Er kam als verhasster deutscher Kriegsgefangener nach England und wurde zu einem gefeierten Fußball-Idol. Zu Legende wurde Bernd Trautmann, als er im Cup-Finale mit Manchester City einen Genickbruch erlitt und dennoch bis zum Ende der Partie zwischen den Pfosten blieb. Am Montag (5.7.) strahlt die ARD den Film „Trautmann“ im Rahmen des Sommerkinos aus (20.15 Uhr). 2004 besuchte unser damaliger Redakteur Holger Weber-Stoppacher den Deutschen und dessen Frau Marlies gleich zweimal in ihrem Haus am Strand von Almenara, einer Kleinstadt nördlich von Valencia.

„Sie können uns eigentlich nicht verfehlen, unser Haus ist das einzige am Strand“, hatte er am Telefon gesagt. Dennoch wartete Bernd Trautmann schon an dem großen eisernen Gartentor, um den Besucher in Empfang zu nehmen. Trotz seiner 81 Jahre war er immer noch der stattliche Mann mit dieser aufrechten Haltung, den man von den Schwarz-Weiß-Bildern kannte. Auf der Terrasse seines Bungalows war der Tisch bereits gedeckt. Von dort aus blickte man in den gepflegten Garten, und auch ein Stück vom Meer war zu sehen. Seine Frau Marlies stellte Kekse und Kaffee auf den Tisch, Und dann begann der Mann, den in seiner Heimat kaum jemand kannte, der aber in England ein Superstar war zu erzählen: „Sie wollen doch bestimmt die Geschichte mit Genickbruch hören“, fragte er und lächelte. Eine Szene, die in England jedes Kind kennt, denn sie wurde vor den Cupfinals im englischen Fernsehen immer wieder gezeigt:

Man sieht den Ball, wie er nach innen in den Strafraum gespielt wird, und man sieht Trautmann, wie er dem runden Leder entgegenspringt. „Ich war nie ein Torwart, der auf der Linie bleibt.“ Dann passiert es: Trautmann prallt mit dem gegnerischen Stürmer zusammen. „Ich spürte den Schuhabsatz von Peter Murphy im Nacken, dann den Schmerz.“ Bei dem Zusammenstoß in der 75. Spielminute brach er sich, ohne es zu wissen, das Genick. Er hielt durch bis zum Schluss. Manchester City, Trautmanns Team, gewann 3:1. Bernd, oder Bert Trautmann wie sie ihn in England der einfacheren Aussprache wegen nannten, war im Mutterland des Fußballs von da an eine Legende. Im gleichen Jahr wurde der ehemalige Kriegsgefangene im Königreich als erster Ausländer zum Fußballer des Jahres gewählt.

Während Trautmann das erzählte, las seine Frau die Blätter auf, die auf den Rasen gefallen waren, und zupft die welken Blüten aus dem akkurat angelegten Blumenbeet. Die Geschichte des Genickbruchs, der ihn beinahe das Leben gekostet hätte, komme ihm immer wieder schmerzhaft in den Sinn, setzte Trautmann seine Erzählung fort. Je nachdem wie er ins Auto steige, oder wie er sitze, verkrampfe sich sein Nacken. Bei nasskaltem Wetter sei es am schlimmsten. In seiner Geburtsstadt Bremen könne er nicht mehr leben, sagte Trautmann. Am Himmel kämpften sich die ersten Sonnenstrahlen durch die dicke Wolkendecke: „Auf die Sonne ist Verlass, was will man mehr als schönes Wetter“, sagte er.

Seit 1990 lebte Trautmann in Almenara. In dem Küstenort passierte damals nicht viel. An bewegten Tagen befuhren einige wenige Autos die Straße, die zwischen seinem Grundstück und dem steinigen breiten Strand lag. Die Ruhe und die Sonne bekämen ihm gut. Hektik habe er genug gehabt im Leben, sagte er.

Wenige Wochen vor dem Gespräch war Trautmann anlässlich des Besuchs der Queen in Deutschland zum „Officer of the British Empire“ ernannt worden – eine Auszeichnung für seine Verdienste um die deutsch-britischen Beziehungen. Der britische Botschafter hatte Trautmann als den besten „Botschafter“ bezeichnet, den Deutschland jemals in Großbritannien gehabt habe. Bei einem anschließendem Konzert in der Berliner Philharmonie hatte ihm die Königin die Hand geschüttelt. Es war das dritte Mal in seinem Leben und das erste Mal seit 50 Jahren. Sie hatte den ehemaligen deutschen Kriegsgefangenen nicht auf Anhieb erkannt. „Who are you?“ (Wer sind Sie?), fragte sie Trautmann, der neben dem damaligen Wirtschaftsminister Wolfgang Clement und dem Brandenburger Ministerpräsident Matthias Platzeck stand. „Ich bin der Genickbruch“, hatte der Deutsche. geantwortet „Mit mir hat sie sich daraufhin am längsten unterhalten. Ich war so nervös wie damals beim ersten Spiel für Manchester City.“ Er sei schon stolz auf die Auszeichnung. Aber man solle das alles nicht an die große Glocke hängen. „Auf dem Teppich bleiben, sich daran erinnern, wo man herkommt“, war stets seine Devise.

Trautmann wird 1923 im Bremer Arbeiterviertel Walle geboren. Bei Tura Bremen beginnt er mit dem Fußballspielen. Er absolviert eine Lehre als Automechaniker. Dann kommt der Krieg. 1941 wird der 18-Jährige eingezogen und als Funker einer Fallschirmeinheit an die Ostfront geschickt. Er gerät in russische Gefangenschaft, wird jedoch befreit und nachher an die Westfront verlegt. Nach drei traumatischen Kriegsjahren gerät er in britische Gefangenschaft. „Ich war damals erleichtert“, hatte er einmal einem englischen Journalisten erklärt.

Als Prisoner of war (Kriegsgefangener) arbeitet er auf dem Bauernhof, als Fahrer für Offiziere und in einem Bombenräumkommando bei Ashton in Makerfield zwischen Manchester und Liverpool. Im Lager spielt er Fußball, steht erstmals in seinem Leben im Tor. Ein Freund bringt ihn schließlich zum unterklassigen Fußball-Club St. Helens, bei dem sich Trautmann mit überragenden Leistungen schnell in den Mittelpunkt spielt. Das bekommen auch die großen Clubs mit. Er bekommt Angebote von Liverpool, Manchester United, Bristol und Manchester City. City gibt er letztlich den Zuschlag. Die Verpflichtung des Deutschen löst Tumulte aus. 40 000 Zuschauer gehen auf die Straße und demonstrieren mit Plakaten gegen den „Nazi“ im Tor. „Das Kuriose war, dass die Menschen demonstrierten, ohne zu wissen, ob ich jemals eingesetzt werden würde.“. Einige Monate später wagt keiner mehr, gegen den Deutschen zu wettern. Sein erstes Spiel gegen Fulham geht mit 0:1 verloren. Doch Trautmann bewahrt sein Team vor einem Debakel. Die Spieler beider Teams stellen sich zum Spalier auf, als er den Platz verlässt. Die Zuschauer sind trotz der Niederlage aus dem Häuschen. In den darauf folgenden 15 Jahren, die er zwischen den Pfosten der ersten Mannschaft von City steht, wird Trautmann „zum Volksheld in einem Land, das nicht seine Heimat war,“ wie es der britische Botschafter bei der Laudatio in Berlin formulierte. „Ich wollte den Menschen zeigen, dass es auch gute Deutsche gibt“, erzählte Trautmann. Dies habe er nie offen gesagt, eher unterbewusst sei er von dem Gedanken getrieben worden. Achtung und Respekt erwarb er sich bei den Briten nicht nur auf dem Fußballplatz. Bei Diskussionen über Nazi-Deutschland wagte er es, Gegenfragen zu stellen: „Warum habt ihr Briten es nicht frühzeitig verhindert, dass Hitler die Welt ins Verderben führt?“. Er warb um Verständnis für die Deutschen, die Hitler an die Macht gebracht hatten und schlüpfte somit in die Rolle des Vermittlers: „In Deutschland verteidigte ich die Engländer, in England die Deutschen.“

Als er nach sechs Jahren erstmals wieder seine Eltern in Bremen besuchen wollte, drückten ihm die Anhänger von St. Helens einen Koffer in die Hand, prall gefüllt mit Schinken, Zucker und Butter, Lebensmittel, die in den Nachkriegsjahren nur rationiert ausgegeben wurden. Einer überreichte ihm sogar ein Kuvert mit 300 englischen Pfund. „Das war damals ein Vermögen.“

Bis zum Ende seines Lebens wurde „Traut the Kraut“ in seiner zweiten Heimat verehrt. In Manchester haben sie ihn einmal mit einem Golfcar durchs Stadion gefahren. Die Menschen sind aufgestanden, haben ihm stürmisch applaudiert. „Ich habe Rotz und Wasser geheult.“

Trautmann fuhr auch im hohen Alter noch regelmäßig nach Manchester, er besuchte Altenheime, stand bereit, wenn es da rum ging, den Verein für karitative Zwecke zu repräsentieren. Schon zu seiner aktiven Zeit gehörte dies zum festen Tagesablauf eines Profis. „Soziales Engagement war für uns eine Selbstverständlichkeit.“

Derart populär war Trautmann in Deutschland nie. „Ich habe 60 Jahre meines Lebens im Ausland verbracht, ich kann nicht erwarten, dass ich auf der Straße erkannt werde.“

Weil er im Ausland spielte, wurde Trautmann 1954 auch nicht für die Nationalelf nominiert, die in Bern im gleichen Jahr sensationell durch einen 3:2-Sieg über Ungarn Weltmeister wurde. „Der Herberger (damaliger Bundestrainer; Anm. der Red.) hat sich nicht getraut. Das Risiko war ihm zu groß.“ .Dass er es verdient gehabt hätte, zwischen den Pfosten zu stehen, daran zweifelte die Fachwelt nicht. Lew Jaschin, der legendäre russische Torhüter, sagte einst: „Es hat nur zwei Weltklasse-Torhüter gegeben: Einer war Lew Jaschin, der andere dieser deutsche Junge, der in Manchester gespielt hat – Trautmann.“

Der Deutsche erwirtschaftete keine Reichtümer, wie die nachfolgenden Generationen von Fußballern. Mit seiner Rente und der Pension seiner Frau Marlies kam er so gerade über die Runden.

Reich war er an Erlebnissen und Lebenserfahrung. Für das Auswärtige Amt arbeitete Trautmann nach seiner aktiven Karriere als Motivationstrainer fast 20 Jahre lang in der ganzen Welt. Mit Burma qualifizierte er sich 1972 für die Olympischen Spiele in München. Weitere Stationen waren Tansania, Jemen, Pakistan. Er war nicht nur Trainer: Für die Fußballer musste er „Vater, Mutter, Krankenschwester und Psychologe in einem sein“. Als liberischer Nationaltrainer rettete er zwei Ministern das Leben, indem er sie bedrängte, die Nationalmannschaft zu einem Freundschaftsspiel ins benachbarte Ghana zu begleiten. Am Wochenende, an dem das Spiel stattfand, wurde in Liberia die Regierung gestürzt. Das gesamte Kabinett wurde von den Aufständischen am Strand erschossen. Trautmann saß mit seiner 60-köpfigen Delegation fest. In solchen Situationen war er nicht als Fußballtrainer gefragt, sondern als Diplomat und Manager. „Das sind Momente, die vergisst man sein Leben nicht.“. Unzählige Male bestieg er Flugzeuge, bei deren Anblick er manchmal nicht sicher war, dass er sie lebend wieder verlassen würde. Man lerne viel draußen in der Welt, man müsse nur bereit sein, die Umstände so zu akzeptieren, wie sie sind. Nach einem Zug an der Zigarette sagte er: „Das Leben hat es gut mit mir gemeint."

Bernd Trautmann starb in seinem Haus in Almenara im Juli 2013 kurz vor seinem 90. Geburtstag.