Es ist der von Rockfans wohl meist­erwartete Film des Jahres. Nur wenige Tage nach der Premiere der Dokumentation „Supersonic" über die Band Oasis wird sie am 4.11. im Rahmen des Evolution Festivals im CineCiutat gezeigt (21 Uhr, mit Anwesenheit der Produzentin). Regisseur Mat Whitecross („The Road To Guantanamo") hat -neben vielen anderen Zeitzeugen - jeweils 20 Stunden Interviews mit den zerstrittenen Gallagher-Brüdern Noel und Liam geführt. Und erzählt in seinem Film über eine unwahrscheinliche Erfolgsgeschichte zweier Jungs aus der Arbeiterklasse, die zu einer der größten Rockbands der 90er-Jahre wurden.

Herr Whitecross, warum ist jetzt der richtige Moment, um die Geschichte von Oasis zuerzählen?

Ich habe viel mit Noel über diese Frage gesprochen. Er ist der Ansicht, dass es eine Band wie Oasis heute nicht mehr geben könnte. Das liegt sicher an der Musikindustrie und wie wir Musik konsumieren. In England hatten wir damals die Sendung „Top Of The Pops", die jeder schaute. Sogar deine Großmutter wusste, wer in dieser Woche auf Platz eins der Charts war. Und man hing wirklich noch an den Bands. Es ging nicht darum, ob man Indie oder Hip-Hop hört, sondern ob man Blur oder Oasis mochte. Wie bei einer Fußballmannschaft. Was Noel aber vor allem ärgert, ist, dass die Musik­industrie heute so glattpoliert ist. Niemand geht ein Risiko ein, wie damals der Manager Alan McGee, der Oasis entdeckte.

Es ist also ein nostalgischer Film?

In gewisser Hinsicht, ja. Aber er soll jungen Leuten auch nicht vermitteln, dass sie schon verloren haben. Er soll eher zu den Waffen rufen. Wenn Oasis es schaffen konnte, könnten es junge Musiker auch schaffen. Auch wenn das Klima heute nicht gerade empfänglich ist.

Sie haben separat mit Noel und Liam gesprochen. Bewerten sie ihre Zeit bei Oasis unterschiedlich?

Noel ist da nüchterner als Liam. Bei ihrem ersten US-Konzert in Los Angeles 1994 hatte die Band etwa ein ziemliches Chaos veranstaltet. Wenn man heute mit Noel spricht, sagt er: Das war eine Schande, wie wir uns benommen haben. Liam hingegen sagt: Wir würden jetzt kaum über dieses Konzert reden, wenn wir eine langweilige Show abgeliefert haben. Sie haben beide recht und liegen beide falsch. Es ist eine der zentralen Fragen des Films: Was macht eine Rock?´n´?Roll-Band gut? Die Musik? Der Look? Die Attitüde? Die Exzesse? Ich glaube, es ist eine Mischung aus allem.

Bereuen die beiden eigentlich die Schlagzeilen?

Sie sind Teil ihrer Geschichte. Noel bereut sie vielleicht mehr, weil er weiß, dass die Band noch größer hätte sein können. Oasis wollten wie ihre Vorbilder sein, wie die Beatles. Das hieß, dass sie Singles veröffentlichten, deren B-Seite genauso gut war wie die A-Seite. Das ist kommerzieller Selbstmord. Noel sagte mir: Wenn wir alle B-Seiten aufbewahrt und daraus das dritte Album gemacht hätten, würde ich jetzt nicht mit dir, sondern mit Martin Scorsese reden. Aber er zermartert sich auch nicht das Hirn deswegen.

Im Film erzählen Sie aus der Anfangszeit der Band von 1993 bis 1996, in der zwei Brüder etwas gemeinsam auf die Beine stellen. Aber Sie erzählen es in einer Zeit, in der diese Brüder nicht miteinander sprechen. Es heißt, beide hätten sich übereinander erkundigt.

Das stimmt. Oft, wenn ich eine Frage gestellt habe, sagte einer: Was hat „unser Junge" zu diesem Thema gesagt? So nennen sie einander. Aber es ist natürlich noch viel Liebe zwischen ihnen da. Und Peggy, ihre Mutter, sagte mir, dass Liam vier- bis fünfmal am Tag anruft und sich immer wieder nach Noel erkundigt. Und dass Noel auch immer nach Liam fragt. Es gibt eine Verbindung zwischen den beiden, nur kriegen

sie es im Moment nicht hin, mitei­nander zu reden.

Mit dem ganzen Fokus auf den Gallagher-Brüdern: Haben sich die anderen Bandmitglieder nicht wie die zweite Garde gefühlt?

Wir haben mit den anderen Jungs gesprochen. Für die war dieses Verhältnis normal. Die Hauptattraktion von Oasis waren nun einmal Liam und Noel. Aber wir haben alle Protagonisten im Film vorkommen lassen, die mit uns reden wollten.

Vor Oasis gab es viele andere gute Bands in Manchester wie The Smiths oder The Stone Roses, ganz zu schweigen, was Großbritannien ansonsten zu bieten hatte. Doch kaum jemand wurde so groß wie Oasis. Was hat den Unterschied gemacht?

Oasis haben den richtigen Ton getroffen. Wir kamen aus einer Phase tiefstem Konservatismus, und Großbritannien schöpfte wieder Hoffnung. Diese hymnischen Songs gepaart mit positiven Texten zum Mitsingen passten zum Zeitgeist. Grunge war voller Energie, aber zu negativ. Dance-Musik war positiv, aber inhaltsleer. Oasis lagen irgendwie dazwischen.

Kann man sagen, Oasis haben den „britischen Traum" gelebt?

Den haben wir ja nicht wie die US-Amerikaner. Aber ja, sie haben sich aus dem Nichts hochgearbeitet. Noel und Liam sind sich dessen bewusst. Und alles was danach passiert ist, haben sie als Teil des Deals akzeptiert - ob nun positiv oder negativ.