Schon am Morgen brennt die Sonne auf den staubigen Untergrund und erhitzt die kleinen Felsen, die den Trampelpfad auf Mallorca spicken. Es ist ein netter, wenn auch unebener Weg, der vom östlichen Rand Porto Cristos zur Cala Petita führt. Vorbei an Wacholder und Stechpalmen, die zwar den Blick auf die nahe Küste verdecken, aber zumindest stellenweise wohltuenden Schatten spenden. Trotzdem ist man froh, wenn man nach gut 20 Minuten sein Ziel erreicht: Türkises, glasklares Wasser umspült den überschaubaren Sandstrand der Cala Petita. Es gibt kaum Wellen, die Bucht liegt geschützt da, eine natürliche Einbuchtung der Küste. Gibt es sie also doch noch, die einsamen Traumstrände auf Mallorca mitten in der Natur?

Mit einem Mal ist die Stille vorüber. Rund 50 Kinder im Grundschulalter marschieren über den Pfad zum Sand hinunter. Eine mallorquinische Ferienfreizeitgruppe. „Hier kann man ja gar kein Eis kaufen", sagt ein Mädchen maulend. „Mir ist heiß von so viel Laufen", sagt ein anderes. „Das ist ein Naturstrand", erwidert einer der Gruppenleiter belehrend. „Ich find ihn schön", sagt ein kleiner Junge.

Keiner von ihnen scheint zu ahnen, dass die Abgeschiedenheit, der Trampelpfad und die Natur rund um die Bucht nur deshalb erhalten sind, weil eine Bürgerbewegung vor 25 Jahren dafür zu kämpfen begann.

Es war Anfang 1993, als die Familie Servera - Eigentümerin der bekannten Drachenhöhlen in Porto Cristo und gleichzeitig auch des Landstrichs, durch den sich der staubige Trampelpfad schlängelt - beim zuständigen Rathaus in Manacor einen Bebauungsplan einreichte: Auf der letzten naturbelassenen Fläche Porto Cristos solle auf rund 165.000 Quadratmetern eine Neubausiedlung entstehen. Zweistöckige Einfamilienhäuser, ideal für Urlauber, sowie eine Einkaufszone mit Supermarkt und Parkplatz. 14 Jahre waren für die Bauarbeiten angesetzt.

Als Bauland freigegeben

Rein rechtlich sprach damals nichts dagegen. Das Küstenschutzgesetz verbot lediglich Bauten, die weniger als 100 Meter von der Küste entfernt waren. Und auch dem aktuellen Flächennutzungsplan der Gemeinde widersprach das Vorhaben der Serveras nicht grundsätzlich: Die naturbelassene Zone war als Bauland eingestuft - eine Tatsache, die es auch übergeordneten Behörden schwer gemacht hätte, Einspruch zu erheben.

Die Vertreter der konservativen Volkspartei (Partido Popular, PP) waren Feuer und Flamme für das Projekt der wohlhabenden Familie aus dem Ort. Schließlich, so argumentierten sie, müsse das Recht der Eigentümer auf freie Nutzung ihres Grundstücks geschützt werden. Anders die Stadträte der Linksparteien PSM und PSOE: Sie forderten eine Neuordnung des Flächennutzungsplans. Die Bebauung eines weiteren Küstenabschnitts kam für sie einem Albtraum gleich.

„Das Projekt würde sich negativ auf den ganzen Ort auswirken", hielten auch Jaume Brunet und Joan Gomila dagegen, die wenig später die Bürgerpartei Agrupació Independent de Porto Cristo (AIPC) gründeten. Damit würden die

Urlauber nur noch mehr aus dem Ortskern weggelockt. Tatsächlich ist die Hoteldichte in Porto Cristo trotz der Küstenlage bis heute gering.

Es dauerte nicht lange, und auch die Bevölkerung mobilisierte sich gegen die Pläne, die Cala Petita zu einer weiteren bebauten Urlauberbucht zu machen. „Amics de Cala Petita" (Freunde der Cala Petita) nannte sich eine der Bürger­initiativen, auch Nachbarschafts­vereinigungen und eine anarchistisch anmutende Jugendgruppe („La disputa de l'ase", also: „Der Streit des Esels") taten ihrem Unmut über die Baupläne kund.

Als auch die balearenweit agierende Umweltschutzgruppe Gob in die Proteste einstimmte und das Thema inselweit an Interesse gewann, versuchten sich die Witwe der Eigentümerfamilie Servera, Gloria Castiñeira, und ihre Kinder zu rechtfertigen. Sie wollten aus der Cala Petita keinen zweiten Stadtstrand machen, versicherten sie. Vielmehr ginge es ihnen da­rum, die nordöstliche Zone der Wohngebiete Porto Cristos weiter auszudehnen.

Das PP-geführte Rathaus ließ sich von dem vielseitigen Gegenwind der Protestler zunächst nicht umstimmen. Unter Bürgermeister Gabriel Bosch stimmte der Stadtrat der Besiedlung des Geländes um die Cala Petita zu. Eine erste Ausschreibung erfolgte im September 1993, und dabei kamen auch Details zur Sprache: Auf 20.000 Quadratmetern war eine Grünzone geplant, 40.000 Quadratmeter sollten für Straßen und 2.000 für Fußgängerzonen

direkt bis zum Strand herhalten.

Statt angesichts vollendeter Tatsachen abzuflauen, schwollen die Proteste und Kundgebungen in Porto Cristo und auf der ganzen Insel weiter an. Auch bekannte Persönlichkeiten wie die Sängerin Maria del Mar Bonet oder der Buchautor Gabriel Janer Manila zeigten Flagge gegen die Bebauung der Cala Petita.Happening am Mini-Strand

Ihren Höhepunkt erreichte die Bürgerbewegung im September 1995. Organisiert vom Gob strömten mehr als 1.000 Menschen - für weitere wäre auch kein Platz gewesen - zu Land und zu Wasser in die kleine Bucht. „Volem Cala Petita verge" („Wir wollen Cala Petita jungfräulich") stand in großen roten Lettern auf einem Spruchband zu lesen. Stundenlang besetzten die Menschen den Strand, für Stimmung sorgte dabei auch ein Konzert mit 15 Musikern und Bands.

Die Großkundgebung schreckte letztlich auch das Rathaus auf. Erstmals waren andere Töne aus den Reihen der konservativen Regierenden zu hören. Man wolle möglicherweise doch noch einmal abwägen, ob die Bebauung tatsächlich eine gute Idee sei, hieß es plötzlich. Von Enteignung, wie sie einige Protestler forderten, wolle man aber nichts hören.

Daraufhin bat der stellvertretende Inselratspräsident Francesc Triay (Sozialisten, PSIB) Manacors Bürgermeister (mittlerweile Bartomeu Rosselló, PP) zum Gespräch und forderte ihn auf, endlich und definitiv zu verkünden, was denn nun mit dem Gebiet geschehen solle. Erst kurz zuvor hatte das Rathaus wichtige Fristen im Bearbeitungsprozess verstreichen lassen.

Im Oktober 1966 kam dann die Wende. Die PP in Manacor gab klein bei, der Inselrat leitete den Schutz der Cala Petita ein und begann mit dem Rathaus und der balearischen Landesregierung darüber zu verhandeln, welche Teile der Zone zu welchem Preis enteignet werden könnten.

Endgültig ausgehebelt wurde das Bauvorhaben im Januar 1997. Der Inselrat erklärte das geplante Siedlungsprojekt offiziell für abgelehnt und übernahm fortan selbst die Verwaltung des Gebiets.

Wer die Bucht heute besucht, kann sich nur schwer vorstellen, dass tatsächlich einmal jemand an der Bedeutung gezweifelt hat, dieses Idyll zu erhalten. Außer die kleinen Mädchen vielleicht, die noch immer über den fehlenden Eisverkäufer und den langen Hinweg klagen. Erst als sie ihre Kleidung abstreifen und sich, den anderen hinterher, ins seichte Wasser werfen, scheinen auch sie ihren Gram vergessen zu haben.