Aufgeregt lief Tomeu l‘Amo in die nächste Bibliothek und ließ sich den größten Band mit Werken von Salvador Dalí geben. Es war das Jahr 1989. Der Mallorquiner hatte in einem Antiquariat in Girona (Katalonien) ein Bild gesehen, das einfach von dem großen Meister des Surrealismus stammen musste. Als er die anderen Werke anguckte, war sich l‘Amo sicher. Er ging zurück und kauft das Bild für 150 Euro. Es war sogar vom Meister unterschrieben.

Doch etwas stimmte nicht. Das Bild war auf 1896 datiert, acht Jahre vor Dalís Geburt. Tomeu l‘Amo machte es sich zur Aufgabe zu beweisen, dass das Bild trotzdem von Dalí ist. Es sollte 25 Jahre dauern, bis er das schaffte.

„La llave de Dalí“ vom Regisseur David Fernández erzählt die Geschichte dieses Abenteuers. Premiere hatte der Dokumentarfilm vergangenen November beim Evolution Film Festival, danach lief er auch mit großem Erfolg im Kino Augusta in Palma. Nun wird darüber verhandelt, den Film spanienweit in die Kinos zu bringen.

Tomeu l‘Amo, mit bürgerlichem Namen Bartolomé Payeras, empfängt in abgetragener Jogginghose und einem verwaschenen Pulli in seinem Haus in Colònia de Sant Pere. Der Hof ist voller kleiner und großer Skulpturen und anderer Kunstwerke vollgestellt, die er im Laufe der Jahre geschaffen hat. An der Hauswand lehnt ein verrostetes altes Fahrrad.Todesanzeige für einen Delfin

Der 68-Jährige hat gerade ein Feuer im Kamin in der Küche angezündet. Der Nebenraum ist sein Schlafzimmer, ein enger Raum. Dort steht sein Bett und ein Schreibtisch mit einem Computer. Hier schreibt der pensionierte Biologie-Lehrer seine Bücher, hier experimentiert er mit der Fotobearbeitungssoftware Photoshop.

Durch einen winzigen Durchgang geht es in den Vorraum seines Ateliers, wo Tomeu l‘Amo einige seiner Werke ausstellt. In einer Kiste liegen, wie in einem Sarg, die Knochen eines Delfins. L‘Amo hat ihm sogar eine kleine Todesanzeige geschrieben. Auch Gemälde sind zu sehen, sowie großformatige Fotografien und Skulpturen aus Draht und Stein. Eine handgeschriebene Preisliste gibt einen groben Überblick über seine Verdienstvorstellungen. Die großen Gemälde kosten ab 2.000 Euro.Der Wissenschaftler zahlt die Rechnungen, der Künstler spielt mit der Welt

„Wenn jemand vorbeikommt, und was kaufen möchte, kann er das gerne machen“, sagt Tomeu l‘Amo. Ansonsten scheint ihm der Verkauf nicht so wichtig. Er habe keine Zeit, sich groß darum zu kümmern. Was zähle, sei seine Arbeit. Die, wie im Fall des Gemäldes von Dalí, zu einer Obsession werden kann. Tomeu l‘Amo ist nicht nur ein Künstlername. Es ist eine zweite Identität für den studierten Biologen. „Es gibt Tomeu Payeras, den Wissenschaftler, der seine Rechnungen zahlt. Und es gibt Tomeu l‘Amo, den Künstler, der mit der Welt spielt“, sagt er. Als er neun war, habe er die zweite Persönlichkeit in sich entdeckt. Ein wenig so wie Dalí, der auch den weltlichen und den göttlichen Dalí in sich sah. Wobei dieser Vergleich nicht angebracht sei, sagt Tomeu l‘Amo selbst.

Im Laufe seiner Forschungen über die Herkunft des Bildes stieß l‘Amo auf ein Zahlensystem, das sich durch die Werke Dalís zieht. Ein Code, der nicht nur die Datierung auf dem Gemälde erklärt, sondern auch die Zahlenspiele auf den berühmten Uhren oder auch mit seinem nicht weniger legendären Schnurrbart. Das Bild, so meint Tomeu l‘Amo herausgefunden zu haben, malte der 17-jährige Dalí im Jahr 1921. Drei Jahre vor André Bretons Manifest des Surrealismus. „Dalí war seiner Zeit halt weit voraus.“Die Verpflichtung, die Entdeckung mit der Welt zu teilen

Tomeu l‘Amo schrieb seine Theorie 2012 in einem Buch nieder. Zudem kontaktierte er David Fernández, mit dem er schon an zwei Kunstvideos gearbeitet hatte, und bat ihn, ein Werbevideo für sein Buch zu drehen. „Als ich die Geschichte hörte, wusste ich, dass man viel mehr daraus machen konnte“, sagt David Fernández bei einem Gespräch im Büro seiner Produktionsfirma Mallorca Video in Palmas Viertel Santa Catalina. „Also begannen wir zu drehen. So viel wie möglich. Denn zu dem Zeitpunkt wussten wir noch nicht, ob er die Authentifizierung bekommt oder nicht. Wir hatten eine gute Geschichte, aber wir wussten nicht, wo sie hinführt.“

„Descobrir algo és una putada“, sagt l‘Amo. Sehr frei übersetzt meint er damit, dass eine Entdeckung nicht unbedingt zum Vorteil des Entdeckers ist. „Man hat irgendwie die gesellschaftliche Verpflichtung, es mit der Welt zu teilen. Und das macht viel Arbeit.“ Wenn er spricht, scheint seine Stimme, wie bei vielen Mallorquinern, aus dem Rachen zu kommen. Manchmal wird sie richtig laut, nicht aber aufdringlich.Die Kunstwelt ignoriert ihn bis heute

Die Zeit, in der er sich mit Dalí beschäftigt hat, sei nicht einfach gewesen. „Ich habe mich wie einer dieser Häftlinge gefühlt, die sich selbst Jura beibringen, um sich verteidigen zu können.“ Die Zweifel seien ein steter Begleiter gewesen. „Wenn man forscht, passiert es ja leicht, dass man nur auf das achtet, was einem in den Kram passt. Aber ich habe immer wieder kritisch draufgeschaut. Und es machte trotzdem alles Sinn.“

Wenn man von weltlichen Maßstäben ausgeht, hat sich der Aufwand kaum gelohnt. Es gibt führende Dalí-Experten wie den Franzosen Nicholas Descharnes, die das Bild für authentisch und l‘Amos Theorie über einen geheimen Zahlencode für plausibel halten. Andere sind da skeptischer.

Die Kunstwelt ignoriert ihn bis heute weitgehend, auch Bücher hat er kaum verkauft. Aber l‘Amo scheint sich darüber keinen Kopf zu machen. Er hat seinen Teil geleistet. Eines seiner Bücher über Dalí hat er Gregor Mendel gewidmet. Jenem österreichischen Ordenspriester, der erstmals 1866 Erkenntnisse zur Genetik veröffentlichte, deren Bedeutung erst Jahrzehnte später anerkannt wurde. Sollte sich l‘Amo selbst wirklich als verkanntes Genie sehen, so strahlt er die damit häufig einhergehende Arroganz nicht aus.Dennoch kein verlorener Einsiedler

Dass der Film Erfolg hat, freut den Künstler. Aber es sei auch viel Zeit draufgegangen. Zeit, die er für seine Kunst hätte nutzen können. Was treibt ihn an, was sucht er? „Nichts. Ich suche nicht, ich finde. Ich bin da eher dadaistisch.“ Sein Leben habe sich durch den Film nicht verändert. „Ich bin ja die meiste Zeit hier und arbeite.“ Familie hatte er nie. Dennoch wirkt er nicht wie ein verlorener Einsiedler.

Auch im Film gibt es Szenen, in denen der Künstler bei sich zu Hause mit vielen Freunden Partys feiert. Sie wirken wie eine Mischung aus Kunstaktion und Underground-Konzert. „Wir wollten diese Szenen unbedingt im Film haben, denn nur so lässt sich diese Figur erklären“, sagt David Fernández. Tomeu l‘Amo ist der eigentliche Mittelpunkt des Films, auch wenn Dalí im Titel stehe.

Er habe gedacht, dass Fernández einen Film über seine Erkenntnisse machen würde, sagt auch Tomeu l‘Amo. „Aber dann hat er mir gesagt, dass das ein ganz anderer Dokumentarfilm wäre.“Es gibt keine Vergleichswerte für ein Unikat

Wenn er die Leute im Kino lachen höre, wisse er, dass er den richtigen Weg eingeschlagen habe, sagt der Regisseur. „Wir haben es mit einer Persönlichkeit zu tun, die vielleicht exzentrisch ist, aber mit der man mitfühlt. Der Zuschauer kann sich in ihn hineinversetzen.“

Im Film ist zu sehen, dass Tomeu l‘Amo das Gemälde, dem er den Titel „El nacimiento interaurino“ (Die Gebärmutter-Geburt) gab, bei sich zu Hause aufbewahrt. Heute sei das nicht mehr möglich, sagt l‘Amo. Es sei aber noch in seinem Besitz. Hat er nie schätzen lassen, wie viel es wert sei? „Nein“, sagt er lachend. „Ich würde Ihnen auch viel Geld geben, wenn Sie mir eine solide Schätzung nennen könnten. Aber das Bild ist ein Unikat. Es gibt keine Referenzen, an denen man seinen Wert festmachen könnte.“