Es soll sie wirklich gegeben haben - Zeiten, in denen es auf Mallorca ein Stück weit zuging wie einst im Wilden Westen. Zeiten, in denen Wegelagerer und Räuber, sogenannte Bandoleros, auf der Insel Postkutschen überfielen, Paläste ausraubten und dabei jeden, der ihnen in die Quere kam, den Garaus machten.

Über die Geschichte eines der letzten großen Bandoleros Mallorcas wurde jetzt ein Buch veröffentlicht. Es heißt „Mateu Reus ,Rotget' -El bandolerisme popular a la Mallorca borbònica" (in etwa „Mateu Reus Rotget - Straßenräuber während der Bourbonen-Herrschaft auf Mallorca"). Autor ist Mateu Morro, ehemaliger Landwirtschaftsminister der Balearen und Hobby-Schriftsteller aus Alaró, der in den vergangenen Jahren bereits verschiedene Abhandlungen über das einst bäuerliche Leben auf Mallorca veröffentlicht hat.

Dass sein jüngstes Werk, eine literarische Mischung aus volkstümlichen Legenden, historischen Begebenheiten und archivarischen Daten, von einem Straßenräuber handelt, ist Morros Kindheit geschuldet. „Als ich 14 Jahre alt war, hörte ich erstmals von den fantastischen Geschichten, die sich die alten Leute im Dorf über Mateu Rotget erzählten. Er erblickte hier Ende des 17. Jahrhunderts das Licht der Welt und wurde zum meistgesuchten Straßenräuber seiner Zeit", sagt Morro. Im Gegensatz zu ähnlichen historischen Räuberfiguren wie Robin Hood oder El Zorro wurde Rotget weder in Alaró noch sonst irgendwo auf der Insel als Volksheld erachtet. Dementsprechend schwierig sei die Recherche gewesen.

Historischen Aufzeichnungen des Einwohnerregisters zufolge wurde Rotget 1687 in Alaró geboren. „Seine Eltern besaßen ein Haus im Dorf und arbeiteten wahrscheinlich als Tagelöhner auf einem Gutshof in der Nähe von Lloseta", erzählt Morro. Sohn Mateu schlägt anfangs ein bürgerliches Leben ein. Im Alter von 19 Jahren heiratet er und kauft ebenfalls ein Haus in Alaró. Drei Kinder bringt seine Frau zur Welt. Das Leben von Rotget scheint nach Plan zu verlaufen.

Doch es kommt natürlich anders. Nach dem Spanischen Erbfolgekrieg (1701-1714), bei dem sich Mallorca auf die Seite des Habsburger Königshauses geschlagen hatte, bestrafen die siegreichen Bourbonen-Herrscher in Madrid die Insel mit dem Entzug sämtlicher bis dahin bestehender Rechte auf autonome Eigenverwaltung. Und nicht nur das. Um die Kriegsausgaben wieder einzuspielen, werden die Einwohner der Insel mit drakonischen Steuerforderungen belegt, was insbesondere in der ländlichen Bevölkerung zur Verarmung vieler Familien führt. Und gleichzeitig zu einem drastischen Anstieg des Räubertums auf Mallorca führt.

„Das Tramuntana-Gebirge entwickelte sich zum Unterschlupf für ungezählte Steuerflüchtlinge, Geächtete und Räuber, die aus wirtschaftlicher Not keinen anderen Ausweg sahen, als mit Wegelagerei und Überfällen die eigene und die Existenz ihrer Familie zu sichern", erklärt Morro. Unter ihnen auch Rotget. „Warum er letztendlich sein bürgerliches Leben aufgab, kann man nur mutmaßen. Soziale oder politische Gründe sind aber unwahrscheinlich."

1716 taucht Rotgets Name das erste Mal in einem Fahndungsregister der Polizeibehörde in Palma auf. Im Laufe der weiteren Jahre wird er inselweit wegen etlicher Morde und Raubüberfälle gesucht, das auf ihn ausgesetzte Kopfgeld erreicht für damalige Verhältnisse astronomische Höhen. Doch Rotget ist einfach nicht zu fassen. Grund dafür scheint eine übernatürliche Begabung. „Nach einer Legende war Rotget in der Lage, sich mittels eines um den Hals hängenden Talismans unsichtbar zu machen", erklärt Morro. Er habe im Dorf von Erzählungen gehört, bei denen der

Räuber auf der Flucht vor seinen Verfolgern in löchrige Stämme uralter Olivenbäume gekrochen sei - um sich anschließend scheinbar in Luft aufzulösen.

Vielleicht einer der Gründe dafür, warum es Rotget letztendlich gelingt, sich über einen Zeitraum von zwölf Jahren der Verhaftung zu entziehen. Im Jahr 1721 erlässt der Kommandant der kaiserlichen Streitkräfte in Palma den Befehl zu einer inselweiten Großfahndung nach Rotget und seinen Kumpanen. Mehr als 400 berittene Soldaten, so ergaben die Archiv-Recherchen des Autors, durchforsten zwei Jahre lang Dörfer, Wälder und Berge der Insel. Ohne Erfolg.

Erst im November 1728 wird Mallorcas Top-Bandit dingfest gemacht. Schuld daran war eine Liebschaft. So will es zumindest die Legende. Besagte Herzensdame, so schreibt Morro in seinem Buch, soll den liebestollen Rotget für einen Tanz in der Klosteranlage von Lluc - möglicherweise bei einem Oliven-Erntedankfest - gebeten haben, seinen Unsichtbarkeits-Talisman abzulegen. Bereits in der Nähe wartende Bourbonen-Häscher konnten den Räuber danach festnehmen.

Am 15. Januar 1729, so geht aus Aufzeichnungen aus Palmas Stadtarchiv hervor, wurde Mateu Reus „Rotget" in Palma auf dem Schafott vor Hunderten von Zuschauern öffentlich hingerichtet. „Sein Kopf und seine rechte Hand ließ man anschließend für ein paar Jahre im Kirchengarten von Alaró als abschreckendes Beispiel auf einem Pfahl ausstellen. Danach wurden sie in Binissalem auf dem Friedhof beerdigt", so Morro.

Erinnerungen an Mallorcas berüchtigten Straßenräuber in Form von Gedenktafeln oder sonstigen Ehrenmalen gibt es keine. „Hätte Rotget wie Jesse James im Wilden Westen gelebt, wäre sein Name heute weltbekannt", glaubt Morro. Auf Mallorca wisse man historische Kriminelle einfach nicht zu schätzen.