Alle Jahre wieder lockt das weiße und rosa Blütenmeer spätestens Mitte Februar romantische Gemüter in Scharen auf die Insel. Doch der Mandelblüten-Hype würde in seiner heutigen Form gar nicht existieren, wenn die Reblaus nicht gewesen wäre: Im 19. Jahrhundert brachte eine Plage den Weinbau auf Mallorca zum Erliegen. Als Alternative begannen die Landwirte, in großem Stil Mandelbäume anzupflanzen. Erst ab diesem Moment konnten Persönlichkeiten wie der Erzherzog Ludwig Salvator oder romantische mallorquinische Dichter wie Costa i Llobera die Schönheit des Mandelblüten-Panoramas rühmen.

Ein Aquarell des Malers Erwin Hubert aus den 1930er-Jahren.

Ein Aquarell des Malers Erwin Hubert aus den 1930er-Jahren. Brigitte Rohm

Zeitlich fiel das genau mit dem Beginn des Tourismus zusammen, sagt Eduard Moyà von der Balearen-Universität, Spezialist für Reiseliteratur zu den Balearen. Das Kuriose: „Die Reisenden des frühen 20. Jahrhunderts empfanden die Felder mit blühenden Mandelbäumen als etwas sehr Traditionelles und Authentisches, obwohl es sie hundert Jahre zuvor noch gar nicht gegeben hatte“, so Moyà. „Das ist gewissermaßen die Erfindung einer Tradition.“

Für Radierungen und später auch Fotografien der Reiseliteratur Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts habe man Elemente des Mittelmeerraums mit Wiedererkennungswert gesucht. Speziell auf Mallorca waren Esel und Olivenbäume typisch, hinzu kamen Bauern (payeses). „Hier taucht der Mandelbaum als Rahmen für Pärchen auf“, erklärt Moyà. Die Blüten spielten eine symbolisch aufgeladene Nebenrolle: „Touristen dieser Zeit assoziierten die Essenz der Mandelblüte mit der Natürlichkeit und Unschuld der mallorquinischen Bäuerin“, so der Literaturwissenschaftler. „Das hat auch eine sexuelle Komponente: die flüchtige Schönheit, die wir nur für kurze Zeit betrachten können, bevor sie dahin ist.“

Gegenentwurf zum industrialisierten England

Dank dieser Vorgeschichte begann die Blüte laut Moyà dann ihren Siegeszug als Solo-Motiv auf Fotografien und Zeichnungen: als Inbegriff der reinen, unverfälschten Insel und auch als dezidierter Gegenentwurf zu England mit seinen rauchenden Fabrikschloten. „Ausgehend davon gab es ab den 1950er-Jahren eine regelrechte Mandelblüten- Explosion auf den ersten Schwarz-Weiß-Postkarten: Felder mit blühenden Bäumen wurden zu absoluten Protagonisten.“

Für Moyà ist unser Bild von der Mandelblüte pure Konstruktion, aber gut durchdacht: Sie löste das Verlangen aus, das zarteste Kleinod zu suchen, was diese Insel zu bieten hat und das sie wie ein exklusives Geheimnis hütet. „Die Mandelblüte ist nicht so mainstream wie Sonne und Strand, sondern hat auch etwas Snobistisches“, sagt er. Wenn man ein Feld besuche, das nur eine Woche lang blüht, sei das wie ein Statussymbol, mit dem man sich von Ballermann-Urlaubern abgrenzen könne.

Narrativ der idyllischen und freundlichen Insel

„Im Kontext der Tourismus-Werbung wurde das Motiv blühender Mandelzweige spätestens seit den 30er-Jahren eingesetzt“, sagt Ekkehard Schönherr. In seiner Dissertation betont der Historiker, dass Mallorcas Fremdenverkehrsverband Foment del Turisme eine große Bedeutung als Produzent von Mallorca-Bildern hatte: So schuf der österreichische Maler Erwin Hubert für Postkarten und Broschüren zahlreiche helle Aquarelle, die das Narrativ der landschaftlich und bäuerlich dominierten, idyllischen und freundlichen Insel wieder aufgriffen. „Später taucht der blühende Mandelzweig auch auf dem berühmten Nido-Motiv für die Honeymoon-Kampagne ab circa 1945 auf“, so Schönherr.

Im Buch „Historia del Foment del Turisme de Mallorca“ von Antonio Vives Reus stößt man auf viele Meilensteine zur Popularität der Mandelblüte: So zierte im Winter 1930/1931 ein Mandelblütenfeld den Titel einer Reisebroschüre – mit dem Ziel, ein „starkes Gefühl von Leben im Winter auf der Insel“ zu vermitteln. 1948 gab es einen Fotowettbewerb speziell zum Thema Mandelblüte. Und die Besucherin Nummer eine Million, eine Frau Renard, gewann 1964 einen Gratisurlaub auf Mallorca, sie entschied sich für einen Aufenthalt in Palma genau zur Zeit der Mandelblüte.

Die berühmte Belebung der Nebensaison

Fernando Rosselló von Foment del Turisme erklärt: „Es spielte wohl auch die Absicht der Belebung der Nebensaison von Mallorca eine Rolle: Sie hat die Entwicklung begünstigt, dass aus der Mandelblüte eine Attraktion wurde.“ Bei einem Wettbewerb 1960 zur Förderung des Tourismus in der Nebensaison gewann unter 52.000 Einsendungen der Spruch „Majorca has everything, except winter“ (Mallorca hat alles außer Winter) – natürlich mit dem Bild eines blühenden Mandelbaums.

Auch die Reiseveranstalter versuchten, daraus ein Geschäft zu machen: Jan Christoph Ziesse von der Agentur Sidetours berichtet: „Tolo, einer unserer langjährigen Reiseleiter, der schon seit den 70er-Jahren dabei ist, kann sich erinnern, dass die Touristen im Februar die Mandelblüte schon immer sehr schön fanden. Aber erst Mitte der 80er-Jahre fing es mit den gezielten Reisen und Ausflügen zu blühenden Mandelbäumen an.“

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Die Wandlung der Mandelblüte zum Touristenmagneten könnte sinnbildlich dafür stehen, was auf Mallorca auch woanders passierte, sagt Moyà: „Die Bauern interessieren die Mandeln, nicht die Blüte. Dann kommt jemand und sagt: Nein, das Wichtige ist doch die Blüte! So verändert sich die ganze Dynamik: Man gibt dem Besucher das, was er will.“