Mehr als 25 Jahre ist es her, dass der Architekt Carlos García-Delgado (77) unter dem Pseudonym Guy de Forestier das Buch „Queridos Mallorquines" veröffentlichte. Nun ist eine Fortsetzung dieser auch in der deutschen Übersetzung („Geliebte Mallorquiner") sehr erfolgreichen launigen Gebrauchsanweisung für die Inselbewohner erschienen, mit dem Titelzusatz „Ahora en serio" (Jetzt im Ernst).

Die Illustrationen stammen erneut von Pere Joan. Diesmal geht es dem Architekten und Autor weniger um die Beschreibung des mallorquinischen Charakters, sondern um eine Analyse der von ihm angenommen historischen Wurzeln dieses Wesens. So kombiniert er bereits vollendete Kapitel, die es nicht in den ersten Band geschafft hatten, und wissenschaftlich anmutende Abhandlungen über die Inselgeschichte. Im MZ-Gespräch erklärt García-Delgado, warum Rafael Nadal für ihn ein prähistorischer Mensch ist, was die Häuser in Pompeji und auf Mallorca verbindet und warum er so andere Töne anschlug als bei seinem gut gealterten Bestseller.

Sie hatten bislang keinen zweiten Teil von „Queridos Mallorquines" geschrieben, weil Sie das nicht für angebracht hielten. Wie kam es zu dem Sinneswandel?

Der Verleger hat nicht lockergelassen. Aber es war nicht nur das: Wenn man ein Buch ­herausbringt, überlegt man hinterher immer, was man noch alles hätte erzählen können. Vor allem wollte ich noch ausführen, ­warum die Mallorquiner so sind, wie sie sind. Denn ganz Europa ist voll von seltsamen Menschen, wir sind aber alle verschieden. Und in diesem Fall fragte ich mich: Woher kommen diese Unterschiede?

Und welche Erklärung haben Sie dafür?

In Spanien lernt man in der Schule, dass die ersten Siedler die Iberer waren, dann kamen die Kelten. Aber auf Mallorca gab es weder die einen noch die anderen. Dafür gab es die Talaiot-Kultur. Diese Menschen ließen niemanden hinein - im Mittelmeerraum ein einzigartiger Fall von Isolation, der natürlich Auswirkungen haben musste. Ich ziehe derzeit oft Strabons „Geographika" zurate, denn sie erklärt, was vor 2.000 Jahren auf der Iberischen Halbinsel zur Zeit der römischen Besiedlung geschah. Das Buch erzählt davon, wie die Menschen an den jeweiligen Orten waren. Das ist unglaublich interessant! Denn dieselben Unterschiede, die wir heute noch be­obachten können, gab es schon damals. Die Bewohner der Balearen werden als nackte Menschen beschrieben, die Steine schleudern und praktisch mit niemandem sonst Umgang pflegen. Wir denken immer, 2.000 Jahre seien eine lange Zeit, aber das ist nicht wahr. Und es ist deshalb nicht verwunderlich, dass es aus der Talaiot-Zeit noch Spuren gibt.

Wie die Talaiots, die kolossalen Steintürme aus der mallorquinischen Vorgeschichte...

Ja, und die Talaiots sind im Grunde Wehrtürme. Meiner Ansicht nach dienten sie der Verteidigung gegen Angriffe, die von anderen Siedlungen ausgingen, auch wenn manche Archäologen anders darüber denken. Man brauchte ein sicheres Versteck, und ich glaube, die Menschen flüchteten sich in diese Türme hinein. Das färbt auf den Charakter ab: Hier gab es keine Ausländer, gegen die man hätte kämpfen können. Gegen wen musste man sich also verteidigen? Gegen den Nachbarn. Dieses Gefühl, sich vor seinem Nachbarn schützen zu müssen, den Nachbarn als Feind zu betrachten - ich glaube, das ist den Mallorquinern bis heute geblieben. Die Nachbarschaftsstreits hier sind fürchterlich. In ­Katalonien gibt es so etwas nicht. Da bemüht man sich um ein freundschaftliches Verhältnis und tut sich gegenseitig Gefallen.

Ein Kapitel im Buch heißt „¡Uro, uro, uro!". Das klingt auch ziemlich prähistorisch.

Ich glaube, es ist das letzte Wort, das aus dieser Zeit überlebt hat. Ich finde es sensationell. Denn es ist sehr ausdrucksstark und kommt nicht aus dem Kopf, sondern direkt aus den Eingeweiden. Je nachdem, wie man es betont, bedeutet es etwas anderes. Die Grundbedeutung ist „Exzess". Wenn etwas völlig entgleist, dann ist das „uroooo". Dann kann es aber auch ein Alarmsignal sein, wenn man eine Gefahr kommunizieren will: Uro, uro, uro!

Wie schaffen Sie den thematischen Sprung von der Talaiot-Kultur zu Tennisstar Rafael Nadal?

Ich denke mir schon seit Beginn seiner Karriere: Der Junge kommt aus dem Talaiotikum. Ich meine das im besten Sinne: Selbst physisch trägt er die Züge einer starken Person. Und sein sogenannter „Bananenball" ist die gleiche Bewegung wie die der prähistorischen Steinschleuder. Es scheint mir da eine Verbindung zum Tennis zu geben.

Haben Sie noch andere überraschende Verbindungen aufgedeckt?

Das mallorquinische Haus ist auch so ein Überbleibsel, bei dem man sich fragt: Wo kommt es eigentlich her? Es hat mich einiges an Zeit gekostet, herauszufinden, welche Ursprünge dieses typische Haus mit einer zentralen Tür und zwei Fenstern an den Seiten hat, das man überall auf der Insel findet. Auch Andalusien ist voll davon. Ich dachte mir: Vermutlich haben es die Mauren mitgebracht, denn die Katalanen konnten es nicht sein. Das katalanische Haus sieht anders aus. Aber die Lösung des Rätsels liegt auf Ibiza. Auf der Nachbarinsel baute man nämlich typischerweise weiß getünchte, würfelförmige Häuser. Das ist eine vollkommen andere Architektur als auf Mallorca. Wie kommt das? Nun, das ibizenkische Haus ist eigentlich das karthagische Haus, das man auch in Nordafrika und in Südspanien vorfindet. Bis nach Mallorca sind die Karthager aber nicht gekommen. Die ersten „zivilisierten" Menschen hier waren die Römer. Und sie bauten mit einer Tür und zwei Seitenfenstern. Auch in Pompeji gibt es Häuser, die so aussehen wie die auf Mallorca.

Wie werden die Fans des lustigeren ersten Buchs auf die ernste Fortsetzung reagieren?

Ich verstehe es, wenn Leute sagen, ihnen gefiel das erste Buch besser. Ich mochte das erste Buch auch lieber, denn es war durch irgendeine günstige Sternenkonstellation eine runde Sache - obwohl ich es in nur zwei Wochen geschrieben hatte. Das lässt sich nicht wiederholen oder übertreffen. Diesmal wollte ich durch den Titelzusatz „Ahora en serio" deutlich machen, dass der Ton anders ist. Aber es gibt auch ein paar Kapitel mit Anekdoten, die an den Vorgänger anknüpfen.

Eine amüsante Anekdote rund um den ersten Band handelt von einem Deutschen, der im Alleingang das Buch übersetzte.

Ja, das war einmalig! Das Buch war gerade seit zwei Wochen erschienen, da klingelte das Telefon und ein Herr mit starkem deutschen Akzent sagte: „Sie wissen es noch nicht, aber Sie haben ein sehr wichtiges Buch geschrieben." Ich bedankte mich und sagte, es werde vielleicht auch auf Deutsch übersetzt. Daraufhin antwortete er: „Ich bin schon bei der Hälfte."

Was hat sich am mallorquinischen Wesen seit dem ersten Band verändert?

Damals gab es noch viele Mallorquiner, die ihr Leben lang die Insel nicht verlassen hatten. Der Charakter schmorte über viele Jahrhunderte im eigenen Saft. Auch heute noch gibt es Leute, die genau wie damals in Sa Pobla oder Montuïri leben und für die sich kaum etwas geändert hat. Aber bei den Jüngeren wandelt sich die Mentalität. Inzwischen sind vielleicht 30 oder 50 Prozent der Bevölkerung viel um die Welt gereist oder haben schon an anderen Orten gelebt.

Sie schreiben an einer Stelle des Buches: „Der mallorquinische Charakter hat begonnen, sich aufzulösen wie ein Eiswürfel im Kräuterlikör Túnel."

Das geschieht überall: Handys, Schuhe, Kleidung, Autos, Häuser, alles ist heute auf der ganzen Welt gleich. Was sich unterscheidet, ist unser Inneres. Die Art zu denken, die ­Lebensphilosophie der Menschen ändert sich nicht so leicht. Vom Eiswürfel schmilzt nur die oberste Schicht, innen bleibt er fest.

Wie bewerten Sie das Verhalten der Mallorquiner während der Pandemie?

Ich antworte mit einer Anekdote. Nach dem Erscheinen des ersten Buches schickte mir ein Mann einen Brief, dem er das Sonett eines Gouverneurs aus dem 18. Jahrhunderts beilegte, der von der Zentralregierung nach

Mallorca gesandt worden war. Er hatte das Sonett für seinen Nachfolger verfasst. Es besagte, er solle sich überhaupt keine Sorgen machen. Denn er komme an einen Ort, wo sich niemand über irgendetwas beklagte. Ich glaube, während der Pandemie war es ähnlich: Die Mallorquiner sind keine Rebellen wie die Franzosen oder Katalanen. Sie sind gehorsamer und tun, was eben getan werden muss.

Gab es diesmal wieder etwas, das Sie im Buch nicht mehr unterbringen konnten?

Ich habe erst hinterher eine Kiste mit der Aufschrift „Queridos Mallorquines 2" entdeckt, die ich völlig vergessen hatte. Noch habe ich nicht hineingeschaut. Vielleicht gibt sie ja ­genug Material für einen dritten Band her.

Beim letzten Interview hatten Sie uns das Buch „Queridos alemanes" versprochen. Wie steht es aktuell um das Projekt?

Das liegt auf Eis, obwohl es schon zur Hälfte fertig ist. Ich weiß nicht, ob ich die Zeit finden werde, um weiterzumachen, aber ich hätte große Lust dazu.