Die Szenerie könnte klischeehafter kaum sein: Die Schönen und Reichen schlendern durch Puerto Portals, die Yachten schaukeln im Hafenbecken langsam hin und her, die Sonne verleiht den nötigen Glanz, und auf der Mole stehen, ordentlich aneinandergereiht, über 80 blitzblank geputzte historische Autoschönheiten und warten darauf, von den Flanierenden bewundert zu werden. Sie sind die Protagonisten der Rally Clásico Isla de Mallorca: ein Porsche am anderen, dazwischen ein vornehm-zurückhaltend grauer Mercedes 300 SL mit den charakteristischen Flügeltüren. Und die kompakten Rallyeversionen von Ford Escort und Lancia.

Eine Traube aus Neugierigen, Kameraleuten und Fotografen hat sich um ein futuristisch anmutendes Modell ganz in Schwarz gebildet: ein weltweites Einzelstück und der Nachfolger des legendären Renn­autos Lancia Stratos, das in den 70er Jahren die Rallyeszene beherrschte. „New Stratos" heißt der Flitzer aus Carbon, der an die 6 Millionen Euro Entwicklungskosten verschlungen haben dürfte – so genau kann man das nach drei Jahren Tüftelei nicht mehr sagen. Daneben steht sein Eigentümer, Michael ­Stoschek, bis Ende 2005 Geschäftsführer und seitdem Gesellschafter des Coburger Automobilzulieferers Brose, und erläutert eifrig in fränkischem Akzent die Details seines Wagens. Der 64-Jährige sieht so gar nicht wie jemand aus, der hier im Jetset zu Hause wäre. Ihm geht es nur um das Auto.

Sein Abenteuer New Stratos begann auf dem Genfer Autosalon 2005. Damals stellte Stoscheks Freund und Stratos-Fan Chris Hrabalek die Studie Fenomenon vor, die an den Stratos angelehnt war. Die Idee einer Neuauflage ließ den ­Autonarren Stoschek seither nicht mehr los. Zusammen mit seinem Sohn Maximilian bastelte er ab 2006 drei Jahre in jeder freien Minute an dem Wagen. Kurz zuvor hatte er sich aus dem Tagesgeschäft bei Brose zurückgezogen, nach eigenen Angaben der fünftgrößte Automobilzulieferer der Welt in Familienbesitz. Jedes Einzelteil musste stimmig sein, Stoschek ist ein Design-Fanatiker. Deshalb stört ihn noch heute ein etwas holperiger Übergang an der Tür zwischen Tür und Heck. „Hier steht das Carbon ein wenig hervor", ärgert er sich, während er mit seiner Hand über das Auto streicht. Mit im Boot bei der Entwicklung waren viele kluge Köpfe von europäischen Automarken, das meiste Know-how steuerte die ­Ferrari-Designstube Pininfarina bei.

2010 absolvierte der New Stratos seine ersten Tests in der Rennarena Llucmajor und wurde der Öffentlichkeit präsentiert. Das Echo war überwältigend. „Fast alle Autozeitschriften hatten unseren Wagen auf dem Cover", sagt Stoschek. Die Magazine stimmten Lobeshymnen auf den Wagen an.

Weltweit gab es 50 Kaufinteressenten, doch es fand sich kein Unternehmen, das den New Stratos in einer Kleinserie auflegen wollte. Stoschek glaubt zu wissen, warum: „Ferrari sah sich wohl in seiner Eitelkeit gekränkt. Da kommt so ein Deutscher daher und lässt das italienische

Kultauto Stratos wieder aufleben, das kam nicht gut an." Ferrari verbot Pininfarina also, an der Produktion der Kleinserie mitzuwirken. Eine Schande für Ferrari, findet der Unternehmer im Ruhestand. Selbst kann er das Auto nicht bauen und auch andere Firmen scheiden aus, weil nur die Mitarbeiter von Pininfarina den New Stratos in- und auswendig kennen.

Stoschek nutzt jede Gelegenheit, mit dem bis zu 320 Stundenkilometer schnellen Wagen auf Ausstellungen oder bei Rallyes vorbeizuschauen. Dabei ist es gar nicht so sehr die Geschwindigkeit, die ihn reizt. „Es ist vielmehr das Handling und die Geschicklichkeit, die nötig ist, um eine Kurve gerade noch so zu schaffen und nicht in der Leitplanke zu landen." Dafür habe er im vergangenen Jahr auch mehr geübt – um

einem Missgeschick wie bei der Rally Clásico 2011 vorzubeugen, als er mit seinem Sohn zu schnell in eine Kehre fuhr und „mit der Schnauze den Fels knutschte".

Stoschek und Autos, das war Liebe auf den ersten Blick. „Als ich zwölf war, habe ich mein Taschengeld gespart und für Fahrstunden mit einem Fahrschullehrer ausgegeben." Der Teenager Stoschek suchte sich Freundinnen, die bereits einen Führerschein hatten und ihn zu Ausfahrten mitnahmen. Als der Unternehmer das erste Mal mit Rallye-Legende Walter Röhrl unterwegs war, entbrannte sein Ehrgeiz. „Er hat einen Führerschein. Ich auch. Warum kann er dann so unglaublich viel besser Auto fahren als ich?", wunderte er sich. Mittlerweile hat er einiges aufgeholt und war 2006 Rallye-Europameister in historischen Autos. Von denen hat er eine ganze Sammlung daheim.

Die Strecken auf Mallorca gefallen Stoschek gut, aber auf der Insel niederlassen möchte er sich nicht. „Wir haben ein firmeneigenes Haus in Sitges in Katalonien. Dort ist es auch sehr schön", sagt er grinsend. Außerdem habe es keinen Sinn, überall auf der Welt Häuser zu besitzen und dort nur einen Bruchteil des Jahres zu verbringen. Dazu gefalle es ihm in Franken viel zu gut.

Der Unternehmer ist in seiner Heimat stark sozial engagiert. Bereits 1974 trat er aus der Kirche aus. Mit den gesparten Steuern unterstützt er gemeinnützige Einrichtungen. In seinem Heimatort Ahorn hat er ein Bürgerhaus errichtet und finanziert zwei Kinder- und Jugendhäuser. Für seinen Einsatz empfing er 2010 das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse. Auch kulturell und sportlich ist Stoschek in Franken verwurzelt. Er ist Vorsitzender im Kurato­rium der Weltkulturerbestiftung Bamberg. Seine Firma ist Hauptsponsor der Brose Baskets, vierfacher deutscher Basketballmeister aus Bamberg. Kurzum: „Mallorca ist zwar sehr schön, aber ich fahre mindestens ebenso gerne mit meiner Frau im New Stratos zum Kaffeetrinken in die Fränkische Schweiz."

Im E-Paper sowie in der Printausgabe vom 22. März (Nummer 620) lesen Sie außerdem:

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