Rund 4.000 Personen sind am Freitag (28.6.) zum jährlichen Christopher-Street-Day (Orgullo Gay) durch Palma gezogen, um für die Rechte von Lesben, Schwulen, Trans- und Bisexuellen (kurz: LGTB) zu demonstrieren. Der legendäre „Stonewall-Aufstand" von New York, an den der weltweite Aktionstag erinnert, jährt sich zum 50. Mal. Die Vereinigung Ben Amics, die zudem 25. Geburtstag feiert, stellt dieses Jahr vor allem die Diskriminierung von Lesben und Schwulen im Alter in den Vordergrund.

Sie kritisieren, dass sie gleich in doppelter Hinsicht diskriminiert werden. Warum?

Die Gesellschaft ist hinsichtlich der Schönheitsideale und moralischen Vorstellungen ohnehin auf die junge Generation fixiert. Es gibt Menschen in Spanien, die ihr ganzes Leben für die Rechte von Lesben und Schwulen gekämpft und nach ihren Vorstellungen gelebt haben, sich im Alter aber wieder verstecken.

Wenn sie in eine Seniorenresidenz ziehen?

Zum Beispiel. In der Gesellschaft werden LGTB-Menschen nicht mit Senioren assoziiert. Das gilt in verstärkter Form für Transsexuelle.

Sind dennoch ältere Menschen zur Demonstration in Palma gekommen?

Wir hatten altgediente Aktivisten eingeladen. Die Ben Amics wurden zwar vor 25 Jahren gegründet, die Schwulen-Bewegung auf den Balearen ist jedoch älter. Ende der 70er-, Anfang der 80er-Jahre begann - parallel zur Bewegung in Katalonien - die Front d'Alliberament Gai (FAGI) auf den Inseln aktiv zu werden. Wir hatten auch ältere Transsexuelle eingeladen, aber sie wollten nicht im Mittelpunkt stehen. Dass einige Aktivisten der ersten Stunde zur Demonstration kamen, war bewegend.

Die Aktivisten von damals dürften Spanien heute nicht wiedererkennen, oder?

Die Situation war völlig anders. Die ersten Aktivisten gingen gegen Gesetze an, die Lesben und Schwule als soziale Gefahr ansahen und sie diskriminierten. Heute kämpfen wir auf den Balearen für die Umsetzung eines Gesetzes von 2016, das die LGTB-Rechte garantieren und Homophobie bekämpfen soll. Es fehlt beispielsweise noch an der institutionellen Beratung von Betroffenen, die das Gesetz vorsieht. Auf dem langen Weg zur Gleichberechtigung gab es zwei wichtige Zäsuren: die gleichgeschlechtliche Ehe, die die Zapatero-Regierung in Spanien 2005 beschloss, und das Gesetz zur Änderung der sexuellen Identität von 2007.

War das vor allem der Erfolg von Aktivisten oder schlicht gesellschaftlicher Wandel?

Die Gesellschaft hat sich gewandelt, aber die LGTB-Bewegung war unabdingbar, und so ist es noch heute. Im Jahr 2005 dachten auch einige in der sozialistischen Partei, dass die Gesellschaft noch nicht reif für den Wandel sei. Aber Personen wie Pedro Zerola haben das Projekt vorangetrieben, er war auch als Politiker Aktivist. Hat die gleichgeschlechtliche Ehe die Gesellschaft verändert oder der Wandel der Gesellschaft die gleichgeschlechtliche Ehe ermöglicht? Ich glaube, es war Ersteres.

Mit welchen Sorgen kamen Menschen vor 25 Jahren zu Ben Amics, worum geht es heute?

Damals ging es vor allem um das Outing und die Beratung bei Aids-Infektionen. Heute gibt es den größten Beratungsbedarf bei Trans­sexuellen und Homophobie.

Die Rechtspartei Vox ist zum neuen Lieblingsfeind der LGTB-Bewegung geworden, den Balearen-Vorsitzenden Jorge Rechtspartei VoxCampos

Beispiel Balearen: Das Programm von Vox spricht sich gegen das LGTB-Gesetz von 2016 aus. Aber Vox steht mit dieser Haltung nicht allein da. Die Partei ist aus dem rechten Rand der konservativen Volkspartei (PP) entstanden, die damals gegen die Homo-Ehe vor das Verfassungsgericht gezogen war. Heute steht Vox für diese Haltung - mit dem Unterschied, dass die Ablehnung der LGTB-Bewegung jetzt ganz offen zur Schau gestellt wird. Mir macht weniger diese Ideologie Sorgen, als die Reaktion von Lesben und Schwulen. Die Hemmschwelle, öffentlich zu sich zu stehen, könnte wieder höher werden, wenn diese Ideologie in den öffentlichen Institutionen vertreten ist.

Zur Demonstration in Palma kamen besonders viele Jugendliche. Sind Komplexe wirklich noch ein großes Problem?

Das war interessant zu sehen. Ich hätte es schön gefunden, mit 14 oder 15 Jahren diese Freiheit zu haben, die ich damals nicht hatte. Ich hätte Vorbilder gebraucht, zum Beispiel unter Lehrern. Das hätte mein Leben verändert, auch wenn ich als „Millennial" natürlich leichten Zugang zu allen wichtigen Informationen hatte. Ich habe erst im Nachhinein erfahren, wer von meinen Lehrern schwul oder lesbisch ist. Heute kommen die Jugendlichen zusammen mit ihren heterosexuellen Freunden zu den Demonstrationen. Man muss kein Wal sein, um für Greenpeace einzutreten.

Auf der Kundgebung waren auch antikapitalistische Slogans zu lesen. Ist diese Vermischung mit politischen Ideologien gut?

Aktivismus ist politisch. Da werden Dinge vermischt, die aber nicht inkompatibel sein müssen. Es geht auch um Synergien, und wir wollen niemanden diskriminieren. Aber auch eine konservative Partei war vertreten, El Pi.

Sie meinen die Zentrumspartei.

El Pi ist durchaus konservativ, die Parteibasis in den Dörfern ist traditionell und katholisch geprägt. Wir wertschätzen die Unterstützung von El Pi. Weder PP, noch Ciudadanos waren vertreten, zumindest nicht institutionell.

Müssen sich Vertreter öffentlicher Institutionen outen oder ist das ihre Privatsache?

Die sexuelle Identität ist zunächst Privatsache. Für eine Minderheit ist es wichtig, sichtbar zu sein. Was man nicht sieht, existiert nicht. Junge Leute sollen sehen, dass die sexuelle Orientierung nicht ausschlaggebend für Karriere oder gesellschaftliche Stellung ist.

Hat die Gewalt gegen Lesben und Schwule in letzter Zeit zugenommen oder nur die Zahl der Anzeigen der Betroffenen?

Ich hoffe, dass es nur die Anzeigen sind. Die öffentliche Verwaltung, Polizei und Justiz müssen bei der Bearbeitung solcher Anzeigen noch dazulernen. Vor ein paar Wochen wurde ein Transsexueller auf Formentera angegriffen, und die Guardia Civil nahm seine Aussage nicht ernst, trotz medizinischem Gutachten.