Normalerweise ist in der spanischen Politik, wie anderswo, über die Feiertage im Dezember nicht viel los. Doch dieses Jahresende war von einem rasanten Schlussspurt wegen zwei der wichtigsten wirtschaftspolitischen Projekte geprägt. Am Dienstag (28.12.) traf ein aufgrund der neuen Corona-Welle dezimiertes Parlament zusammen – viele Abgeordnete stimmten telematisch ab –, um endgültig den Haushaltsplan 2022 zu verabschieden. Am selben Vormittag segnete das Kabinett zudem auf seiner wöchentlichen Sitzung die frisch beschlossene Reform des Arbeitsmarktes ab.

Beide Beschlüsse machen den Weg frei für den Erhalt der Hilfsgelder aus dem europäischen Aufbaufonds. Spanien stehen 140 Milliarden Euro zu Verfügung, jeweils zur Hälfte Direkthilfen und Kredite. Die Reform des Arbeitsmarktes, zusammen mit der des Rentensystems, vor Jahresende war eine mit der Europäischen Kommission vereinbarte Bedingung für die Corona-Hilfen. Die Linksregierung hat ihre Hausaufgaben erledigt, wenn auch auf den letzten Drücker.

Ministerpräsident Pedro Sánchez zeigte sich während der Parlamentsdebatte am Dienstag verständlicherweise erleichtert. „Diese beiden großen Abkommen zum Jahresende – der Haushalt und die Arbeitsmarktreform – sollten nur das Vorspiel für das sein, was im neuen Jahr kommt“, erklärte der Sozialist im Unterhaus. Für 2022 wünschte sich der Regierungschef weitere Abkommen, die auf eine noch breitere Zustimmung treffen. Das war an die rechten Oppositionsparteien gerichtet, die weiterhin auf totale Konfrontation zur Regierung der Sozialisten (PSOE) und dem Linksbündnis Unidas Podemos gehen.

Alle Seiten geben nach

Der Durchbruch bei der Arbeitsmarktreform ist ein besonders wichtiger Erfolg, der vor Kurzem noch in der Schwebe war. Neun Monate lang hatte die Regierung mit den Arbeitgebervertretern und Gewerkschaften zähe Verhandlungen geführt, die kurz vor Heiligabend zum Abschluss kamen. Herausgekommen ist ein Kompromiss, bei dem alle Seiten Zugeständnisse machen.

Sozialisten und Linke haben ihr ursprünglich erklärtes Ziel begraben, die ungeliebte Reform der konservativen Vorgängerregierung komplett zurückzufahren. So wird etwa der Kündigungsschutz nicht wieder angehoben. Der Dachverband der spanischen Arbeitgeber CEOE nahm im Gegenzug in Kauf, dass die Gewerkschaften in den Tarifverhandlungen zukünftig wieder mehr Gewicht haben. Die Reform der konservativen Regierung von Mariano Rajoy hatte den Einfluss der Arbeitnehmer stark beschnitten. So haben fortan die Tarifverträge auf Branchenebene wieder Vorrang vor denen auf Betriebsebene.

Die spanische Variante der Kurzarbeit (ERTE), die sich während der Pandemie bewährt hat, wird für andere Krisenformen und konjunkturelle Probleme angepasst und verbessert. In der Vergangenheit, etwa in der Finanzkrise nach 2008, hatten Spaniens Unternehmen mit Massenentlassungen reagiert.

Das wichtigste Anliegen aller Beteiligten –und der Europäischen Kommission – war die Eindämmung des hohen Anteils an Zeitarbeit. Jeder vierte Job ist befristet, manchmal auf Monate, oft auch auf Wochen oder gar Tage. Damit liegt Spanien in der Europäischen Union hinter den Niederlanden an der Spitze.

Seit geraumer Zeit bemängeln Experten und Gewerkschaften den Missbrauch bei den contratos temporales, der viele Branchen betrifft. Bezeichnenderweise ist der Staat selbst der größte Sünder. Im öffentlichen Bildungsbereich oder in der Gesundheitsversorgung zum Beispiel sind befristete Arbeitsverhältnisse gang und gäbe. Auch damit will die Linksregierung nun aufräumen.

Nach der neuen Reform muss der Arbeitgeber Zeitverträge fortan genauer rechtfertigen. Im Grunde gibt es nur zwei Motive: ein unvorhergesehener und vorübergehender Produktionsanstieg, der mehr Arbeitskräfte erfordert, sowie die Vertretung von Ausfällen durch Urlaub, Schwangerschaft oder Krankheit. In Branchen dagegen, die stark vom Saisongeschäft abhängig sind wie der Tourismus, sollen die Firmen den sogenannten contrato fijo discontinuo anwenden, einen Vertrag, der Saisonarbeitern die Stelle auch in den folgenden Jahren sichert. Die Strafen für Missbrauch der Zeitverträge werden drastisch erhöht. Die Firmen müssen bei einem Vergehen nicht mehr eine einmalige Strafe zahlen, sondern für jeden unregelmäßig Beschäftigten.

Ob all diese Maßnahmen genügen, um mit den prekären Arbeitsverhältnissen aufzuräumen und mehr feste Jobs zu schaffen, wird sich zeigen. Manche Experten versichern, dass dafür ein Mentalitätswechsel in der spanischen Unternehmenswelt nötig ist.

Nachverhandlungen?

Die Arbeitsmarktreform trat am Mittwoch (29.12.) per Dekret vorläufig in Kraft. Doch muss das Gesetzespaket noch vom Parlament abgesegnet werden. Die üblichen Partner der Minderheitsregierung von Sánchez haben sich zunächst skeptisch gezeigt. Den Linken wie der baskischen Bildu oder der katalanischen ERC geht die Reform nicht weit genug. Die wirtschaftsnahe baskische PNV findet dagegen einige Aspekte für die Unternehmen zu hart. Die Regierung hat Nachbesserungen im Laufe der Verhandlungen mit den kleineren Parteien nicht ausgeschlossen. Doch Arbeitgeberchef Antonio Garamendi warnte, dass man die Unterstützung für die Reform zurückziehen werden, sollte „nur ein Komma geändert werden“.

Die Regierung vertraut darauf, dass es am Ende gut ausgeht und sie die nötigen Stimmen im Parlament zusammenbekommt, so wie beim Haushalt, der am Dienstag mit breiter Mehrheit verabschiedet wurde. „Der Dialog ist das Markenzeichen dieser Regierung“, behauptete die Arbeitsministerin Yolanda Díaz von den Linken, eine von drei stellvertretenden Ministerpräsidentinnen, die maßgeblichen Anteil am Erfolg der Reform hat.