajor nach Santanyí wieder aufgenommen wird, was sich einige Bewohner in Llucmajor wünschen, hält er für ziemlich unwahrscheinlich. Nachdem der Zugverkehr 1964 eingestellt wurde, riss man nicht nur das stattliche Bahnhofsgebäude ab, dass sich an der Stelle der heutigen BBVA an der Ronda de Migjorn befand, sondern veräußerte auch sämtliche Grundstücke, über die die ehemalige Bahntrasse führte.

Die vorrangige Aufgabe sei es heute, ein aktives Kultur- und ­Sozialleben am Leben zu erhalten, unterstützt von einer mutigen und konsequenten Politik, die Mallorquinern, Zugezogenen und Touristen gleichzeitig gerecht wird. Llucmajor habe Erfahrung darin, Menschen von außerhalb aufzunehmen. In den 60er-Jahren fanden im Küstenort Arenal verarmte Familien aus Murcia, Sevilla und Granada Zuflucht, Arbeit und ein neues Zuhause.

„Die Bewohner von Llucmajor wissen, wie man sich Veränderungen anpasst, ohne die eigenen kulturellen Wurzeln zu vergessen", sagt Maties Garcias. „Das macht es für sie leichter, ihr Dorfleben mit der neuen Bevölkerung zu teilen." Als positives Beispiel nennt er das res­taurierte Kloster Claustre de Sant Bonaventura, in dem sich heute das „International Center of Photography Toni Catany" befindet. „Von lokalen Dingen ausgehen und Projekte international weiterdenken und -entwickeln, das ist Mallorcas Zukunft", glaubt Maties Garcias.

„1916-2016. Llucmajor, cent anys ciutat. Memòria i futur" ist in Katalan erschienen und liegt kostenlos im Rathaus von Llucmajor aus.