Dani Rotstein hat vieles, das einen guten Stadtführer ausmacht. Er ist unterhaltsam, er hat Ahnung, und er brennt für das, was er erzählt. Dabei ist es erst rund vier Jahre her, dass der heute 39-Jährige aus New York zum ersten Mal durch die Altstadt von Palma de Mallorca schlenderte. Eine Stadt, die selbst den aufmerksamen Spaziergänger durch nichts an ihre jüdische Vergangenheit erinnern lässt. Es ist eben jene Vergangenheit, wegen der sich der Amerikaner so sehr mit den alten Gassen verbunden fühlt, in denen es vor mehr als 600 Jahren von jüdischen Händlern und Kaufleuten wimmelte: Auch Rotstein ist Jude. Im Frühjahr vergangenen Jahres hat er auf Mallorca einen Ableger des globalen Netzwerks Limud gegründet, seit August ist er Vorstandsmitglied der jüdischen Gemeinde. In beiden Institutionen will er vor allem eines erreichen: die jüdische Kultur und Geschichte auch nicht-jüdischen Menschen nahebringen und Verbindungen zwischen den Juden der Insel schaffen.

Thematische Stadtführungen auf Englisch, Spanisch, Katalanisch und Hebräisch sind da nur ein logischer Schritt, den Rotstein seit Dezember geht. „Ihr müsst eure Vorstellungskraft nutzen. Nur so kann das alte jüdische Viertel vor euren Augen wieder auferstehen", sagt Rotstein und führt die kleine Gruppe vom Rathausplatz ins Carrer de l'Almudaina. Tatsächlich gibt es keine Bauwerke, die von der damaligen Zeit zeugen. Auch von der alten Synagoge, die im 16. Jahrhundert abgerissen wurde, sind nur noch ein paar Quader zu sehen. Darauf errichtet wurde 1571 die Monti-Sion-Kirche. „Und Hinweisschilder oder Infotafeln gibt es auch kaum", so Rotstein.

Einmalig auf der Welt

Es ist ein kleiner Kreis, der ihm diesmal auf seiner Tour folgt. Eine Buchautorin aus Kanada ist dabei, eine Journalistin aus Schweden, zwei skandinavische Mallorca-Residentinnen. Keine von ihnen ist Jüdin, doch alle haben - ob beruflich oder privat bedingt - ein Interesse an der jüdischen Geschichte Mallorcas.

„Die Situation auf der Insel ist eine besondere, die es so nicht noch einmal auf der Welt gibt", sagt Rotstein und führt die Gruppe in das kleine Besucherzentrum „Centre Maimó ben Farraig", in dem die wichtigsten Eckdaten an Schautafeln in zwei kleinen Räumen befestigt sind. Die frühesten Zeugnisse jüdischer Kultur auf Mallorca gehen auf das 5. Jahrhundert nach Christus zurück. Wie überliefert ist, halfen die Juden dem katholischen König Jaume I. bei der Rückeroberung der Insel von den Mauren - und bekamen deshalb nicht nur ein eigenes Viertel, sondern hatten auch geschäftlich weitgehend freie Hand.

Dass zu jener Zeit eine goldene Epoche für die Juden auf Mallorca anbrach, betont auch Ari Molina gern. Der studierte Historiker ist neuer Vorsitzender der jüdischen Gemeinde auf Mallorca. Neben ihm und Rotstein gehören dem Vorstand auch Sternekoch Toni Pinya und Journalist Miguel Segura an. Sie alle lösten im August vergangenen Jahres den Vorsitzenden Abraham Barchilón ab, der der Öffentlichkeit gegenüber zurückhaltender agierte.

„Bedeutende jüdische Ärzte, Geistliche und Kartografen prägten im Mittelalter die Inselgesellschaft. Sie hatten Beziehungen im ganzen Mittelmeerraum und brachten wichtige Erkenntnisse", sagt Molina. Wie Rotstein liegt ihm viel daran, eine möglichst breite Öffentlichkeit für die Religion zu interessieren, die auf der Insel mit den Anfängen der Inquisition in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhundert offiziell komplett ausgelöscht wurde.

„Die jüdische Geschichte auf Mallorca ist sehr traurig", so auch Rotstein, der seinen deutschen Namen von den Großeltern geerbt hat, die einst aus Nazi-Deutschland flüchteten. Schon 1391 wurden rund 300 von 3.000 Juden in Palma bei einem Pogrom getötet, ein weiterer Anschlag ist im Jahr 1435 dokumentiert. 1691 verbrannte die Inquisition auf der Plaça Gomila im heutigen Terreno-Viertel 37 Juden öffentlich auf Scheiterhaufen - drei von ihnen sogar bei lebendigem Leib.

Spätestens danach konvertierten alle jüdischen Inselbewohner zwangsweise zum Christentum. „Das hat es in dieser Gesamtheit sonst nirgendwo gegeben. An anderen Orten der Erde flohen viele Juden, um sich nicht christlich taufen lassen zu müssen, aber von der Insel zu verschwinden, war unmöglich." Und so entstand die Gemeinschaft der xuetes - den Nachfahren der zum Katholizismus gezwungenen Juden, die noch Jahrhunderte später der mallorquinischen Gesellschaft beweisen mussten, dass sie nicht heimlich weiter jüdische Bräuche pflegten - und dennoch von ihr diskriminiert wurden.

„Es gab eine soziale ­Abgrenzung bis Mitte des 20. Jahrhunderts", so Ari Molina. Zu erkennen sind die Nachfahren der Juden bis heute an ihren Nachnamen. Typische xueta-Nachnamen sind Bonnín, Aguiló, Cortès, Fuster und Forteza. „Die Jugend heute weiß das kaum noch, aber älteren Mallorquinern ist es geläufig", sagt Molina. Von denen hören xuetes bis heute hin und wieder Kommentare, wenn sie ihren Nachnamen nennen.

Jüdische Ensaïmada

Die jahrhundertelange Diskriminierung hat nicht nur die Integration der jüdischen Nachkommen erschwert, sondern auch eine Gemeinschaft gebildet. Weil man in der Gesellschaft ohnehin nicht akzeptiert war, blieb man als xueta unter sich. „Viele wollten aber auch mit allen Mitteln zeigen, dass sie ihren jüdischen Glauben nicht nur auf dem Papier, sondern auch in ihrem alltäglichen Handeln abgelegt haben", so Rotstein, der seine kleine Reisegruppe mittlerweile vor eine Bäckerei nahe dem Carrer del Call - der „Straße des Judenviertels" - gelotst hat. „Die Ensaïmada ist typisch mallorquinisch und wird natürlich mit Schweinefett hergestellt", sagt er und deutet auf das Gebäck im Schaufenster. Angeblich seien es xuetes gewesen, die das Vorzeige-Gebäck erfanden. „Um zu zeigen, dass sie nicht mehr koscher lebten und sogar Schweinefleisch aßen." Unter ähnlichen Umständen sei der mallorquinische Ausspruch fer dissabte für das samstägliche Reinemachen zustande gekommen. „Angeblich wollten einige xuetes ihren Nachbarn extra zeigen, dass sie auch am Sabbat arbeiteten, und machten deshalb großes Aufheben darum, samstags bei geöffneten Türen ihr Haus zu putzen."

Heute, da sind sich Molina und Rotstein ­einig, sei in der breiten Bevölkerung kaum ­Antisemitismus zu spüren. Leicht hätten es die rund 1.500 Juden, die mittlerweile wieder auf Mallorca leben, dennoch nicht. „Es gibt keine einzige koschere Metzgerei auf der Insel, und viele Feiern oder Kulturveranstaltungen finden samstags statt, was ungünstig für uns ist", sagt Molina. Von den rund 20.000 xuetes, auf die die Nachnamen schließen lassen, sind in den ­vergangenen Jahren lediglich zwei Dutzend zum Judentum konvertiert, so Rotstein. „Reli­gion fordert eben auch etwas von ihren Anhängern, gerade im Judentum. Und viele haben kein Interesse daran", sagt ­Molina. In der Synagoge nahe dem Paseo Marítimo - der einzigen, die es auf der Insel gibt - stehe jedem die Tür offen. Auch wenn das Gebäude nicht in dem besten ­Zustand sei, und die Gemeinde kein Geld habe, einen Rabbiner einzustellen. Aber was nicht ist, kann ja noch werden. „Vielleicht können wir ja irgendwann wieder eine ­Synagoge im alten jüdischen Viertel errichten", hofft Dani Rotstein.

Infos zu Stadtführungen gibt es unter www.jewishmajorca.com. Mehr zum Limud-Event mit Workshops zu jüdischer Kultur am 11. und 12. Mai auf www.jewishmajorca.comwww.limudmallorca.com