Für diese Ausstellung sollte man sich genauso viel Zeit nehmen wie für eine Stadtbesichtigung: „Cámara y ciudad. La vida urbana en la fotografía y el cine", vom 11.11. bis 7.3. auf zwei Stockwerken im CaixaForum Palma auf Mallorca zu sehen, ist umfassend, gehalt- und eindrucksvoll - nichts für oberflächliches „Sightseeing".

Insgesamt sind 232 Werke von 66 Künstlern zu sehen, Frucht einer Zusammenarbeit zwischen der Fundació La Caixa und dem Centre Pompidou in Paris. „Es ist das erste Mal, dass eine Ausstellung in einer solchen Intensität mit den Verbindungen zwischen spanischen und internationalen Fotografen spielt", sagt Margarita Pérez-Villegas, die Leiterin des CaixaForums Palma, über die speziell für Spanien konzipierte Schau, die nach Barcelona und Madrid zum letzten Mal auf Mallorca stoppt.

Mehr als "Street photography"

„Es gab schon viele Ausstellungen über die Fotografie und die Stadt, ich sage nur ,Street photography'", so der per Stream bei der Pressekonferenz zugeschaltete deutsche Kunsthistoriker Florian Ebner. Ebner ist Leiter der Fotografie-Abteilung im Centre Pompidou und kuratierte die Ausstellung, wobei die Kunsthistorikerin Marta Dahó für die aus spanischen und katalanischen Sammlungen stammenden Exponate verantwortlich war. „Uns war von Anfang an klar, dass wir die Fotografie in Beziehung zum Bewegtbild setzen wollten, also Film und Video. Viele Künstler haben beides praktiziert, und eigentlich ist es bizarr, dass diese Disziplinen so lange Zeit getrennt behandelt wurden", sagt Ebner.

Laut dem Kurator liegen der Schau drei verschiedene Grundrhythmen zugrunde. Der erste ist der Wechsel zwischen Fotografie und Film, frei nach dem Motto des legendären Fotografen Robert Frank: „Hold still, keep going." Der Anspruch lautet, beides sichtbar zu machen und die unterschiedlichen Ansätze aufzuzeigen, wie man am besten die Essenz einer Stadt einfängt. „Der zweite Rhythmus geht vom Gedanken aus, dass die Stadt eine Theaterbühne ist", sagt Ebner. Es gebe die Schauspieler, also Menschen, aber auch das Bühnenbild, die Architektur. Museografisch sind die Bereiche, in denen sie zum Protagonisten wird, mit dunklen Wänden hervorgehoben, dem menschlichen Treiben sind die hellen Wände zugeordnet.

Der dritte Rhythmus bezieht sich auf das Leben im 20. Jahrhundert, auf die Stadt in Bewegung, die sich erhebt und protestiert, aber auch eine Stadt der Versöhnung nach den Unruhen des Krieges ist. Chronologisch und thematisch eingekreist wird all dies in zehn Kapiteln - wobei dank dem Grundrauschen durch die Bewegtbilder (wie in einer Stadt) niemals völlige Stille herrscht.

Schwerpunkt auf den 1930er Jahren

Die Ausstellung beginnt mit einem Porträt von Paul Strand und dem emblematischen Film „Manhatta", führt zur Euphorie der 1920er-Jahre, dem tiefen Glauben an Fortschritt, Moderne und Technologie. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf den 1930er- Jahren: Fotografen wie Brassaï richten ihren Blick auf das Proletariat, das die Straßen bevölkert, auf die Gestalten der Nacht. Viel Raum nehmen die Geschehnisse im Vorfeld und während des Spanischen Bürgerkriegs ein: Ein angedeuteter Kiosk mit Faksimiles vornehmlich französischer Magazine zollt der enormen Aktivität der Fotojournalisten in Spanien und der Perspektive aus dem Ausland Tribut.

Ein Sprung in die Periode nach Ende des Zweiten Weltkriegs versetzt die Besucher dann in die Blütezeit der humanistischen Fotografie, bei der Liebe, Kinder, Feste, Alltags- und Straßenszenen ihren Auftritt haben. Werke von Schlüsselfiguren wie dem Franzosen Robert Doisneau oder Joan Colom und Leopoldo Pomés auf der spanischen Seite treten in einen Dialog mit einem Film von William Klein aus dem Jahr 1958, auf dem die künstlichen Lichter des Broadway flimmern und die neue Stadt erhellen.

Stadt in vertikal und horizontal

Im ersten Stock geht es weiter mit den 1960er-Jahren, in der Film und Fotografie die pittoreske Perspektive gegen einen kritischeren Blick tauschen und verletzliche Menschen am Rande der Gesellschaft porträtieren. Ein weiteres wichtiges Thema: Die Straßen der Städte als Schauplätze für Proteste und Revolution, insbesondere ab 1968, und dem gegenübergestellt die letzten Jahre der Franco-Diktatur und die transición in Spanien.

Es folgen Kapitel zu neuen künstlerischen Ansätzen: Die Formate werden größer, Fotografien für den Ausstellungskontext gedacht. Als Pendant zur „vertikalen Stadt" zu Beginn des 20. Jahrhunderts rückt nun die sich ausdehnende „horizontale Stadt" mit ihren Randbezirken in den Fokus, während andere Viertel verschwinden und alte Gebäude abgerissen werden. Die Stadt als öffentlicher Raum und das neue Interesse der Selbstdarstellung ihrer Bewohner werden reflektiert, ebenso wie der Einfluss von Google Earth.

Ein Bonusraum zur Pandemie

„Der Gedanke, die in Madrid gezeigte Ausstellung hier wie business as usual nachzustellen, erschien uns aber merkwürdig", sagt Florian Ebner. Man habe die jüngsten Ereignisse und deren Auswirkungen auf die Städter schlicht nicht ignorieren können. Daher gibt es einen „Bonusraum" mit dem Titel „Límites comunes": Einige der beteiligten Künstler haben dafür eigens Werke eingereicht, in denen sie sich mit ihren Erfahrungen während der Pandemie auseinandersetzen.

Die deutsche Fotografin Barbara Probst etwa wendete ihr etabliertes Konzept, einen Moment aus verschiedenen Perspektiven einzufangen, für eine Aufnahme auf einer wie ausgestorbenen Kreuzung in New York an. Und auf einem Postkartenständer reihen sich Karten mit Fotos aus einem menschenleeren Paris, die sich das Künstlerpaar Anna Malagrida und Mahieu Pernot schickte: Aufnahmen eines Schwebezustands zwischen Nostalgie und Beklemmung.

Mo bis So 10-20 Uhr, Eintritt: 6 Euro, caixaforum.es