Ihr Tennisarm bereitet ihr etwas Kummer. Aufs Tennisspielen, ihre große Leidenschaft, wird sie nun ein paar Tage verzichten müssen. Und dann ist da noch die Frage, ob die Vorratspackung Tofu-Geschnetzeltes wohl in den Koffer passen wird, um sie vom Kurzurlaub in der Heimat mit nach Mallorca zu bringen. Ansonsten jedoch führt Gabi Steiner ein Leben, das der Volksmund wohl als rundum sorgenfrei bezeichnen dürfte.

Sie hat ein Haus in Florida, eine Wohnung am Schweizer Ufer des Bodensees und verbringt einen Teil des Jahres in ihrer Villa in Santa Ponça, von deren Esszimmer aus sie auf Balkon, Infinity-Pool, eine prächtige Bougainvillea-Hecke und das blaue Meer - in dieser Reihenfolge - blicken kann. Sie hat einen tollen Mann, mit dem sie Golf spielt, reist oder einfach das Leben genießt. Denn die 60-jährige Deutsche hat Zeit. Zeit, die sie sich seit Jahren frei einteilen kann, anstatt sie zum Großteil mit Arbeiten zu verbringen.

Das war natürlich nicht immer so. Über 20 Jahre lang hatte Gabi Steiner in der Nähe von Stuttgart als Großhandelskauffrau in der Stahlbranche gearbeitet. Acht Jahre lang schlug sie sich als alleinerziehende Mutter durch. „Ich war damals nicht unglücklich, aber ständig knapp bei Kasse", erinnert sie sich. „Ich habe immer schon gerne Klamotten gekauft, bin gerne in den Urlaub gefahren." Und sie habe schon immer gewusst, dass sie eigentlich mehr könnte - aber unter diesen Lebensumständen keine Chance bekommen würde.

Doch die Chance kam, 1993, als Gabi Steiner als Beraterin bei einem amerikanischen Unternehmen anfing, das über ein Multi-Level-Marketing-System Diätprodukte und Nahrungsergänzungsmittel vertreibt. Da ihr Verdienst fortan nicht mehr von äußeren Faktoren, sondern allein von ihrem eigenen Engagement abhing, sei ihr schnell klar gewesen: „Ich kann doch noch Millionärin werden." Bereits nach sechs Monaten habe sie es auf ein Zubrot von 14.000 Mark gebracht. Mit 40 beschloss die quirlige Schwäbin - von ihrem Umfeld für verrückt erklärt -, ihren Job in der Stahlbranche an den Nagel zu hängen. Als ihr Chef sie auf lange Kündigungsfristen verwies, die es einzuhalten gelte, andernfalls wirke sich das schlecht auf die Beurteilung aus, dachte sich Steiner nur: „Mir egal, ich werde nie wieder ein Arbeitszeugnis brauchen."

Zu 100 Prozent überzeugt sei sie von ihrer damaligen Tätigkeit dennoch nicht gewesen. Zum einen, weil sie sich für ihr Einkommen ganz schön ins Zeug legen musste und freie Tage zwangsweise weniger Umsatz und weniger Provision bedeuteten. „Ich hatte mich gerade in meinen Mann verliebt, musste aber jedes Wochenende arbeiten", erzählt sie. Zum anderen missfiel ihr das Vergütungssystem, bei dem der Direkt­verkauf eine entscheidende Rolle spielte, sodass sie zwar gut verdiente, aber andere aus ihrem Team, die im Verkauf nicht stark genug waren, auf der Strecke blieben. „Das hat mich fertig gemacht."

Ein weiterer Zufall bescherte Gabi Steiner 1999 schließlich die in ihren Augen perfekte Chance, finanziell unabhängig zu werden. Sie stolperte in einer Fachzeitschrift über einen Artikel, in dem die Rede von natürlichem Haut-Lifting ganz ohne Laser war. „Ich war damals 44, das sprach mich an." Und so bestellte sie die erste Packung Dragees aus der Forever Young Skin-Serie von Life Plus, einer US-Firma, die seit 1936 Nahrungsergänzungprodukte auf natürlicher Basis herstellt.

Den Unternehmensnamen erwähnt Steiner aber gar nicht so gern. Sie betont stattdessen, dass es sich dabei um ein Konsumentennetzwerk handelt, das auf Empfehlungs­marketing beruht. Worte wie Verkauf und Verdienst kommen in Steiners Sprache nicht vor. Kein Druck, keine Werbung, sondern von Mensch zu Mensch lautet ihre Devise. „Von Mensch zu Mensch" ist auch der Titel ihrer beiden Bücher. Das erste wurde seit der Erstauflage 2004 über 100.000 Mal verkauft und in elf Sprachen übersetzt.

Den Unterschied zu anderen Vertriebssystemen erklärt Gabi Steiner, indem sie allerlei Gegenstände auf ihrem Esszimmertisch hin- und herschiebt. „Das Produkt geht direkt vom Hersteller an den Endkunden." Dadurch könne das Geld, das sonst bei Zwischenhändlern hängenbleibt oder für Personal, Ladenmieten und Werbung draufgeht, an diejenigen ausgeschüttet werden, die die Produkte weiterempfohlen haben. Anders als bei Schneeball- oder Pyramidensystemen - zwei Begriffe, die Steiner auch nicht mag - gelten beim Empfehlungsmarketing für alle die gleichen Bedingungen: Jeder ist Konsument, jeder zahlt den gleichen Preis für die bestellten Nahrungs­ergänzungs- und Wellness-Produkte, und jeder bekommt am Monatsende eine Provision überwiesen, deren Höhe von der Größe des aufgebauten Netzwerks abhängt. „Das Schöne ist, dass es so gerecht ist und jeder anfangen kann, ein Netzwerk aufzubauen."

Gabi Steiner empfahl die Kräuter­pillen als erstes ihrer Mutter weiter, die wiederum ihren Bruder für die Produkte begeistern konnte, der sie seinem kranken Hund verabreichte. Inzwischen gehen 95 Prozent der Life Plus-Kunden auf das von Steiner aufgebaute Netzwerk zurück. Im vergangenen Monat bestellten mehr als 91.000 Menschen aus ihrem Team Produkte im Wert von 14 Millionen Euro bei dem US-Unternehmen, dessen größter Markt dank Steiners Pionierarbeit in Deutschland und der Schweiz liegt. Durch persönliche Kontakte oder Urlaubsbekanntschaften ist der Konsumentenkreis aber längst auch nach Mallorca und sogar bis nach Kanada und Australien gewachsen. Wie viel für Gabi Steiner monatlich dabei herausspringt, gehört nicht in die Zeitung, findet sie. Über Geld - und Altersvorsorge oder Krankenversorgung - müsse sie sich jedenfalls seit Langem keine Sorgen mehr machen.

Wobei sie eigentlich sowieso nie krank sei. „Letztens wurde mir bei einem Check bestätigt, dass mein Herz für eine Frau ungewöhnlich stark ist", berichtet Steiner. Dann holt sie eine große Box voller verschiedenfarbiger Dragees aus der Küche und gibt eine kurze Einführung in das Geheimnis ihrer Fitness. „Ich nehme alles, ich weiß ja, was die Produkte machen." Die braunen Pillen etwa seien gut gegen Stress, die orangen enthielten Magnesium und Kalzium, die einen wirkten darmreinigend, die anderen beugten dank Omega-III-Fettsäuren Alzheimer und anderen Krankheiten vor. „Für 150 Euro im Monat bekommt man eine gute Grundversorgung."

Dass die Produkte wirken, steht für Gabi Steiner außer Frage. Das erlebe sie am eigenen Leib: „Ich werde auch älter, aber auf

Klassentreffen sieht man durchaus den Unterschied". Und auch andere Kunden hätten positive Erfahrungen gemacht. Dann zeigt sie eine ganz Reihe Vorher-Nachher-Bilder, etwa von einer jungen Frau, deren unreine Haut besser geworden ist, oder von einem achtjährigen Mädchen, dessen hässliche Warzen an den Fingern weggingen. Noch ergreifender findet Gabi Steiner allerdings die Geschichten von Menschen, die im Laufe der Jahre in ihr Network-Marketing-Team kamen. „Wir haben da zum Beispiel einen 23-Jährigen, der mit 17 Alkoholiker war und jetzt sehr erfolgreich ein Netzwerk aufbaut."

Mit von der Partie sind inzwischen auch Steiners Sohn und einige seiner Kommilitonen von der Ascenso-Akademie in Palma, wo der 30-Jährige Sport- und Eventmanagement studiert hat. „Ich hatte immer ein schwieriges Verhältnis zu meinem Sohn, aber jetzt haben wir täglich Kontakt, beruflich", erzählt Steiner und strahlt übers ganze Gesicht. Gerade auch für junge Leute sei der Aufbau eines Konsumentennetzwerks eine Alternative zu den düsteren Aussichten auf dem heutigen Arbeitsmarkt, da sie ihnen ein sicheres Einkommen beschere.

2003 kaufte sich Gabi Steiner ihr erstes Haus in Santa Ponça - obwohl ihr Mann kritisch gewesen sei, weil Mallorca damals noch der Ruf der „Putzfraueninsel" anhaftete. Zwei Jahre später bezogen sie ihre Villa. Inzwischen finden auf der Insel sogar Workshops und Incentives für das Gabi Steiner-Team statt. Dabei macht man nicht nur zusammen Ausflüge, sondern motiviert sich gegenseitig, schürt mit Erfolgsstorys die kollektive Euphorie. „Das Schöne ist, dass jeder es schaffen kann, auch ich, obwohl in meiner damaligen Situation ohne Ausbildung, ohne Studium, weiblich und alleinerziehend alles gegen mich sprach", sagt Gabi Steiner, während sie sich fertig macht fürs Fitness-Studio. Nein, sie würde dieses Leben nicht mehr tauschen gegen ihr früheres in der schwäbischen Provinz, sagt die Frau, der von damals nur der prägnante schwäbische Dialekt geblieben ist.