Als ich im Juli auf Mallorca ankomme, hoffe ich, dass durch die geografische Nähe zu Ibiza etwas von dort hierhin abstrahlt. Ich mache mich bei Resident Advisor, dem Online-Partykalender für elektronische Tanzmusik, auf die Suche. Im Gegensatz zu meiner Heimatstadt Berlin, wo an Wochenenden mehr als 40 Events um die Partygänger buhlen, ist das Angebot dünn. Ich hake das Thema innerlich ab. Wer Strand hat, kann ja auch mal ohne Party auskommen.

Einen Monat später. Der DJ-Superstar Carl Cox kommt auf die Insel, von der Deutschen Monika Kruse flankiert. Ich habe über sie geschrieben, bekomme deswegen Presseakkreditierungen. Ansonsten müsste ich absurde 60 Euro zahlen. Absurd ist an diesem Abend sowieso einiges, das Wort „Clubkultur" gänzlich unpassend. Schon vom Parkplatz aus sehen wir die riesige Bühne des Origen Fest in der Dämmerung bunt leuchtend. Über die LED-Wände flimmern aufwendige Visuals.

Ungefähr alle fünf Minuten kommt ein neuer Drop, immer wieder geht ein Meer aus Handys hoch. Pinke Prinzessinnenkrönchen blinken mit. Die Party geht schon einige Stunden; falls mal Befangenheit da war, ist davon nichts mehr zu spüren. Die Gesichter verraten, dass nicht nur Alkohol oder das aus zahlreichen Grüppchen herüberwehende Cannabis sie gelöst haben. Trotzdem stellt sich kein Gefühl einer Crowd als Einheit her - stattdessen Gedränge, immer wieder treten sich die Leute rücksichtslos auf die Füße.

Richtig absurd wird es im VIP-Bereich. Das ist ohnehin eine Einrichtung, die es in guten Clubs nicht geben sollte. In House und Techno geht es um Einigkeit, Gleichheit. Aber hier kann man sich zwischen Bartischen aus Plastik wichtiger fühlen als der Rest - oder man verpasst die wahre Action der Tanzfläche. Wir holen uns einen Drink und gehen wieder hinaus.

Die Szene mit dem VIP-Bereich wiederholt sich eine Woche später. Ich will in zwei Clubs erkunden, wie man in Palma-Stadt feiert. Zunächst steuern meine Begleitung und ich die Sala Luna in Es Jonquet an. Jede Woche findet dort die Partyreihe R33 statt, die namhafte DJs auf die Insel bringt. Miss Kittin spielt heute, eine DJ aus Frankreich. Sie ist schon seit den 90er-Jahren dabei und für rauen Electro bekannt - für mich wäre sie auch an jedem anderen Ort Grund genug, zu einer Party zu gehen.

Als ich gegen drei im Club ankomme, holt mich Mark Rubira, einer der zwei Betreiber der Partyreihe, an der Tür ab. Zunächst stellt er uns den Inhaber vor: Carlos sieht in seinem Hemd ein wenig so aus, wie man sich einen Strippenzieher des Nachtlebens vorstellt. Ihm gehören die Clubs „Boulevard" am Paseo Marítimo und in Barcelona, sowie das R33, aus dem auch die Partyreihe hier auf Mallorca hervorgegangen ist. Rubira wirkt mit seiner braun gebrannten Glatze und dem engen T-Shirt wie der Macher an seiner Seite, er ist bei R33 als Geschäftspartner eingestiegen.

Darüber erzählt er mir mehr, als wir an der Bar des VIP-Bereichs stehen. „Ich arbeite schon mein ganzes Leben in diesem Bereich, war zehn Jahre im Pacha Ibiza", sagt er. Vor allem deswegen habe er die Kontakte, um ohne große Überzeugungsarbeit bekannte DJs in wenig bekannte Clubs auf Mallorca zu holen. Ein Spezialpreis bei der Gage könne ebenfalls drin sein. Auch sonst profitiere er manchmal von der Nähe zu Ibiza. Im Oktober ist Seth Troxler da, den das Publikum vor ein paar Jahren zur Nummer eins eines wichtigen DJ-Rankings gewählt hat. „Am Montag spielt er auf Ibiza, dann kann er bei unserer Party am Sonntag hier sein."

Der VIP-Bereich liegt hinter der DJ-Kanzel, mit Blick auf den Paseo Marítimo. Aber wieder will ich raus, ab auf die Tanzfläche. Dort ist es rappelvoll, Typen in Tanktops und engen Poloshirts drängen sich neben aufgehübschten Frauen. Die Menge geht begeistert ab; Miss Kittin ist wortwörtlich am Einheizen. Niedrige Decken, die Lichter sind rot, die Luft spannungsgeladen. Mit acidlastigen House-Grooves kreiert Miss Kittin eine hedonistische Atmosphäre, wie sie nur selten gelingt. Vielleicht liegt es auch am überdurchschnittlich schwulen Publikum. Schwule verstehen etwas vom Feiern, nicht umsonst entstand die House Music unter anderem im Paradise Garage, einem Schwulen-Club in New York.

Die Nacht schreitet voran. Kurz bevor Miss Kittin um 6 Uhr Schluss macht, verlassen wir die Sala Luna. Taxi zum Warehouse.

Der Club liegt etwas außerhalb Palmas, in einem Gewerbe­gebiet. Ich mache mir keine Gedanken um die Uhrzeit, die Betreiber hatten mir geraten, spät zu kommen. „Spät" ist offensichtlich Definitionssache. Als ich ankomme, läuft gerade das letzte Lied. Trotzdem kann ich mir vorstellen, warum der Club von seinen Fans als „wie in Berlin" gepriesen wird. Die hohe, lang gezogene Lagerhalle ist schnörkellos und unprätentiös cool. Die DJ-Booth wird von zwei hohen Boxentürmen flankiert, der Sound ist kraftvoll.

Bei ein paar Kakao-Tequila-Shots erzählt der Besitzer Alberto Wagner, wie der Club entstand. Er habe lange Zeit in London gelebt, wo halblegale „Warehouse-Partys" in abgelegenen Industriegebieten nichts Ungewöhnliches sind. Nach seiner Rückkehr fehlte ihm hier etwas Ähnliches. Er ging das Projekt mit einer gewissen Naivität an, dachte zunächst, das wäre schnell auf die Beine gestellt. Fehlanzeige, schon vom Geld her. „Allein die Lüftung hat schon das geplante Budget aufgefressen. Ihm wurde klar, dass der Club etwas Langfristiges sein müsste. Seine Eltern halfen ihm bei der Beschaffung eines Kredits und verkauften sogar ihr Ferienhaus in Cala Deià, um ihn finanziell zu unterstützen.

Trotzdem muss er die laufenden Kosten sehr niedrig halten. Genauso wie im big business von Rubira sind Kontakte entscheidend. Die meisten Künstler sind Freunde, die er aus seiner Zeit in London oder über andere Leute kennt. Ab und zu ist jemand Bekanntes wie der Niederländer Peter van Hoesen dabei, aber darauf kommt es nicht an. Sondern auf die Qualität der Musik. Die ist reiner House, tendenziell minimal und deep. Sich hypnotisch drehend. Wagner ist es wichtig, sich von der elektronischen Musik, wie sie auf Mallorca bisher stattfand, abzusetzen. Auch er war beim überdimensionierten Carl-Cox-Festival. „Das hat richtig Angst gemacht", gemacht. R33 und Warehouse aber zeigen mit Erfolg, dass es auch anders geht.