Es sind apokalyptisch anmutende Szenen, die sich in diesen Tagen auf La Palma abspielen. Hunderte Menschen mussten zusehen, wie ihre Häuser, aus denen sie kurz zuvor noch das Nötigste retten konnten, von den Lavawalzen verschluckt wurden. Wie in Zeitlupe fressen sich die glühenden Steinmassen durchs Gelände, reißen Gartenmauern nieder, fallen zischend in die Pools und begraben ganze Häuser, Schulen, Sportstätten, Straßen und Felder unter sich.

Bis Mittwoch (22.9.) hatte der Vulkanausbruch im Gebiet Cumbre Vieja auf der Kanaren-Insel 320 Gebäude zerstört, und es sollten nicht die letzten sein. Denn zwei Lavaströme wälzen sich mit wechselndem Tempo unausweichlich das Tal hinunter zum Meer. Wenn die Lava in den Atlantik fließt, werden gefährliche chemische Reaktionen befürchtet. Rund 6.000 Personen wurden aus dem betroffenen Gebiet an der Westseite der Insel in Sicherheit gebracht, darunter rund 500 Touristen. Die Vulkaninsel ist besonders bei deutschen Urlaubern wegen ihrer dramatisch schroffen Landschaft zum Wandern beliebt. Wie lange die Eruption noch dauern wird, ist unklar. Der Vulkan kann noch Wochen oder gar Monate lang Feuer speien und die Erde erschüttern.

Tote gab es zum Glück nicht zu beklagen, denn die Naturkatastrophe kam alles andere als unerwartet. Die Kanaren, vor allem La Palma, sind ein aktives Vulkangebiet. Der letzte Ausbruch ereignete sich vor zehn Jahren vor der kleinen Insel El Hierro im Südwesten. In Europa treten die Vulkane noch auf Island und in Süditalien – besonders der Ätna auf Sizilien – in Aktion. In Spanien haben die Geologen außer den Kanaren nur in der Region La Garrotxa, im Norden von Katalonien, Vulkanausbrüche in den vergangenen 10.000 Jahren festgestellt. Doch gibt es weitere, ältere Gebiete vulkanischen Ursprungs im Lande, darunter die kleinen, unbewohnten Islas Columbreras, die rund 200 Kilometer von Mallorca entfernt vor der Küste von Castellón liegen. Auf den Balearen gibt es bekanntlich keine Vulkane.

Die sieben Kanarischen Inseln – es könnten acht werden, wenn die kleine La Graciosa vor Lanzarote zu einer eigenen Insel erklärt wird – sind mit Abstand das größte und aktivste Vulkangebiet Spaniens. Der Archipel entstand vor rund 30 Millionen Jahren durch Eruptionen mitten im Atlantik. Das Aushängeschild ist der Teide auf Teneriffa, der 3.715 Meter aus dem Ozean hervorragt und damit der höchste Gipfel Spaniens ist. Nimmt man den Sockel bis zum Meeresboden hinzu, hat der Berg eine Höhe von 7.500 Metern und ist damit der drittgrößte Meeresvulkan der Welt, hinter zwei Bergen auf Hawaii. Der letzte Ausbruch auf Teneriffa, der größten Kanaren-Insel, geschah im Jahr 1909. Heute ist der Teide mit seiner atemberaubenden Mondlandschaft eine Touristenattraktion. Eine Seilbahn führt bis oben auf den Gipfel.

Sehr aktiv war in der zeitgenössischen Epoche Lanzarote. Eine Serie von Eruptionen zwischen 1730 und 1736 schaffte eine ganz neue Landschaft, die die Oberfläche der Insel um ein Viertel vergrößerte. Heute ist das der attraktive und beliebte Nationalpark Timanfaya, eine weite, hügelige Steinwüste, die sich zum Meer erstreckt. Das letzte Mal, als sich auf Lanzarote die Erde öffnete, liegt schon etwas zurück, es war im Jahr 1824.

Im Oktober 2011 begann es im Meer kurz vor El Hierro zu brodeln. Man wartete gespannt, ob eine neue Insel im Atlantik entstehen würde. Doch nach 147 Tagen endete die Eruption, ohne dass die Lavamassen die Meeresoberfläche erreichten.

Die aktivste Vulkantätigkeit spielt sich jedoch auf La Palma ab. Die älteren Inselbewohner können sich mit dem jüngsten Ausbruch im Gebiet Cumbre Vieja nun schon an drei solcher Ereignisse erinnern. Bei der Eruption des nahe gelegenen Nambroque und anderer Krater 1949 kam eine Person ums Leben. Beim Ausbruch des Teneguía an der Südspitze der Insel 1971 starben zwei Menschen an den giftigen Gasen. Während der Großteil der Krater auf La Palma von Wäldern geziert wird, sticht am Teneguía noch das pechschwarze Lavagestein hervor, das bis hinunter zum Atlantik reicht, wo ein Leuchtturm und ein paar Salinen wundersamerweise verschont wurden und heute eine einzigartige Kulisse bilden.

Zuerst gab es Erdstöße

Im August veröffentlichten Wissenschaftler im Fachmagazin „GeoHazards“, dass in den vergangenen Millionen Jahren massive Erdrutsche auf den Kanaren Tsunamis mit Wellen von fast 300 Meter Höhe ausgelöst hatten. Die Experten debattieren seit Längerem über die Gefahr eines solchen Erdrutsches auf La Palma, der Wellen schlagen könnte, die die Ostküste der USA erreichen würden.

Beim neuesten Ausbruch im Gebiet Cumbre Vieja kam niemand zu Schaden, da sich das Ereignis durch Erdstöße in den Tagen zuvor angekündigt hatte und die Menschen in Sicherheit gebracht wurden. Doch haben Hunderte Familien ihr Zuhause verloren. Spanien-Premier Pedro Sánchez flog am Montag (20.9.) nach La Palma, um Trost zu spenden und Hilfen für die Betroffenen anzukündigen. Darüber wolle man nun auch mit der EU-Kommission reden, so der Regierungschef.

Tourismusministerin Reyes Maroto trat derweil ins Fettnäpfchen. „Der Ausbruch ist eine gute Werbung für den Tourismus, die wir ausnützen müssen“, erklärte sie – und erntete dafür Kritik von der Opposition. Die Vulkane auf den Kanaren ziehen erfahrungsgemäß viele Besucher an. Doch für die Menschen, die ihr Hab und Gut verloren haben, kann dies nur ein schwacher Trost sein.