Problem Nr. 1: Die Niederlage steht schon bei Spielbeginn fest

Das Selbstvertrauen der Spieler von ­Real Mallorca ist nach elf sieglosen Spielen in Folge - mit den Partien im Pokal sogar 14 - auf dem Tiefpunkt angelangt. Und als wüssten das die gegnerischen Mannschaften nicht längst, tragen die Inselkicker ihre Verletzlichkeit auf dem Platz demonstrativ zur Schau. Die Spieler traben langsam aufs Feld, einige lassen die Köpfe schon hängen, bevor die Begegnung überhaupt angepfiffen wird. „So kann das natürlich nichts werden. Die Körpersprache macht bis zu zehn Prozent der Leistungsfähigkeit einer Mannschaft aus", sagt der deutsche Sportpsychologe Jürgen Walter. Bei Real ­Mallorca konnte man in den vergangenen Spielen den Eindruck bekommen, die Akteure flüchteten förmlich vor dem Ball und damit aus der Verantwortung. Das sieht Sportjournalist Alejandro Vidal genauso: „Egal, was die Mannschaft zurzeit versucht; es wirkt immer so, als sei sie vorher schon überzeugt davon, dass es schiefgehen wird." Zwar hat Mallorca häufig die erste Möglichkeit der Partie. Die Inselkicker nutzen sie aber nicht und verfallen danach umgehend in ein wenig konstruktives abwartendes Ballgeschiebe, bei dem häufig sogar Torwart ­Dudu Aouate als Anspielstation mit einbezogen wird. Die Kugel wird in der Abwehr ­herumgereicht, ohne dass sich die Spieler viel bewegen. Kommt dann doch der Pass oder der lange Ball nach vorne, geht er meist schnell verloren. Umgehend beginnt die Angst, der Gegner könnte ein Tor erzielen. Die Spieler stellen sich dann meist so ungeschickt an, dass genau dieses Szenario wenige Minuten später Wirklichkeit wird. In den vergangenen drei Partien kassierte Mallorca jeweils um die zehnte Minute das erste Gegentor. Das Team sah bei den jüngsten Gegentreffern meist schlecht aus. Oft rutschte der Ball unglücklich ins Netz.

Problem Nr. 2: Und so kommt es dann leider auch

Zappelt die Kugel dann erst einmal im eigenen Netz, verfällt das Team regelrecht in Panik. Der Ball wird hektisch nach vorne gespielt oder leichtfertig vertändelt. Die Mannschaft befindet sich in einer Art Schockstarre, ihre Angst vor Fehlern potenziert sich, der Spielaufbau funktioniert nicht mehr. „Im Prinzip ist eine solche ­Situation im Profisport undenkbar", sagt Psychologe Walter. „Die Sportler machen seit Jahren nichts anderes als Fußball spielen und haben viel für ihren Traum Profifußballer geopfert. Im Training können sie es ja." Ein Problem sei laut Walter, dass die Spieler viel zu sehr in dem verhaftet bleiben, was gerade geschehen ist. „Dabei müssten sie nur ihre Gedanken stoppen und neu anfangen." Gedankenstopp, das heißt: Gegentor vergessen, sich auf das eigene Ziel konzentrieren und vor allem nicht an die Negativserie denken, in der sich der Inselclub seit Ende September befindet. Genau das aber passiert dem Team nach einem Gegentreffer: Der Ball macht, was er will, kommt nicht da an, wo er soll, und selbst die besten Torchancen werden kläglich vergeben, weil die Kugel am Kasten vorbeihoppelt. Die Blockade bei Mallorca sitzt so tief, dass nicht einmal mehr elementare Dinge gelingen. Beispiel dafür sind zwei verschossene Elfmeter in den vergangenen drei Wochen. „Dass die Spieler solche Angst vor dem Ball haben, darf in einer Profi-Liga nicht sein. Das kann es in der F-Jugend geben, wenn ein Kind mal unglücklich vom Ball getroffen wird, und dann ausweicht, um die Kugel nicht mehr abzubekommen", sagt Walter. Real Mallorca müsste neu anfangen und versuchen, in eine positive Strömung zu geraten. „Borussia Dortmund hat in den vergangenen Jahren so etwas geschafft. Die wussten - übertrieben gesagt - zwischendurch gar nicht mehr, wie es steht. Sie hatten sich in einen positiven Rausch gespielt." Für Mallorca derzeit undenkbar.

Problem Nr. 3: Das Personal lässt zu wünschen übrig

Was aber, wenn bereits bei der Zusammenstellung der Mannschaft Fehler gemacht wurden, und Spieler verpflichtet wurden, die nicht gerade als Ballkünstler bekannt sind? Auf dem Platz sieht es ganz danach aus. Vor allem in der Defensive tun sich spielerische Mängel auf, die nicht nur mit fehlendem Selbstvertrauen zu erklären sind. Die beiden Innenverteidiger Nunes und Pedro Geromel schwimmen teilweise von einer Gefahr in die nächste. Bei Geromel hätte man es wissen können. Der Ex-Bundesliga­spieler war bei seiner letzten Station in Köln ein echter Unsicherheitsfaktor in der Defensive, vor allem, als die Geißbock-Elf immer tiefer in den Abstiegsstrudel geriet. Auch Nunes, in den Vorjahren stets Teil eines stabilen Abwehr-Bollwerks, hat abgebaut. Dazu kommt bei ihm fehlende Kondition. Anderson Conceiçao ist mit der Primera División ohnehin überfordert und spielt kaum noch. Sogar Torwart Dudu Aouate, bis vor wenigen Wochen oft sicherer Rückhalt im Kasten, ist derzeit nur ein Schatten vergangener Tage. Bälle rutschen ihm durch die Hand, sein Stellungsspiel war schon deutlich besser, und selbst er lässt nach Gegentoren in den vergangenen Wochen immer öfter den Kopf hängen. Immerhin: Die Clubführung will jetzt zur Tat schreiten und mindestens zwei Abwehrspieler verpflichten. Zu lange hat man sich bei Real Mallorca die Krise nicht eingestanden. „Nach jeder Nieder­lage wurden einfach neue Ausreden gesucht, warum es diesmal wieder nicht geklappt hat", sagt Alejandro Vidal. „Einmal war die Rote Karte von Ximo schuld, ein andermal ein verschossener Elfmeter von Víctor. Aber ein Spiel besteht doch nicht nur aus einer Szene. Man hat doch immer mehrere Chancen." Für Vidal liegt das Hauptproblem viel tiefer. Der Mannschaft fehle ein Anführer, der auch abseits des Platzes eine Vorbildfunktion besitze. Obwohl es mit Nunes, Víctor, Martí oder auch Aouate mehrere potenzielle Leitwölfe gebe, könne derzeit niemand das Team aus der Lethargie reißen. Auch, weil es auf dem Feld momentan niemanden gibt, der Sicherheit am Ball ausstrahlt.

­Problem Nr. 4: Chefs wird man so schnell nicht mehr los

Noch ist nicht alles zu spät, noch bleiben Real Mallorca 22 Spieltage, um wieder den Sprung aus der Abstiegszone zu schaffen. Auf der Insel gehen die Fans und die Verantwortlichen wie selbstverständlich davon aus, dass das gelingt. Vielen klingt wohl noch zu sehr in den Ohren, was Präsident Jaume Cladera vor gut einem Jahr bei der Vorstellung des neuen Trainers Joaquín Caparrós sagte: „Mit ihm haben wir den ­Klassenerhalt verpflichtet." Im Moment sieht es freilich eher nach dem Gegenteil aus. Caparrós wirkt ratlos, er kann seinen Spielern die Ballsicherheit und das Selbstbewusstsein offensichtlich nicht zurückgeben. Der „Motivator", wie er bisher gerne und häufig genannt wurde, findet anscheinend nicht mehr die richtigen Worte. Normalerweise müsste ein Trainerwechsel als Signal des Aufbruchs her, doch bei Real Mallorca ist so gut wie gar nichts normal. Durch die Gläubigervereinbarung ist der Club verpflichtet, jedes Jahr fünf Millionen Euro Schulden zurückzuzahlen. Geld, um Caparrós zu entschädigen und einen qualifizierten Nachfolger anzuheuern, ist demnach nicht vorhanden. Zudem müsste man sich auf so einen Schritt erst mal einigen. Der Verwaltungsrat, in dem auch der Deutsche Aktionär Utz Claassen sitzt, ist stattdessen weiterhin damit beschäftigt, sich nach allen Regeln der Kunst gegenseitig zu zerfleischen. Nicht einmal eine konstruktive Diskussion über die Situation ist da derzeit möglich. Vielleicht sollten die Herren der Vereinsspitze sich mal häufiger ausmalen, was geschehen könnte, wenn der Club am Ende der Saison tatsächlich absteigen sollte: Mit den geringen Einnahmen in der Zweiten Liga könnten die Gläubiger wahrscheinlich nicht mehr bezahlt werden. Dann müsste Real Mallorca womöglich ganz liquidiert werden.

Aber so weit ist es ja glücklicherweise noch nicht. Die Mannschaft hat jetzt nach der Begegnung bei Betis am Samstag (22.12.) zwei Wochen Weihnachtspause und Zeit, sich zu besinnen. Danach werden in der Liga noch 66 Punkte vergeben, viele von ihnen gegen andere Abstiegskandidaten, die auch nicht mehr Ballsicherheit ausstrahlen.

Im E-Paper sowie in der Printausgabe vom 20. Dezember (Nummer 659) lesen Sie außerdem:

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