Heute ist Heiratsmarkt in Cala Ratjada. Genauer gesagt heute Abend, hoch über der Lliteras-Bucht, in Cynthias Villa. Dort findet besagter Heiratsmarkt unter dem Etikett einer Modenschau statt. Auch Volkers Gattin ist eingeladen, doch weder als Heiratsobjekt noch als Zugnummer im musikalischen Randprogramm, obwohl sie Letzteres der Gastgeberin mit leuchtenden Augen angeboten hat. Aber die hat nur liebevoll lächelnd den Kopf geschüttelt, vermutlich in Erinnerung an die beträchtlichen Kollateralschäden, die Volkers Gattin beim letzten Kulturevent in Cynthias Villa angerichtet hatte, damals mittels einer Arie aus La Traviata. Deshalb wirkt sie heute Abend, statt ganz vorn auf der Galerie ihr glaszerschmetterndes Tremolo darbieten zu dürfen, stumm und hinterm Vorhang mit, als hilfreicher Geist beim An- und Ablegen der modischen Gewänder. In diesen nämlich präsentieren sich heiratswillige Damen meist älteren Alters aus der nordöstlichen High Society Mallorcas den eher heiratszimperlichen Junggesellen oder Witwern noch älteren Alters im Publikum.

Wie vorauszusehen wird die Modenschau ein Fest der Überforderungen, und zwar vor wie hinter dem Vorhang. Wobei die eine Sorte Überforderung die andere bedingt. Schon als sich hinterm Vorhang die erste, etwas füllig geratene Dame trotz der warnenden Mimik, Gestik und Rhetorik von Volkers Gattin mit dynamischen Bewegungen in ein Unikat aus hauchdünn gewebtem Naturseide-Chiffon zwängen will, zerreißt die erste Katastrophe sowohl den Stoff des Modells als auch das Herz des Models.

Die zweite Katastrophe spielt sich dann auf dem Weg von der Hinterbühne zum Laufsteg ab. Die nicht mehr ganz so rüstige Trägerin einer überlangen Abendrobe des In-Labels "Ancania Couture" verfängt sich mit einem ihrer Pfennig-Absätze in der mit Swarovski-Steinen besetzten Schleppe ihres Kleids. Die Dame stürzt geräuschvoll und schickt Schmerzenslaute in die gespannte Stille vor dem Vorhang.

Doch aller guten Dinge sind drei und die nächste Dame schafft es ohne Zwischenfälle bis auf den Catwalk. Ein knapp gehäkelter String-Tanga für den Strand oder fürs Boot erfordert ja keine aufwändigen Gangarten. Und auch keine komplizierten Ankleide-Präliminarien. Natürlich unter der Bedingung, dass weder das Model noch die Ankleidehilfe kurzsichtig sind und dass das entsprechende Höschen infolgedessen richtig herum übergestreift wird. Als die lebensfrohe Dame mittleren Alters vorzeitig davonhüpft und Volkers Gattin ihr mit nachzeitig aufgesetzter Brille hinterher sieht, bahnt sich die dritte Katastrophe an. Doch die hält sich in Grenzen, nach den Ovationen im Publikum zu urteilen. Darunter anscheinend auch nach denjenigen der eher heiratszimperlichen Herren.

Durch die zweieinhalbmal eingetretenen Katastrophen erreicht das Lampenfieber der Models hinterm Vorhang lebensbedrohliche Ausmaße. Und die Hektik, mit der Volkers Gattin nun ihre Hilfsmaßnahmen an die Frau bringt, entspricht inzwischen eher der Stimmung, die preußische Korporale bei der Vorbereitung eines Spießrutenlaufs zu verbreiten pflegten.

(Der zweite Akt des Prêt-à-porter-Dramas "Der Heiratsmarkt von Cala Ratjada" folgt in Kürze)