Zugegeben, als ich die Details über das jüngste Flugzeugunglück erfuhr, lief es mir kalt den Rücken hinunter. Kein Mensch kann sich das Leid vor allem der Angehörigen vorstellen, die meisten werden sich wohl für den Rest ihrer Lebenszeit damit auseinandersetzen müssen.

Flugangst - in der Fachsprache auch Aviophobie genannt - ist die krankhafte Angst vor dem Reisen in Flugzeugen. Viele Deutsche leiden an Flugangst - vor allem nach Unglücken wie den Absturz der Germanwings-Maschine. Die Angst vorm Fliegen ist weit verbreitet und unterschiedlich stark ausgeprägt. Nach Umfrage­ergebnissen des Instituts für Demoskopie Allen­sbach soll etwa jeder fünfte Deutsche unangenehme Empfindungen beim Fliegen haben, von Flugangst wird bei 16 Prozent der Befragten ausgegangen.

Nicht selten wird im Vorfeld dann in der Arztpraxis nach Beruhigungs­mitteln verlangt. Dabei sind Benzodiazepine (Valium, Alprazolam etc.) keine ideale Lösung. Statt sich der Angst zu stellen, und sie so zu reduzieren, wird sie nur betäubt und eventuell noch größer.

Wenn nach Flugzeugun­glücken die Zahl von Reiserücktritten zunimmt, hat das denn auch nur zum Teil mit emotionaler Betroffenheit zu tun. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA beschwerten sich diverse ­Versicherungsunternehmen über angeblich in massivem Umfang ausgestellte Gefälligkeitsatteste von Ärzten für Menschen, die von ihrer Reise zurücktreten wollten - ein klassisches Vermeidungs­verhalten wie es auch bei Menschen mit Flugangst vorkommt.

Ängste vorm Fliegen sind sehr unterschiedlicher Natur. Nicht nur die Angst vor einem Anschlag, einem Absturz, vor dem Tod spielen eine Rolle. Es kann auch die Enge in der Kabine oder die Flughöhe sein, die Panik-Gefühle auslösen. In einer Umfrage des Deutschen Flugangstzentrums gaben die Befragten überwiegend die Angst vor dem Ausgeliefertsein, vor einem Absturz sowie vor Turbulenzen an. „Angst ist ein Informations­defizit. Es ist die Ungewissheit dessen, was passieren könnte", so Thomas Schulz, ein beratender Arzt des Flugangstzentrums in der „Apotheken Umschau". Flugangst entsteht auch dann, wenn wir uns ganz einfach ausrechnen können, dass der Passagierflieger das sicherste Verkehrsmittel ist. Fast 80 Prozent gaben in der Umfrage an, ihre Angst für übertrieben und unangebracht zu halten. „Die Flugangst fragt also nicht nach logischen Argumenten", fügt Schulz hinzu.

Aviophobie ist also keine klassische Phobie, wie zum Beispiel die Angst vor Spinnen, die sich nur auf ein Lebewesen oder Objekt bezieht, sondern ist aus verschiedenen Ängsten zusammengesetzt. Ärzte sprechen daher bei der Flugangst von einer spezifischen, situationsbezogen Phobie.Die Symptome sind abhängig von der Stärke der Flugangst. Laut Schulz kann sie in besonders ausgeprägten Formen schon Wochen und Tage vor Abflug beginnen. Sie äußert sich oft in Schlaflosigkeit, Albträumen und allgemeinem Stressempfinden. Die Angst versetzt den Körper in einen Erregungszustand. Nahezu alle Menschen mit Flugangst haben körperliche Symptome wie Schweißausbrüche, Übelkeit, Herzrasen, flache Atmung, Schwindel, Kopfschmerzen, Magen- und Darmkrämpfe. Das kann sich bis zum Zusammenbruch oder Panik­attacken steigern.

Doch was kann man gegen diese Angst und die damit ­einhergehenden Symptome machen? Wer Flug­angst hat, sollte nicht

unvorbereitet einen Flug antreten. Man kann allgemeine Empfehlungen geben wie etwa, bequeme Kleidung zu tragen, nur leichte Speisen zu sich zu nehmen oder möglichst einen weit vorn gelegenen Platz am Gang zu buchen. Dort ist es leiser, man kann auf­stehen, sich strecken und bewegen, und Flugbewegungen sind, ebenso wie bei den Plätzen über den Tragflächen, weniger spürbar. Menschen mit leichter Anspannung hilft auch die Ablenkung mit Musik oder einem Buch.

Eine wirkliche Hilfe bei Flug­angst sind solche Maßnahmen allerdings kaum. Daher bieten viele Flug­gesellschaften professionelle Flugangstseminare an, die meist aus einem Teil zum technischen Hintergrund des Fliegens und einem psychologischen Teil zu Erklärung der Angstmechanismen bestehen. Teilnehmer solcher Seminare sollten vorher wissen, dass damit ihre Angst nicht einfach ausgeknipst wird. Vielmehr geht es darum, Angst auszuhalten, sie in den Griff zu bekommen und körperliche Symptome wie Zittern und subjektive Atemnot kontrollieren zu lernen. Dies gelingt einerseits mit Informationen über die Flugzeugtechnik, Sicherheitsmerkmale von Flugzeugen und über Flugabläufe, die es den Betroffenen erlauben, etwa bestimmte Geräusche besser einzuordnen. Hinzu kommt die Aufklärung darüber, was Angst eigentlich ist.

Kern der meist ein- bis zwei­tägigen Kurse mit einem Piloten und einem Psychologen ist die Konfrontation mit der Flug­situation und das Erlernen von Entspannungs- und Atemübungen sowie von gedanklichen Strategien, um mit der Stresssituation zurechtzukommen. Die Anbieter von Flugangst-Seminaren berichten von Erfolgsquoten deutlich über 90 Prozent, bezogen auf den Abschlussflug. Allerdings ist es nicht mit einem Seminar getan.

Ende vergangenen Jahres wurde bekannt, dass der europäische Flugzeugbauer Airbus einen Anti-Flugangsthelm entwickelt, der als Teil des Flugzeugsitzes den Kopf des Passagiers komplett umschließen soll - vergleichbar einer Trockenhaube beim Friseur. Der Helm soll den Passagier visuell, auditiv und sogar mit beruhigenden Gerüchen sowie frischer Luftzufuhr aus seiner ihn stressenden Umgebung in der Flugzeugkabine herausholen. Die Wahrnehmung von Turbulenzen wird damit freilich nicht verhindert. Ob und wann solche Hilfsmittel tatsächlich verfügbar sein werden, ist bislang unbekannt.

Dr. Luai Chadid ist Internist und Kardiologe an der Clinica ­Picasso in Palma. Tel.: 971-22 06 66.

www.clinica-picasso.eu