Vergangenes Jahr fiel die große Gaypride-Parade in Madrid der Pandemie zum Opfer. Dieses Jahr zog eine abgespeckte Demonstration über den Paseo del Prado, für die sich 25.000 Personen wegen der sanitären Auflagen zuvor angemeldet hatten. Die bunten Umzugswagen durften diesmal nicht dabei sein, was der Veranstaltung den feierlichen Schwung nahm.

Die meisten Teilnehmer des Orgullo Gay, bei dem Lesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle (LGBT) für ihre Rechte demonstrieren, wussten am Samstag (3.7.) noch nicht, dass Stunden zuvor ein 24-jähriger Schwuler in der galicischen Hafenstadt A Coruña zu Tode geprügelt worden war. Samuel Luiz hatte in den frühen Morgenstunden vor einem Club zusammen mit einer Freundin deren Partnerin per Video-Telefonat angerufen, als er von einem offenbar Gleichaltrigen geschlagen wurde. Dieser holte bald mehrere andere zur Verstärkung, die so sehr auf den Krankenpfleger einschlugen, dass er schließlich im Krankenhaus seinen Verletzungen erlag. Samuel Luiz' Begleiterin und andere Zeugen bekräftigen, dass die Angreifer ihn als maricón (Tunte) bezeichnet hatten. Die Polizei schloss ein schwulenfeindliches Motiv des Mordes nicht aus.

Am Montag gab es in zahlreichen Städten Spaniens Proteste gegen die Tat und die Homophobie im Allgemeinen. Denn der tödliche Übergriff auf Samuel Luiz ist bei Weitem kein Einzelfall. Seit Monaten häufen sich im ganzen Land Berichte von LGTBI-feindlichen Attacken. Das Ausmaß dieses Problems ist schwer zu erfassen, denn nur ein geringer Teil der Opfer wagt den Schritt zur Anzeige.

Vox verschärft den Ton

Die LGTBI-Vereine und einige linke Parteien machen für die homophobe Gewalt auch das politische Umfeld verantwortlich. Sie nennen konkret einen Namen: Vox, die rechtsextreme Partei, die seit vergangenem Jahr im spanischen Parlament, den meisten regionalen Kammern und vielen Rathäusern präsent ist. Ignacio Paredero, Vorstandsmitglied des staatlichen Verbandes für Lesben, Schwule, Trans- und Bisexuelle (FELGTB) erklärte gegenüber „eldiario.es“, dass die Rechtsextremen das Kollektiv als Bedrohung darstellten und, wenn von sexueller Vielfalt die Rede ist, diese immer mit Kindesmissbrauch gleichsetzten.

Politiker von Vox haben sich in der Tat mit schwulenfeindlichen Aussagen hervorgetan. Die Partei hat in Europa stark kritisierte neue Gesetze gegen sexuelle Minderheiten in Ländern wie der Ukraine oder Ungarn begrüßt. Der Vox-Vorsitzende Santiago Abascal war im Mai Gast beim ungarischen Regierungschef Viktor Orbán in Budapest. Der Sprecher der Rechten im Madrider Rathaus, Javier Ortega Smith, hatte angeregt, die Feiern des Orgullo LGTBI von der Madrider Innenstadt in einen Park am Stadtrand zu verlegen. Vox fordert beständig die Abschaffung von Subventionen für Schwulen- und Lesbenvereinigungen sowie feministische Organisationen.

Noch sitzt Vox in keinem Parlament oder Rat einer großen Stadt, aber vielerorts stützt die Partei Regierungen von Konservativen (PP) und Ciudadanos. So auch in Madrid. Die Ausrichter des "Orgullo LGTBI" beklagten, dieses Jahr kaum Zuschüsse von der Stadt bekommen zu haben. Im Gegensatz zu früher hing weder am Rathaus, noch am Regierungssitz der Region die Regenbogenflagge. Beide Institutionen werden von der PP regiert, die jedoch auf die Unterstützung von Vox angewiesen ist.

Dabei hat Spanien in den vergangenen Jahrzehnten im Kampf gegen die Diskriminierung von sexuellen Minderheiten gehörige Fortschritte gemacht. „Ni un paso atrás“ (Nicht einen Schritt zurück) hieß das Motto, das auf der Demo am Samstag in Madrid am häufigsten zu hören war. „Wir werden nicht einen Schritt zurückweichen bei unseren Rechten und Freiheiten. Spanien wird das nicht zulassen“, lautete auch die Reaktion auf Twitter von Ministerpräsident Pedro Sánchez nach dem Mord an Samuel Luiz in A Coruña.

Streit um Transsexuelle

Am Dienstag zuvor (29.6.) hatte die Koalitionsregierung aus Sánchez' Sozialisten (PSOE) und dem Linksbündnis Unidas Podemos ein neues Gesetz verabschiedet, dass Transsexuellen mehr Rechte einräumt. So können Personen ab 16 Jahren beim Amt (Registro Civil) ihr Geschlecht und Namen ändern lassen. Die einzige Auflage besteht darin, dass man nach dem erstmaligen Antrag eine dreimonatige Bedenkfrist bekommt, bevor man die Entscheidung bestätigt. Bislang musste man ein ärztliches Gutachten oder andere Zeugnisse dafür vorlegen, die den Wunsch auf ein anderes Geschlecht begründeten. Auch eine Hormonbehandlung als Voraussetzung entfällt. In diesem Punkt hatte es einen bitteren Streit zwischen den Koalitionspartnern gegeben, bei dem sich die Linken schließlich durchsetzten. So reicht für den Geschlechtswandel fortan einzig und allein die individuelle Entscheidung. In konservativen Kreisen stieß die Ley Trans auf heftige Kritik. „Wer als Mann geboren wurde, bleibt immer ein Mann“, erklärte etwa der Erzbischof von Granada, Javier Martínez.

Dabei hat die Tolerierung von Schwulen, Lesben und Menschen mit anderen sexuellen Orientierungen in den vergangenen Jahren in der spanischen Öffentlichkeit spürbar zugenommen. Fernsehshows und Serien allein mit heterosexuellen Teilnehmern sind heutzutage undenkbar. Dennoch ist die Homophobie weiter verbreitet. Laut einer Umfrage der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) vom vergangenen Jahr erklärten 48 Prozent der Befragten in Spanien, dass sie mit einem Partner gleichen Geschlechts in der Öffentlichkeit lieber nicht Hand in Hand gehen und 32 Prozent gaben an, bestimmte Orte zu meiden.

Andererseits scheinen viele Jugendliche sexuell immer offener zu sein. Eine Umfrage des staatlichen Meinungsforschungsinstituts CIS von Juni ergab, dass sich 94 Prozent aller Befragten als heterosexuell einstufen, ein Anteil der bei den 18 bis 24-jährigen jedoch auf knapp 83 Prozent sinkt. Bei der letzten Umfrage vor fünf Jahren lag der Anteil in dieser Altersklasse noch über 90 Prozent.