Las madres de las llaves, die Mütter der Schlüssel wurden sie genannt, Frauen mit Verantwortung, die früher auf den großen Gutshöfen

Mallorcas die Schlüssel für sämtliche Türen verwalteten. Im Laufe des langen Arbeitstages sperrten sie damit Küche und Vorratsräume auf, kontrollierten Werkzeugschuppen und Futterkammern. Den schweren Schlüsselbund trugen sie an einer langen Goldkette, cordoncillo genannt, gekreuzt über dem Oberkörper, so hatten sie den passenden Schlüssel stets griffbereit.

Die Schlüsselkette musste besonders stabil sein und durfte auch bei der Feldarbeit nicht reißen. Vor 300 Jahren war es ein großes Problem, wenn ein Schlüssel verloren ging. Einen Mister Minit gab´s noch nicht. „Der cordoncillo gehörte früher zur wichtigsten Anschaffung eines Hofbesitzers", erzählt Goldschmied Arturo Segura (56), dessen Vorfahren bereits 1790 auf Mallorca als Goldschmiede für die Kirche und adelige Familien arbeiteten. Erst 1918 war es ihnen erlaubt, sich mit einem Geschäft selbstständig zu machen, was Arturos Urgroßvater auch flugs tat und eine Werkstatt an Palmas Santa-Eulalia-Kirche eröffnete. Arturo, Goldschmied in vierter Generation, erbte nicht nur das Atelier, sondern auch die Kenntnisse einer langen Familientradition. Er ist der letzte Meister auf Mallorca, der noch original Schlüsselketten aus Doppelringen herstellt.

Der cordoncillo misst 16 Handspannen, also 3,20 Meter - lang genug, damit die Tür geöffnet werden konnte, ohne den Schlüssel von der Kette zu nehmen. Der Schlüsselbund ruhte in einem Beutel, den die Frauen vor dem Bauch trugen. Ein drehbarer Verschluss sorgte dafür, dass die Kette sich nicht verhedderte. Wenn mal ein Ring zerbrach, war die Kette dank Doppelringen noch intakt und es blieb Zeit, den lädierten Ring auszuwechseln. Der Goldschmied zählt nach: Acht Ringe pro Zentimeter Kette machen 2.570 Goldringe. „Aus Eisen wäre die Kette günstiger gewesen, doch Eisen rostet", so Arturo, der mit zwölf Jahren als Einziger von fünf Söhnen beim Vater in die Lehre ging.

Da die übliche 750 Goldlegierung für die mallorquinische Schlüsselkette nicht taugt, schmilzt Arturo Gold, Silber und Kupfer zu einer Goldlegierung von 833, also 20 Karat, macht 265 Gramm Gold pro Kette. Das Material ist weicher und die Kettenringe lassen sich leichter öffnen und schließen. Anschließend wird der Goldfaden geschmiedet und mithilfe der alten Spinndüse durch kleine Öffnungen auf einen Durchmesser von acht Zehntel Millimeter gezogen.

Aus dem Faden formt Arturo die Goldringe, dafür benutzt er eine Holzlatte aus Zeiten des Großvaters, die mit Nägeln und Kurbelwelle versehen ist. Die einzelnen Ringe sägt er per Hand auseinander, ein ­Fallhammer bringt sie in exakt dieselbe Form, das Werkzeug von 1750 ist ebenfalls ein Original, angefertigt von einem Schreiner und einem Schmied. „Damals brauchte noch jeder jeden", erklärt Arturo, „weil es keine Läden gab, wo man Maschinen fertig kaufen konnte."

Zu Zeiten seines Großvaters wurde ein cordoncillo pro Monat in der Werkstatt in Auftrag gegeben. Es gab noch keine Safes, die Kette war daher eine Geldanlage. Heute interessieren sich nur noch Kenner für die Kette, eine oder zwei im Jahr werden im Ambart´s, wie Arturos Juwelierladen heißt, nachgefragt. Dass es sich bei der Goldkette um ein Kleinod Mallorcas handelt, fand der Goldschmied auf Reisen heraus. Er zeigte die Schlüsselkette Kollegen in der Schweiz, in Deutschland, Frankreich und Portugal, doch keiner kannte diese Art von Kette. Ab und an verließ mal ein Exemplar die Insel, als Geschenk für das spanische Königshaus oder eine adelige Familie.

Mit der industriellen ­Revolution im 19. Jahrhundert hatten Schlüsselketten auf Mallorca ausgedient. Schlüssel wurden jetzt nicht mehr von Hand geschmiedet, sondern maschinell hergestellt, sie waren kleiner und leichter. Die Schlüsselketten wurden in der Familie weitervererbt und unter den Kindern aufgeteilt. Ab und an bekommt Arturo noch eine auf die Werkbank - was Freude und Leid zugleich bedeutet: Auf Wunsch muss er die Schlüsselkette zu mehreren Halsketten und Armbändern demontieren.