Heinrich Schön hat sehr gute Karten, das Spiel verläuft gut. Mathematisch gesehen sind seine Gewinnchancen mehr als hoch. Er setzt All-In - und verliert. Der unwahrscheinliche Fall ist eingetreten, dass sein Gegner noch besser dastand als er. Doch anstatt sich zu ärgern, setzt Schön eine zufriedene Miene auf. „Obwohl das Resultat schlecht war, habe ich bis zum Ende die richtigen Entscheidungen getroffen. Und das freut mich. Ich würde es jedes Mal wieder so machen und langfristig auch Erfolg damit haben."

Verqualmte Spielhöllenatmosphäre, verbissene Gesichter und schweißnasse Stirnen sieht man im Hotel Bella Playa in Cala Ratjada nicht. Stattdessen schallt Gelächter durch die Räume, die für das Poker-Camp reserviert sind. Auf den ersten Blick ist es eine heterogene Gruppe, in der sich Schön und die anderen Teilnehmer zusammengefunden haben: Menschen aller Altersklassen, verschiedenster beruflicher Hintergründe und Kleidungsstile. Doch sie alle vereint eine Sache: die Liebe zum Poker. Und der Drang, sich selbst zu verbessern.

„Um Geld geht es hier niemandem", sagt Juergen Bachmann. „Hier gibt's keine Zocker." Er ist einer der Koordinatoren des Camps, das von der Live-Poker-Schule Gaming Institute nun schon im fünften Jahr auf Mallorca veranstaltet wird. „Nur Anfänger glauben, dass Poker ein Glücksspiel ist. Ich würde es als Strategiespiel bezeichnen", so Bachmann. Die Intention des Kurses: Konzepte vermitteln, die zeigen, wie man anderen Spielern die Chips abnimmt. „Welche Karten man selbst auf der Hand hat, ist zweitrangig. Es geht um Denkweisen", sagt ­Bachmann. Eine Woche lang beschäftigen sich die zwölf Teilnehmer mit nichts anderem. Vormittags werden Vorträge gehalten, nachmittags gibt es Praxisworkshops, abends dann freies Spiel. „Und meist dauern die Gespräche dann bis tief in die Nacht an", so Bachmann. 2.150 Euro zahlen die Teilnehmer für die fünf Tage - Anreise, Unterkunft und Verpflegung nicht eingerechnet.

Teilnehmer Heinrich Schön ist der Kurs jeden Cent wert. „Man lernt hier von absoluten Hochkarätern", schwärmt er. Tatsächlich dürften die Namen der Coaches sogar Menschen ein Begriff sein, die sich nur am Rande für die Poker-Szene interessieren: Da sind unter anderem Stephan Kalhamer (Motto: „Zahler zocken, Könner kalkulieren"), studierter Mathematiker, Gründer des Gaming Institute und deutscher Teamchef bei der Weltmeisterschaft 2011, oder Jan Heitmann, bekannt als Trainer der TV-Total-Pokernacht, sowie Martin Sturc, der einzige Mensch, der den Poker-Computer „DeepStack" besiegt hat.

Schön entdeckte seine Freude am Poker vor zehn Jahren. Zunächst fing er unbedarft im Internet damit an. „Ich verlor häufig. Aber ich wollte mir damals wohl auch beweisen, dass man mit über 50 noch etwas völlig Neues gut erlernen kann", sagt Schön. Und so kaufte er sich zunächst Bücher und erstellte selbst Statistiken. „Aber ich kam an einen Punkt, an dem ich

autodidaktisch nicht mehr weiterkam." Und so stieß er auf das Gaming Institute und schließlich auf den Workshop auf Mallorca. „Ich war vergangenes Jahr dabei und dieses Mal habe ich mich so da­rauf gefreut wie ein Kind sich auf Weihnachten freut", berichtet er. „Hier trifft man auf so interessante und intelligente Leute. Wir alle lieben Poker. Es ist eine Lebenshaltung", sagt er.

Lebenshaltung, Philosophie, Denkweisen - immer wieder fallen diese Begriffe im Poker-Camp. „Poker ist mehr als nur ein Spiel. Es ist die Abbildung von realen Entscheidungsmechanismen, wie sie einem täglich begegnen können", so Profi Stephan Kalhamer. Davon ist auch Teilnehmer Heinrich Schön überzeugt. „Man kann viele Parallelen zum Leben ziehen", sagt er. „Immer wieder muss man Entscheidungen treffen, beruflich und auch privat. Und oft sind Situationen undurchsichtig. Man kennt nicht immer alle Komponenten", sagt Schön. Die Spielsituation, bei der er verlor und sich trotzdem gut fühle, wird er nicht vergessen. „Das ist eine tolle Erkenntnis, auch fürs wahre Leben", so Schön.

Schlechte Resultate bei richtigen Entscheidungen, das passiere auch Verantwortlichen in Unternehmen immer mal wieder, erklärt Mike König vom Gaming Institute. „Oft werden sie dann irgendwann gefeuert, weil die Chefs nicht die gesamte Situation betrachten." Hier müsse ein Umdenken stattfinden. „Zunächst wollte kaum eine Firma von unseren Unternehmensstrategien hören. Es klingt halt nicht gut, hoch zu Pokern. Aber mittlerweile beraten wir sogar Banken", sagt König.

Die Teilnehmer des Camps in Cala Ratjada wissen schon lange, dass Pokern nichts mit Unseriösität zu tun haben muss, sondern im besten Fall mit klarem Kalkulieren. Für Neulinge im Poker-Sport hat Heinrich Schön einen Tipp: „Immer in seinem finanziellen Wohlfühlbereich bleiben. Sonst wird man nervös, verliert die Konzentration. Und, was noch schlimmer ist: Man verliert den Spaß."