Mallorca Zeitung

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100 Jahre Machtergreifung von Primo de Rivera: Die Auswirkungen der Diktatur auf Mallorca

Der Vorläufer von Francisco Franco kam 1923 an die Macht. Was sein Regime von der Franco-Zeit unterschied und welche Auswirkungen es hatte

Diktator Miguel Primo de Rivera (li.) mit dem Monarchen Alfonso XIII. Archiv

In der Nacht vom 29. auf den 30. November des Jahres 1923 zog ein solcher Sturm über die Insel, dass das Empfangskomitee und die Reporter vergeblich im Hafen von Palma ausharrten. Das Schlachtschiff „Jaime I“, mit dem der spanische König Alfons XIII. und Diktator Primo de Rivera von Italien aus Mallorca ansteuerten, musste in den Hafen von Alcúdia ausweichen.

Von dort ging es im Autokorso nach Palma, vorbei an in Windeseile geschmückten Fassaden und an Reihen jubelnder Menschen. „Unendlich müsste dieser Artikel sein, wenn wir die Gesten der Zuneigung und des Respekts gegenüber dem Monarchen im Detail beschreiben würden“, schrieb die Zeitung „La Almudaina“ in ihrer Ausgabe vom 1. Dezember jenen Jahres.

Die Verfassung außer Kraft gesetzt

Auch wenn der Bericht dennoch sehr detailreich ausfiel, wird Primo de Rivera lediglich wie ein weiterer Reisebegleiter aufgezählt. Dabei hatte der Generalkapitän von Katalonien gut einen Monat zuvor zusammen mit Gleichgesinnten einen Putsch angeführt, den der Monarch mehr oder weniger gutgeheißen hatte. Alfons XIII. beauftragte ihn gar offiziell mit der Bildung der Regierung – freilich besetzt mit Militärs und ohne Legitimation durch ein gewähltes Parlament. Rivera setzte die Verfassung außer Kraft, erklärte den Kriegszustand und entließ sämtliche Bürgermeister. Auch auf den Balearen wurden sie Anfang Oktober 1923 durch Militärs ersetzt.

So begann vor genau hundert Jahren die erste Diktatur in Spanien im 20. Jahrhundert. Sie sollte letztendlich sieben Jahre dauern und steht aus heutiger Perspektive im Schatten des späteren Franco-Regimes (1939–1975). Mitunter geht das Regime von Primo de Rivera deswegen als „Diktatur light“ durch – im Vergleich zu Franco wird sein Name nicht mit einem dreijährigen Bürgerkrieg verbunden. Alfons XIII. hatte ihm die Macht überlassen und dem Regime quasi monarchische Legitimität verschafft.

Miguel Primo de Rivera (li.) mit seinem Vizepräsidenten Severino Martínez Anido. Archiv

Hinzu kommt, dass sich das politische System, in dem sich Konservative und Liberale bis dato an der Macht abwechselten, nicht gerade mit Ruhm bekleckert hatte: Korruption und Reformstau, ungelöste soziale Probleme und Gewalt auf den Straßen, militärische Niederlagen im Protektorat Spanisch-Marokko – in den Augen vieler Zeitgenossen konnte es eigentlich nur besser werden.

Feindbild Katalanisch

Die Militärdiktatur mag weniger blutig gewesen sein, als es das Franco-Regime zumindest in seinen Anfangsjahren war. Doch die Einschränkungen der Freiheitsrechte, die Pressezensur sowie gerade die Unterdrückung der Regionalidentitäten und -sprachen veränderten auch das öffentliche Leben auf den Balearen. Primo de Rivera vermutete hinter ihnen separatistische Strömungen, gegen die er mit einem Dekret vom 25. September des Jahres 1923 anging.

Im öffentlichen Leben war nun Spanisch statt Katalanisch zu verwenden. Eine zuvor von der spanischen Regierung gewährte Subvention von 25.000 Peseten für das legendäre katalanische Gesamtwörterbuch „Diccionari català-valencià-balear“ wurde gestrichen – auch wenn der Kleriker und Sprachwissenschaftler Antoni Maria Alcover in keiner Weise des Separatismus verdächtig war.

Mallorquinische Flaggen verschwanden

Die mallorquinische Flaggen an den Rathäusern verschwanden. Auch die Kirche hatte die Insignien des spanischen Staates zur Schau zu stellen. Das war in den Augen des Regimes bei einem Brauch zu Fronleichnam der Fall, bei dem die Spanien-Flagge auf den Boden gelegt wurde, um eine Christusstatue daraufzustellen. Die Gläubigen rebellierten gegen die Anweisung aus Madrid. Die Lösung des Insel-Bischofs Gabriel Llompart: Er ließ die Spanien-Flagge stattdessen am Altar aufhängen.

War es um den Föderalismus im bourbonischen Zentralstaat ohnehin nicht gut bestellt, wurde der Einfluss der Insel-Politiker jetzt noch geringer. Statt der zwei Parlamentskammern Kongress und Senat gab es nur noch eine Nationalversammlung, statt Liberalen und Konservativen nur noch die Einheitspartei Unión Patriótica. Die drei mallorquinischen Entsandten in Madrid wurden in der öffentlichen Debatte praktisch nicht wahrgenommen.

In den Jahren zuvor hatte zumindest ein Balearen-Politiker ganz vorne mitgespielt: Antonio Maura y Muntaner war in der Zeit der Restauration (1875–1923) fünf Mal zumindest für kurze Zeit spanischer Ministerpräsident. Er distanzierte sich öffentlich von Primo de Rivera und zog sich ganz aus der Politik zurück.

„Dem Diktator gelangen eine relative Modernisierung des Landes sowie gewisse soziale und wirtschaftliche Fortschritte auf Kosten der Freiheitsrechte und unter Geringschätzung des Rechtsstaats."

Gerardo Muñoz Lorente - Historiker

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Patriot Joan March

Verstärkt in Erscheinung trat stattdessen eine andere historische Figur der Insel – Joan March. Der Schmugglerkönig und spätere Bankier hatte für die Liberalen die Wahlen von April 1923 gewonnen, konnte aber wegen des Putsches sein Mandat in Madrid nicht ausüben. Vor diesem Hintergrund muss man dann wohl auch die Haltung der Lokalzeitung „El Día“ sehen, die dem Magnaten gehörte. Im Gegensatz zu „La Almudaina“ und zur mehrheitlich gleichgültigen Haltung der Insel-Bevölkerung kritisierte das Blatt den Putsch und forderte damit die einsetzende Pressezensur heraus.

Der Diktator bezichtigte Joan March der Korruption, ließ ihn sogar festnehmen und vor Gericht stellen. Doch der pragmatische und ausgefuchste Geschäftsmann wurde nicht nur freigesprochen, er wusste sogar das Blatt zu wenden. „Nach einigen Monaten gelang es ihm dank seiner Kontakte, seines Einflusses, seiner Geschenke und Bestechungsgelder, vom Diktator als einer der wichtigsten wirtschaftlichen Stützen seines Regimes und als großer Patriot angesehen zu werden“, heißt es in der Chronik „Palma, la ciutat envaïda“, die die Vereinigung Palma XXI herausgegeben hat. Auch das Monopol für den Tabakhandel mit Ceuta und Melilla bekam March zugesprochen.

Die Rolle von General Valerià Weyler

Und noch eine andere historische Figur Mallorcas, an die heute der Name der Plaça de Weyler in Palma erinnert – gelegen zwischen Borne-Boulevard und Blumen-Rambla – war eng mit dem Schicksal der damaligen Diktatur verknüpft. Der altgediente und hochdekorierte General sowie frühere Kriegsminister Valerià Weyler schloss sich neben weiteren Militärs einer Gruppe republikanischer und liberaler Politiker an, die Primo de Rivera entmachten und die verfassungsrechtliche Ordnung wiederherstellen wollten. Die Operation sollte wegen des geplanten Ausführungsdatums in der Johannisnacht des Jahres 1926 als „Santjoanada“ in die spanische Geschichte eingehen.

Das Problem: Der Monarch erfuhr von den Plänen – und hielt weiter zum Diktator. Zwar kam es zur Verlesung eines euphorisch aufgenommenen Manifests in Madrid. Doch einige der Aufständischen sprangen ab, andere wurden von der Polizei gefasst, die Aktion scheiterte. General Weyler wurde festgenommen, aber nicht inhaftiert. Der Diktator veranlasste, dass der Name des Generals von Namen und Plätzen entfernt wurde. Auch in den folgenden Jahren appellierte Weyler vergeblich gegenüber König Alfons XIII., Primo de Rivera doch endlich zu entlassen.

Primo de Rivera im September 1923 auf dem Balkon des Generalkapitänsgebäudes in Barcelona. Archiv

Wirtschaftlich geht es voran

Dem Mangel an politischer, gesellschaftlicher und kultureller Freiheit auf den Balearen stand ein ordentliches Wirtschaftswachstum gegenüber. Palma erweiterte seinen Hafen, die Banca March wurde gegründet, es entstanden wichtige Bauwerke wie die Plaza de Toros, das Hotel Victoria am Paseo Marítimo oder das Telefónica-Gebäude am Borne-Boulevard.

Die sozialen Konflikte waren freilich nicht gelöst, sondern nur unterdrückt, und die Reformbemühungen von oben kamen nicht weit. „Dem Diktator gelangen eine relative Modernisierung des Landes sowie gewisse soziale und wirtschaftliche Fortschritte auf Kosten der Freiheitsrechte und unter Geringschätzung des Rechtsstaats“, urteilt Gerardo Muñoz Lorente, Historiker und Autor des Buchs „La dictadura de Primo de Rivera“. „Aber gerade die mächtigsten Gesellschaftsgruppen stellten sich den Vorstößen des Regimes für mehr Steuergerechtigkeit und soziale Reformen entgegen.“

Eine Art Blaupause

Trotz der rhetorischen Anleihen beim Regime von Mussolini hatte die Diktatur von Primo de Rivera nur wenig mit dem Faschismus am Hut, bereitete dem späteren Franco-Regime aber dennoch nicht unerheblich den Weg. So diente die Zeit als machtpolitisches Lehrbuch für Franco – vor allem hinsichtlich der Fehler, die es zu vermeiden galt. Auffällig sind auch die personellen Kontinuitäten. Der Sohn von Primo de Rivera, José Antonio, war etwa Mitbegründer der faschistischen Falange.

Kurz bevor Primo de Rivera angesichts schwindenden Rückhalts und geschwächt von einer Diabetes im Januar 1930 abtreten sollte, unternahm er noch einmal eine Balearen-Reise. Diesmal begleitete er den Infanten Jaime de Borbón auf dem nach ihn benannten Dampfschiff „Infante Don Jaime“ nach Menorca und Ibiza.

Weder er noch einer seiner Brüder bestieg jemals den Thron – ein gutes Jahr nach dem Rücktritt von Primo de Rivera wurde am 14. April die Zweite Spanische Republik ausgerufen. Die Monarchie hatte durch ihre Nähe zum Diktator mächtig an Ansehen eingebüßt. Mit Juan Carlos I. sollte im Jahr 1975 erst die übernächste Generation der Bourbonen auf den Thron zurückkehren – nach dem Ende einer weiteren Diktatur.

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