Nicht nur die Pest hat auf Mallorca in den vergangenen Jahrhunderten für Angst und Schrecken gesorgt, auch andere tödliche Epidemien erreichten die Insel. So etwa im Jahr 1865, als die erste und einzige Cholera-Seuche Mallorca und vor allem Palma heimsuchte. Der Pharmazeut Joan March, der eine Forschungsgruppe zum Thema Gesundheitsgeschichte auf der Insel koordiniert, macht den damals rund um Mallorca verbreiteten Schmuggel dafür verantwortlich, dass die Epidemie auf die Insel gelangte. „Die Cholera brach zuerst im Fischerviertel Puig de Sant Pere aus. Von dort verbreitete sie sich innerhalb der Stadtmauern", sagt March.

Im Falle der Schmuggler griffen die damals schon seit mehr als 150 Jahren gültigen Kontrollvorschriften der regulären Schifffahrt nicht. „Jedes Schiff führte ein Bordtagebuch und musste in den Häfen ­Inspektionen über sich ergehen lassen. Wurde bei einem Besatzungsmitglied eine ansteckende Krankheit festgestellt, wurde das im Bordtagebuch vermerkt", sagt March.

Der Lockdown

Die Cholera, die sich vor allem durch Erbrechen und Durchfall äußert, blieb in Palma zunächst etwa vier Monate unerkannt, wie die Historikerin Joana Maria Pujadas erklärt, Mitglied der Arbeitsgruppe Centro de Estudios Demográficos der Universitat ­Autònoma de Barcelona. Die Mallorquinerin hat wiederholt zu der Epidemie geforscht und ist zu dem Schluss gekommen, dass ab dem Moment, in dem die Cholera erkannt wurde, weitgehend richtig gehandelt wurde. Was zum großen Teil mit dem damaligen Bürgermeister Miquel Estade ­zusammenhing. „Er war zwar Kaufmann, verstand aber, dass eine Eindämmung der ­Epidemie am schnellsten gelingen würde, wenn man das wirtschaftliche Leben ­weitgehend zum Erliegen bringt und Infizierte strikt isoliert", sagt Pujadas.

So trennte man die Gesunden von den Kranken, wie man es bereits von früheren Epidemien, wie etwa der Beulenpest von 1820 im Inselosten, kannte. Palma wurde zudem gleich doppelt abgeschirmt - zu Wasser und zu Land. Man schloss die Stadtmauern. Eine Zeit lang durfte die Bevölkerung nur noch die Stadt verlassen, hineingelassen wurde niemand. Zahlreiche ­palmesanos begaben sich freiwillig in Quarantäne in abgelegene Landhäuser, so sie denn welche besaßen. Und zum Meer hin wurde Palma, aber auch der Rest der Insel komplett dichtgemacht.

Wache an der Küste

Die männliche Bevölkerung wurde in Schichten eingeteilt, um die Küstenstreifen zu bewachen. Auch das war bereits in der Vergangenheit erprobt worden. 1834 war die Insel in vier Quadranten aufgeteilt worden. Jeder dieser Quadranten wurde von einem Militär befehligt, der wiederum die Wachen einteilte. Dieses System wurde immer dann angewandt, wenn in angrenzenden Territorien, wie etwa auf dem spanischen Festland, in Frankreich oder auch Nordafrika Epidemien wüteten. „Mit dieser Überwachungs- und Abschottungsstrategie nutzten die Mallorquiner bereits vor 200 Jahren ihre Insellage zu ihrem Vorteil aus", sagt Pujadas. Das Kalkül ging auf - von den vier großen Cholera-­Wellen, die Spanien im 19. Jahrhundert heimsuchten, erreichte nur diese eine 1865 die Insel.

Hinzu kam, dass die Insulaner von den vergangenen Epidemien gelernt hatten, dass sich Disziplin auszahlt. Die Isolierungsvorschriften seien weitgehend eingehalten worden, so Pujadas. Somit schafften es die Ärzte, die Cholera nach nur drei ­Monaten einzudämmen, ohne dass sie außerhalb von Palma nachhaltige Schäden angerichtet hätte. Insgesamt steckten sich auf Mallorca und Menorca 8.262 Menschen mit dem Cholera-Bakterium an, 2.491 starben daran. Allein in Palma wurden 2.175 Tote verzeichnet, dazu kamen noch 135 Opfer in Sóller, 21 in Pollença und 16 weitere in Campanet, Fornalutx und Establiments. Auf Menorca starben 144 Menschen.

Die Sterblichkeit richtete sich in Palma vor allem danach, in welchem Viertel man lebte. In bessergestellten Gegenden überlebten mehr Menschen die Epidemie als in ärmeren Vierteln. Die Kranken wurden in die beiden eigens eingerichteten Krankenhäuser in der alten Handelsbörse La Lonja und in der Kirche Les Caputxines gebracht.

Öffnen Sie die Stadt!

Die Epidemie dauerte nicht lange an, doch der wirtschaftliche Schaden war bereits in den drei Monaten enorm. Der auch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts schon rege internationale Handelsaustausch war zum Erliegen gekommen. Und so herrschten schon damals, wie heute während der Covid-19-Pandemie, unterschiedliche Auffassungen, wie stark das öffentliche Leben zugunsten einer Krankheit heruntergefahren werden sollte.

Bürgermeister Estade hatte sich entschieden. Das Ende der Epidemie aber ­erlebte er nicht auf seinem Posten. Die Zentralregierung in Madrid schickte den für die Balearen zuständigen Abgesandten, den sogenannten gobernador civil, nach Mallorca, um den Bürgermeister zu einer Öffnung der Stadt zu bringen. Zunächst wurde der Zivilgouverneur nicht hineingelassen, dann steckte man ihn in Quarantäne. Und als er schließlich mit Bürgermeister Estade zusammentraf, weigerte sich dieser rundheraus, auf die Wünsche aus Madrid einzugehen. Laut Joana Maria Pujadas stritt man eine Weile, und als sich keine Einigung ­abzeichnete, sah Estade keinen anderen Ausweg als mitsamt seiner kompletten Stadtverwaltung zurückzutreten.

Aber nicht nur bei der Frage, ob bei der Ausgangssperre die Verhältnismäßigkeit noch gewahrt ist, glich die Zeit der heutigen, wie Pujadas sagt. „Auch damals hat man sich auf die Suche nach einem Schuldigen der Cholera-Epidemie gemacht, so ähnlich wie manche Machthaber heute auf China zeigen." Als Schuldige galten vor 150 Jahren die Muslime. Man verortete den Ursprung der Cholera in der Moschee von Mekka, wo Hunderttausende Menschen auf engem Raum zusammenkamen.