„La chancha", die Sau, ist ein Spitzname, der in Argentinien gerne vergeben wird. Gleich mehrere Fußballer wurden in den vergangenen Jahrzehnten mit diesem Namen - wenn man so will -geehrt. Der Mercedes-Bus Modell O321, der im öffentlichen Nahverkehr eingesetzt wird, wird so genannt. Und auch ein Zug, der aus den südlichen Randbezirken von Buenos Aires in die Stadt reinfährt. „Es ist ein Zug, der früher eine besonders dicke Lokomotive hatte", sagt Pedro Canale. „Er hat in meinem Leben wie in dem von unzähligen anderen Menschen eine große Bedeutung als Transportmittel gehabt." So sehr, dass Canale sich Chancha Vía Circuito als Künstlernamen für sein musikalisches Projekt gegeben hat. Vía Circuito bezeichnet die Route, die der Zug fuhr.

Canale ist ein schüchtern wirkender Mann, der leise redet. Er entspricht nicht dem Klischeebild eines Argentiniers. So wenig, dass ihn ein Radiosender aus Buenos Aires mal live und on air fragte, wo er denn eigentlich herkäme. Zwölf Jahre ist es her, dass der damalige Musikstudent Canale auf Nordargentinien, Bolivien, Peru und Chile bereiste. „Dieser Trip hat mich verändert", erzählt er im Skype-Gespräch. „Ich habe da die Folklore meines Kontinents wiederentdeckt und mich verliebt."Am Anfang viel gesampelt

Zu Hause hatte er voll allem langsame elektronische Musik produziert. „Meine Einflüsse waren etwa Massive Attack, Björk oder Aphex Twin." Nach der Reise beschloss er, die neu gewonnene Freude an der Folklore in seine Beats zu integrieren. „Am Anfang habe ich viel gesampelt. Irgendwann habe ich es aber gelassen, weil ich mir über die rechtliche Situation nicht klar war. Seitdem suche ich Inspiration bei diesen Rhythmen und Klängen, komponiere aber selbst", so Canale, der mittlerweile mit seiner Musik um die Welt reist.

Das Projekt begann er allein, seit einigen Jahren hat er es aber zu einer Band erweitert. Zu dritt - mit Federico Estevez und Heidi Lewandowski - kommt Chancha Vía Circuito auch aufs Mallorca Live Festival . „Die Arbeit mit anderen Musikern hat mir geholfen, mich zu öffnen. Die anderen machen Vorschläge und bringen eigene musikalische Ideen mit. Das bereichert die Lieder."

Gesungenes Gebet

Es wird ein besonderer Auftritt auf Mallorca, sein zweiter auf den Balearen, nachdem er im vergangenen Jahr bereits auf Ibiza gespielt hatte. In der Woche zuvor präsentiert er sein drittes Album in Madrid. Der Auftritt beim Festival wird die zweite Gelegenheit sein, bei der man die neuen Stücke in ihrer Gesamtheit live hören werden kann. Die erste Single, „Ilaló" in Kooperation mit dem ecuadorianischen Musiker Mate Kingman, veröffentlicht Ende April, beginnt als ein gesungenes Gebet, dass sich langsam aufbaut und in einem Mittelteil sogar mit einer Art Sprechgesang überrascht.

Canales Musik ist tanzbar, aber sie ist nicht banal. Bisweilen klingen die Melodien ungewohnt für das europäische ­Harmonieempfinden. Zudem weil die Songs nicht selten ziemlich repetitiv sind. „Aber es ist sehr schwer, etwa einer Cumbia zu widerstehen", sagt Canale lachend. „Deshalb funktioniert die Musik auch außerhalb Lateinamerikas."

Gemischte Reaktionen

In der Heimat selbst stößt sein Projekt auf gemischte Reaktionen. „Wenn ich etwa in Bolivien einen traditionellen ­bolivianischen Rhythmus in meine Musik in­tegriere, wird das bei den jungen Leuten geschätzt", sagt er. „Allerdings gibt es dann immer wieder ältere Menschen, die das nicht so toll finden, dass ich ihre traditionelle Musik bearbeite."

Bei der internationalen Musikpresse hingegen kommt das Projekt gut an. Das Musikmagazin „Pitchfork" etwa lobte beim ­zweiten Album „Río arriba" von 2015, die Songs würden „ihre eigene Landschaft kreieren: Unterholz, Flussufer, Lagerfeuer". Die Rhythmen seien „hypnotisch, aber auch ruckartig, eine Art rhythmisches Paradox".

Chancha Vía Ciurcuito spielen am Freitag (11.5.) beim Mallorca Live Festival