Wenn man Mian Cortés an seiner Seite hat, dann kann man ohne Weiteres in den Carrer de l’Infant Pagà reingehen. Wie Dominosteine reihen sich links und rechts die sechzehn weiß gestrichenen Wohnblöcke auf, von denen die meisten ziemlich heruntergekommen sind. Sie machen dieses kleine Viertel im Norden von Palma aus, das Corea genannt wird. Ein Brennpunktviertel. Schnell außenrum dran vorbeilaufen und niemanden anschauen, ist die Devise, an die sich die meisten Bewohner der Stadt halten. Aber für Mian Cortés und seinen Zwillingsbruder Pako sind diese 27.000 Quadratmeter ihre Welt.

Zwei Brüder, ein Projekt: Pako (r.) und Mian Cortès sind "Los gemelos de Corea". Nele Bendgens

Die 25-jährigen Zwillinge sind gerade auf dem Weg, zu kleinen Berühmtheiten zu werden. Ein wenig unfreiwillig, aber wenn man schon die Chance hat, warum solle man sie nicht nutzen, sagt Mian. Sein Bruder Pako lässt sich entschuldigen. Ein dringender Arzttermin verhindert, dass er beim Interview dabei sein kann.

Alles fing mit einem Youtube-Video an

Alles hat im Juli angefangen. Ein Youtuber namens „Zazza el Italiano“, der gerade ebenfalls dabei ist, in Spanien zu einer Berühmtheit zu werden, kam nach Corea. Der gebürtige Italiener Federico Z. besucht in seinen Videos die „gefährlichsten“ Stadtteile der Welt. Ausgerüstet mit einer GoPro-Kamera begegnete er den beiden Brüdern, die gerade von der Arbeit heimkamen.

Das Video ging am 10. Juli online. Mittlerweile haben es 2,7 Millionen Menschen gesehen. Die Cortés’ erklärten dem Youtuber, dass man das wahre Corea nur in der Nacht erleben kann. „Wir laden dich zum Essen, wir laden dich zu allem ein.“ Einige Wochen später drehte Zazza erneut ein Video. Dort war auch zu sehen, wie die Zwillinge Gitarre spielen und singen. Der Zusammenschnitt der nächtlichen Party kam am 11. September heraus. Es wurde seither über eine Million Mal angeschaut.

Plattenvertrag für "Los gemelos de Corea"

Der musikalische Auftritt im Video blieb nicht unbemerkt. Das Plattenlabel „Alpha Music“ bot den Brüdern einen Plattenvertrag an. Im November soll die erste Single von „Los gemelos de Corea“ herauskommen. Die Jungs setzen auf klassischen Flamenco mit Texten über die Liebe und das Liebesleid.

Das Talent kommt nicht von ungefähr. Pakito Cortés, der Vater der Zwillinge, war Sänger in der Hip-Hop-Flamenco-Band Talegueros, die Mitte der Nullerjahre mehrere Platten aufnahm und durch ganz Spanien tourte. Pako und Mian waren damals häufig dabei, standen teilweise auch auf der Bühne und tauchten in Videoclips wie etwa zum Song „Ahorita“ auf. Schon damals trugen die Jungs ihre Haare lang.

Obwohl sie Bühnenerfahrung sammelten, gingen die Zwillinge einen bodenständigen Weg. In einem Viertel, wo kaum jemand die Schule beendet, haben Mian Cortés und sein Bruder den Abschluss geschafft. Ursprünglich strebten sie eine Karriere bei der Guardia Civil an, gaben diesen Plan aber nach wenigen Wochen auf. Mittlerweile arbeiten sie gemeinsam als Techniker für Klimaanlagen. „Mein Vater hat uns immer gedrängt, ein geregeltes Leben zu führen.“

Corea bis zum Tod

Der Stadtteil mag ein Brennpunkt sein. Aber irgendwie herrscht hier auf dieser mit Autos vollgeparkten Straße, die sich wie eine Schneise durch das kleine Viertel zieht, eine gewisse Vertrautheit wie auf dem Dorf. Zahlreiche Kinder, aber auch manche Erwachsene nähern sich der kleinen, bröckeligen Mauer, auf der wir das Interview führen. Sie hören eine Weile zu, was Mian zu erzählen hat. „Das ist unser erstes Interview für eine deutsche Zeitung“ erklärt der Manager der Zwillinge, Ariza, der beim Gespräch ebenfalls dabei ist, jenen, die fragend schauen.

Man kennt sich hier. „Der Vater der beiden wollte sicher, dass seine Söhne irgendwann das Viertel verlassen können. Genauso wie ich mir das für meine Kinder wünsche“, erklärt Ariza, der gemeinsam mit Pakito Cortés bei den Talegueros gesungen hat. Mian grinst: „Aber egal, wie viel Erfolg ich haben kann, ich würde nicht weggehen. Uns geht es hier zu gut. Corea bis zum Tod, sagen wir hier.“

Flamenco-Musiker Pako (r.) und Mian Cortès: "Corea bis zum Tod". Nele Bendgens

Corea bietet einen Schutz, der auf den ersten Blick überraschen mag. Das Viertel entstand in den 50er-Jahren, sozialer Wohnungsbau, damals noch weitab vom Schuss. Heute befindet es sich mitten in Palma. Von der Lage her ist es Gold wert, das wissen auch die Bewohner. Diejenigen Familien, die über die Jahre hier ihre Wohnung gekauft haben, zahlen monatlich Raten für die Hypothek, die im niedrigen dreistelligen Bereich liegen. Für den Preis kriegt man in Palma heutzutage normalerweise nicht mal mehr ein kleines WG-Zimmer. Dass in das Viertel kaum jemand reinkommt, der hier nichts zu suchen hat, ist ein zusätzlicher Bonus. „Ich habe neulich im Radio gehört, dass Palma die teuerste Stadt Spaniens zum Leben ist. Das ist doch Wahnsinn“, sagt Mian Cortés.

Studenten, die um Selfies bitten

Während Mians Bruder Pako als C de Ley ein eigenes Soloprojekt als Musiker betreibt, war Mian bislang eigentlich sehr zufrieden damit, hobbymäßig bei den nächtlichen Partys in Corea aufzutreten. Es seien erst die Videos von Zazza gewesen, die ihm zeigten, dass er aus seinem Talent eine Karriere machen könnte. Zumal die Menschen ihn schon jetzt auf der Straße anhalten. Es sei bizarr, erzählt der schüchterne junge Mann. „Neulich war ich frühmorgens total übermüdet an der Uni, um zu arbeiten. Plötzlich kamen Studenten auf mich zu und baten mich um ein Selfie. Ich wusste erst gar nicht, was los ist.“

Der Vater sei übrigens sehr zufrieden damit, dass die Söhne in seine musikalischen Fußstapfen treten. „Er unterstützt uns voll und ganz.“ Mian Cortés macht eine kurze Pause und prustet los: „Die einzige, die nicht überzeugt ist, ist meine Frau. Also, jetzt nicht. Mal sehen, wie es ist, wenn ich damit Geld nach Hause bringen kann.“

Ein erster Schritt zu mehr Bekanntheit könnte über Deutschland führen. Im Sommer kam der deutsch-ukrainische Rapper Olexesh, dessen Songs mehrere Hundert Millionen Mal gestreamt wurden, nach Corea. Er drehte hier das Video zum Song „Strassa“. Man blieb in Kontakt, an einem Abend lud er die Zwillinge zu seinem Auftritt in den Megapark ein. „Wir wollen gerne einen gemeinsamen Song mit ihm aufnehmen“, sagt Mian Cortés.