Strom ist knapp, Wasser auch. Für Lebensmittel und Medikamente müssen die Menschen in Venezuela derzeit stundenlang Schlange stehen. Ob sie dann bekommen, was sie brauchen, das wissen sie nicht. In dem Land an der Karibikküste im Norden von Südamerika herrscht Ausnahmezustand. Den hat Präsident Nicolás Maduro offiziell ausgerufen. Das war bereits im Januar. Mittlerweile hat er ihn zwei Mal verlängert, zuletzt Mitte Mai. Die Menschen in Venezuela erleben ihr Land derzeit in einer schlimmen Krise - politisch, wirtschaftlich und sozial.

Das sehen auch diejenigen, die nicht mehr dort leben. Derzeit sind es etwa 950 Venezolaner auf den Balearen (Stand 2015). Sie schauen mit Angst und Sorge auf ihre Heimat. „Es mangelte schon früher an vielen", sagt Helén Lopez, Journalistin aus Venezuela, „aber was wir jetzt erleben, ist erschreckend." Sie lebt seit elf Jahren in Spanien, derzeit in Madrid, ist aber oft in Palma, um venezolanische Freunde zu besuchen.

Die 37-Jährige ist Mitglied der Organisation „Venezuelan Press", der rund 200 Journalisten angehören. „Wir versorgen ausländische Medien mit Information aus dem Land", erklärt Lopez. In Venezuela gebe es quasi keine Medien mehr, die nicht dem Staat gehören. „Und wenn sie einigermaßen unabhängig arbeiten, wird ihnen das Papier zum Drucken verwehrt, vom Staat", sagt Lopez. Außerdem sei kritische Recherche im Land sehr gefährlich.

Ein Staat, der sein eigenes Volk vernichtet

Politisch ist die Lage schwierig: Das venezolanische Parlament unterstützt den Präsidenten nicht mehr, will die Amtsniederlegung. Der jedoch verhängt den Ausnahmezustand, um per Dekret weiter regieren zu können. Das kann er nur, weil er die Justiz als Institution hinter sich hat. Sie billigte vor einer Woche die erneute Verlängerung des Ausnahmezustands. Maduro übergeht dabei das Wählervotum von Anfang Mai, der erste Schritt hin zu einem Referendum, mit dem er abgesetzt werden könnte.

„Eine Demokratie ist das schon lange nicht mehr", sagt Lopez. In Venezuela habe man mit einer Regierung zu tun, die die Menschenrechte missachte. „Der Staat ist dabei, seine eigene Bevölkerung zu vernichten", sagt Lopez. Am schlimmsten sei die Situation im Gesundheitssektor. „Die Menschen haben keinen Zugang mehr, der Staat verwehrt ihnen Medikamente, Behandlung. Die Menschen sterben." Und man könne sich an keinen Rechtsstaat wenden.

Die Krankenhaus-Odyssee

Das kann auch eine Venezolanerin bestätigen, die vor etwa einem Jahr mit ihrem Mann und ihrer kleinen Tochter nach Mallorca kam. „Wir hatten einen guten Job in ­Venezuela, aber die Situation dort wurde immer unerträglicher", erzählt sie. Ihren Namen möchte sie nicht in der Zeitung lesen, „um meine Familie zu schützen". Als ihre Tochter eine Platzwunde am Kopf hatte, seien sie und ihr Mann von Krankenhaus zu Krankenhaus gerannt.

„Insgesamt waren wir in sechs Kliniken, aber nirgendwo war ein Kinderarzt vor Ort." Zehn Uhr nachts, das sei einfach zu spät gewesen. „Ärzte kommen aus Sicherheitsgründen nicht mehr zu später Stunde in die Kliniken." Ihre Tochter musste bis zum nächsten Tag warten. Sie erzählt auch, dass ein Familienmitglied ein bestimmtes Medikament nur auf dem Schwarzmarkt für viel Geld habe kaufen können. Diese Probleme träfen nicht nur die untere Schicht der Gesellschaft, sondern auch die Mittelschicht.

Schlange stehen für ein wenig Mehl

Die Inflation ist schon lange im dreistelligen Bereich, die private Wirtschaft liegt brach, Gewalt auf den Straßen ist mittlerweile alltäglich. „Man kann von Glück reden, wenn man ´nur´ ausgeraubt wird", erzählt die Venezolanerin, die anonym bleiben möchte, und beruft sich auf Erlebnisse in ihrer eigenen Familie. Viele ihrer Verwandten seien noch in Venezuela. Wegen der Gewalt geflohen seien schon viele, bestätigt auch Lopez.

Der Mangel an Lebensmitteln ist ein weiteres Problem. „Man musste immer schon Schlange stehen, um Lebensmittel zu kaufen", sagt Gilbert Murey, der seit elf Jahren in Spanien lebt und seit gut einem Jahr in Palma wohnt. „Früher hat man aber auch noch Lebensmittel bekommen." Heute stünde man drei bis vier Stunden an und wüsste nicht, was man am Ende überhaupt erhalte. „Mein 15-jähriger Cousin geht manchmal nicht zur Schule, um sich in eine der Lebensmittelschlangen zu stellen", erzählt Murey. Nur so habe die Familie Chance auf etwas zu essen und keinen Verdienstausfall der Eltern.

Eine Lösung der Krise scheint derzeit nicht in Sicht. „Wir hoffen alle darauf, dass es ein Referendum geben wird und dass Maduro so abgesetzt werden kann", sagt Helén Lopez. Eloy Contreras, Restaurantbesitzer in Palma, ist da weniger optimistisch. „Ich glaube, Venezuela braucht Hilfe von außen." Allein könne sich das Land aus einer solchen Krise nicht mehr befreien