Mallorca Zeitung

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Ungewissheit und kaum Lösungen: Wie geht es nach der fünftägigen Auszeit von Pedro Sánchez in Spanien weiter?

Pedro Sánchez hat nach Vorwürfen gegen seine Frau über seinen Rücktritt nachgedacht. Nun macht der Premier weiter – und will die „Demokratie erneuern“. Was das bedeuten könnte

Pedro Sánchez bei einer Veranstaltung in Barcelona am 1. Mai. Kike Rincón/Europa Press

Fünf Tage lang hielt Pedro Sánchez ganz Spanien im Ungewissen über seine Zukunft. Am Montag (29.4.) trat er dann vor die Kameras vor dem Eingang zum Moncloa-Palast, dem Amtssitz des Ministerpräsidenten, und setzte dem Rätseln ein Ende. „Ich habe entschieden, weiterzumachen, mit mehr Kraft, wenn das überhaupt geht“, beteuerte der Regierungschef. Doch damit ist die Ungewissheit beileibe nicht verflogen. Denn Sánchez unterstrich, dass seine höchst kontroverse und ungewöhnlich Aktion einer fünftägigen Auszeit zum Reflektieren über seinen Verbleib im Amt einen „Neubeginn“ (punto y aparte) darstelle.

„Ich suchte indirekt eine Antwort der Gesellschaft“, erklärte Sánchez am Montag in einem Interview im Staatssender TVE. „Was sollen wir gegen die Lügen und die Polarisierung tun? Das ist eine notwendige Debatte. Nicht nur ich habe diese fünf Tage gebraucht, auch die Gesellschaft. Wir müssen fragen, was für ein Land wir wollen und wie wir unsere Demokratie schützen vor Pseudomedien, Gruppen, die Anzeigen stellen, vor Parteien, die mit Dreck werfen“, forderte der Sozialist.

Wie soll die Regenerierung aussehen?

Doch wie genau soll die von Sánchez angekündigte „Regenerierung“ aussehen? Die Opposition warnt vor einer Beschneidung der Pressefreiheit und einer Einmischung in die Justiz. Der Vorsitzende der konservativen Volkspartei (PP), Alberto Núñez Feijóo, unterstellte Sánchez sogar, „einen Regimewandel durch die Hintertür“ zu verfolgen. „Was Spanien braucht, ist eine neue, demokratische Regierung“, erklärte der Oppositionsführer. Für Sánchez und viele Kommentatoren liegt in dieser Aussage das Kernproblem: Die Konservativen sprechen der Minderheitsregierung der Sozialisten (PSOE) und des Linksbündnisses Sumar die demokratische Legitimität ab.

Ganz Spanien debattierte, was Sánchez durch den Kopf ging. | ILLUSTRATION: MONTECRUZ Aus Madrid berichtet Thilo Schäfer

Die von Sánchez unter Berufung auf den italienischen Autor Umberto Eco genannte „Schlammmaschine“ war der Auslöser für den „Brief an die Bürger“ vom 24. April, in dem er die Auszeit ankündigte. Am Morgen dieses Tages war bekannt geworden, dass ein Richter in Madrid Voruntersuchungen gegen die Ehefrau von Sánchez wegen Korruptionsverdachts eingeleitet hatte. Der Richter reagierte auf eine Anzeige von Manos Limpias, einer rechtsradikalen Organisation, die seit Jahren vornehmlich linke Politiker vor Gericht zieht, damit aber meistens scheitert. Die Anklage gegen Begoña Gómez fußt ausschließlich auf Medienberichten, deren Richtigkeit Manos Limpias sogar selbst infrage stellt.

In der Vergangenheit hat das Zusammenspiel zwischen Medien, die wahre, halb wahre oder erfundene Vorwürfe auspacken, die von den rechten Parteien weiter verbreitet werden und nicht selten vor Gericht landen, viele unschuldige Opfer gefordert, etwa die frühere Vize-Ministerpräsidentin von Valencia Mónica Oltra, auch die Linkspartei Podemos.

Das Problem der Justiz

Noch ist nicht klar, was Sánchez im Schilde führt, doch er betritt ein Minenfeld. Das Problem der Justiz liegt auf der Hand. Seit fünf Jahren blockiert die PP die Erneuerung des höchsten Selbstverwaltungsorgans der Richter, des Consejo General del Poder Judicial (CGPJ). Sogar eine von den Konservativen verlangte Vermittlung durch die EU-Kommission führte zu nichts. Für die Ernennung bedarf es einer Drei-Fünftel-Mehrheit. Das gibt der PP praktisch ein Vetorecht. Sánchez denkt nun offenbar über eine Reform des Ernennungsprozesses nach. Sein Koalitionspartner Sumar fordert offen, den CGPJ mit einer absoluten Mehrheit besetzen zu können. Doch damit drohten Probleme in Brüssel. Denn die EU wacht über die Unabhängigkeit der Justiz in den Mitgliedsstaaten und stellte deswegen auch Ungarn oder Polen an den Pranger.

Die Sache mit der Pressefreiheit

Noch brisanter ist ein Vorgehen gegen die „Pseudomedien“, über die Sánchez klagt. Es stimmt, dass es besonders in Madrid eine ganze Reihe konservativer Online-Medien gibt, deren Geschäftsmodell nicht ganz klar ist, da sie weder nennenswert viel Werbung noch zahlende Abonnenten haben. Viele leben von Subventionen der Regionalregierung und konservativen Geldgebern. Manche dieser Websites verbreiten Informationen, die oft jeder Grundlage entbehren. Die konservative Vorgängerregierung unter Mariano Rajoy ließ von Polizeieinheiten falsche Dossiers gegen politische Gegner ausarbeiten, die dann gezielt an diese Medien weitergereicht wurden.

Doch warnen die Kritiker vor einem Eingriff in die Pressefreiheit. Schließlich ist auch den Sozialisten und den Linken die Einmischung in die Medien nicht fremd. Mehr Transparenz bei der Finanzierung der privaten Presseorganisationen ist eine Lösung, die auch von europäischer Seite unterstützt wird.

Oppositionschef Núñez Feijóo hat seinerseits einen Reformvorschlag. Man müsse die Rolle des Partners oder der Partnerin des Ministerpräsidenten regulieren, im Sinne einer Offenlegungspflicht der beruflichen Aktivitäten und Kontakte. Der Umgang von Begoña Gómez mit Unternehmern im Rahmen ihrer Tätigkeit an privaten Business Schools ist der Kern der Anschuldigungen. Dass ein vereinbartes Sponsoring von 40.000 Euro für ein vor Gómez geleitetes Programm von Air Europa aber zur Rettung der Fluglinie mitten in der Pandemie führte, ist sehr schwer zu glauben. Schließlich wurden überall in Europa die Fluglinien vom Staat vor der Pleite bewahrt.

Kein Misstrauensvotum

Dass Sánchez aus seiner Bedenkpause, wie er behauptet, gestärkt hervorgeht, ist zu bezweifeln. Am Wochenende gab es in Madrid und weiteren Städten Demonstrationen für den Verbleib des Premiers, die stark von PSOE-Mitgliedern genährt wurden. Doch auch die Linken von Sumar und Podemos sowie Künstler und Intellektuelle protestierten für die Stärkung der Demokratie. Die Bündnispartner der Minderheitsregierung, die katalanischen und baskischen Nationalisten, waren über die Rücktrittsdrohung von Sánchez dagegen stark verstimmt. An der fortdauernden Unterstützung dieser Parteien für den Sozialisten hat aber selbst Núñez Feijóo keinen Zweifel, denn er verzichtete ausdrücklich auf ein Misstrauensvotum im Parlament. Die Stabilität der Linksregierung hängt derweil auch vom Ausgang der vorgezogenen Regionalwahlen in Katalonien am 12. Mai ab.

Was genau Sánchez bewirken will, wird sich noch zeigen. „Wenn ich heute einen Plan präsentierte, würden doch alle denken, dass das alles ein Manöver war“, so Sánchez bei TVE. „Aber das war es nicht.“

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