Wer auf der Straße lebt ist ungepflegt, drogen- oder alkoholabhängig, schlicht: ein hoffnungsloser Fall. Auf einige Obdachlose mag das zutreffen - ganz sicher aber nicht auf alle. Das Obdachlosenheim Es Refugi in Palma nimmt Menschen auf, die alles andere sind als hoffnungslose Fälle. Hier stranden Männer, die vieles verloren, aber auch einiges zu gewinnen haben.

Es ist ein schönes Gebäude, nahe des Ocimax, durch das Toni Cañellas und Fernando Villalobos die MZ führen. Beige getünchte Wände, alte Torbögen, mallorquinischer Stil. „Es ist Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden und eignet sich sehr gut für unsere Zwecke", so Villalobos. Seit Juni ist er der Vorsitzende der gemeinnützigen Trägervereinigung Es Refugi, gemeinsam mit Koordinator Cañellas sorgt er dafür, dass Männer, die ihren Wohnsitz verloren haben, hier unter würdigen Bedingungen wohnen können, bis sie sich wieder in den Arbeitsmarkt eingliedern.

„Es gibt auf Mallorca keine zweite Einrichtung wie diese", so Villalobos und Stolz klingt in seiner Stimme mit. Einerseits, weil den Nutzern kein zeitliches Limit gesetzt wird, an dem sie wieder ausziehen müssen. Andererseits, weil man weit mehr als nur ein Dach über dem Kopf bieten will. „Wir schaffen für die Obdachlosen eine würdige Bleibe und sind darauf bedacht, sie ihren individuellen Bedürfnissen entsprechend zu behandeln", so Villalobos. „Jeden, der sich bei uns vorstellt - sei es aus eigener Initiative oder weil eine andere Hilfsorganisation ihn auf uns aufmerksam gemacht hat - befragen wir zunächst nach seiner aktuellen Lebenssituation", so Cañellas. Besteht eine Drogenabhängigkeit? Eine Alkoholsucht? Oder schwerwiegende psychische Probleme? Nur wenn diese Fragen mit „Nein" beantwortet werden können, stehen den Männern die Tore offen. „Diejenigen, die nicht in dieses Profil passen, vermitteln wir weiter an andere Stellen, Suchtprojekte oder Kliniken", so Cañellas. Seit knapp zwei Jahren ist er dafür zuständig, dass der Alltag im Es Refugi geregelt abläuft. Mittlerweile erkenne er recht schnell, ob die Bewerber den Anforderungen tatsächlich entsprechen.

„Die meisten Nutzer sind ältere Männer, die nicht seit Jahren auf der Straße leben, sondern gerade erst ihre Wohnung verloren haben. Sie verbringen höchstens ein paar Nächte ohne Dach über dem Kopf, bevor sie zu uns kommen", berichtet Cañellas. In den meisten Fällen seien es Mallorquiner. Aber auch Menschen aus Nordafrika oder anderen EU-Ländern sind darunter. „Gerade wohnt ein Franzose hier, auch ein Pole ist dabei." Vor allem seit die Mietpreise in Palma in exorbitante Höhen steigen, sei der Andrang enorm. „Meist haben wir lange Wartelisten. Dass wir momentan tatsächlich ein paar Plätze frei haben, ist eine Ausnahme."

Im Eingangsbereich befindet sich ein kleiner Essensraum. Die 44 Nutzer bekommen hier warmes Abendessen - zwei Hauptspeisen plus Nachtisch - sowie ein Frühstück. Auch ein Fernseher steht bereit, an einer Pinwand hängen nützliche Infobroschüren über Sozialprojekte und Hilfsangebote. „Zunächst werden die Männer hier aufgepäppelt, dann fangen wir mit ihnen gemeinsam an, über ihre Zukunft zu sprechen." Ein zehnköpfiges Team aus Sozialarbeitern und Coaches steht den Bewohnern zur Seite. Hinzu kommen ehemalige Nutzer, die gegen Entlohnung bei organisatorischen Dingen helfen. „In vielen Fällen schaffen es die Männer tatsächlich, wieder eine feste Arbeit und mittelfristig eine eigene Wohnung zu finden."

So lange stehen die sanitären Anlagen samt Waschmaschinen und Trockner und fünf Schlafsäle zur Verfügung. Die Hochbetten und die einfache Einrichtung erinnern an eine Jugendherberge, die Infrastruktur aber ist gut. „Die Fenster haben wir erneuern lassen, damit es wohltemperiert ist", so Villalobos. Schmuddelige Wäsche sucht man vergeblich, auf Kleiderbügeln hängen Hemden und Jacketts, teilweise von transparenter Schutzfolie umhüllt. Die Nutzer kämen häufig aus einfachen, aber geregelten Verhältnissen, ihr Gleichgewicht sei durch Schicksalsschläge ins Wanken geraten, sagt Cañellas.

Staatliche Subventionen bekommt die Vereinigung nicht. Dass Es Refugi seit 1992 Zuflucht bieten kann, dazu tragen die rund 50 zahlenden Mitglieder bei. Hinzu kommen Einnahmen von Weihnachtsmarktständen, die Es Refugi alljährlich am Kulturzentrum Misericòrdia in Palma organisiert, sowie Mieteinnahmen, die der Inselrat monatlich überweist, um andere Gebäudeflügel des Anwesens für seine Zwecke nutzen zu dürfen.

„Und dann sind da natürlich die Privat- und Firmenspenden, die uns sehr weiterhelfen", so Villalobos. Fast täglich kommen Essenslieferungen an - ältere Ware aus Supermärkten oder von Großhändlern, und alle paar Monate auch Spenden aus der europäischen Lebensmittelbank. In großen Regalen lagern die Zutaten in Räumen hinter der Küche. „Heute gibt es Hühnersuppe und Schnitzel mit Gemüse", sagt Koch Eduardo Fernández. Er bereitet das Mittagessen zu - die einzige Mahlzeit am Tag, die nicht für die Bewohner, sondern für auswärtige Bedürftige hergerichtet wird. „20 Menschen können wir so ein ausgewogenes Mahl bieten, auch Frauen sind beim Mittagessen willkommen." Den Tag über halte sich der Großteil der Bewohner ohnehin nicht in der Herberge auf. „Viele sind unterwegs auf der Suche nach Arbeit", so Villalobos.

Der frühere Arbeitsinspektor hat große Pläne für Es Refugi. „Ich war vorher jahrelang nur Vereinsmitglied, aber als ich Anfang des Jahres in Rente ging und mich eigentlich langweilen wollte, haben sie mich nicht gelassen und überredet, den Posten des Vereinsvorsitzenden zu übernehmen", sagt er. Er wolle die Vereinigung zur Stiftung umorganiseren, berichtet er. „Dann können wir auch öffentliche Hilfsgelder beantragen." Zudem soll ein weiteres Zimmer, das bisher ungenutzt ist, zum Schlafsaal ausgebaut werden. „,Um den Nutzern mehr Komfort zu bieten." Auch Computer wolle man anschaffen, als Informationsquelle für Job- oder Weiterbildungsmaßnahmen. Denn: „Es Refugi ist ein Zufluchtsort, aber auch ein Sprungbrett."

Spendenkonto der Asociación Es Refugi bei der Caixa Bank: IBAN ES76 210009674 00200141573. Weitere Informationen auf asociacionesrefugi.org