Der junge Deutsche lallt. "Scheiß drauf, Malle ist nur einmal im Jahr", hallen seine Gesänge durch die Straßen von Cala Ratjada im Osten von Mallorca. Dass es bereits nach Mitternacht ist, stört ihn nicht. Unsanft schlägt er mit der Handinnenfläche im Vorbeigehen auf geparkte Autos am Straßenrand. Zwei Mallorquinerinnen, die vom Lärm auf ihre Terrassen getrieben wurden, ­blicken ihm missbilligend hinterher. "Was sollen wir machen? Die Polizei kommt ja sowieso nicht", sagt eine. Die andere nickt.

Dass die Ortspolizei von Capdepera derzeit vor allem durch Abwesenheit glänzt, ist für die Einheimischen kein Geheimnis mehr. Falsch geparkt? Egal, die Polizei ist ja ohnehin nicht im Einsatz. Einen kleinen Joint an der Meeres­promenade geraucht? Warum nicht? Die "Bullen" streiken ja!

Streiken dürfen die Polizisten zwar nicht, doch seit Ende Januar weigern sie sich, Überstunden abzuleisten - mit verheerenden Folgen: Oft ist nur eine Patrouille für das rund 55 Quadratkilometer große Gemeindegebiet im Einsatz, nicht selten sogar keine einzige. Dabei ist die Urlaubersaison längst in vollem Gange: Im Sommer nächtigen jede Nacht rund 50.000 Menschen in Cala Ratjada und Umgebung.

Dienst nach Vorschrift

"Als Einwohner oder Tourist würde ich mich hier nicht sicher fühlen", sagt José González bestimmt. Er ist der Sprecher der 37 Ortspolizisten und trifft die MZ direkt im Anschluss an eine der zahlreichen Gehaltsverhandlungen, die die Polizei bereits mit dem Rathaus geführt hat - und deren Scheitern der Grund für den Mangel an Polizeipräsenz ist. „Die Hälfte aller Dienstschichten wird dadurch beeinflusst, dass wir nur noch unsere ganz normal vorgeschriebenen Arbeitsstunden ableisten", so González. "Da kann man sich ausrechnen, wie viele Überstunden wir vorher gemacht haben", sagt er. „Aber damit ist Schluss, das soll der Bürgermeister ruhig spüren."

Spürbar sind die Auswirkungen in der Tat - massiv. An Pfingsten artete die Situation an dem größten Gemeindestrand, der Cala Agulla, aus. Entfesselte Partytouristen machten die Idylle am ­Naturstrand zunichte. Stundenlang ließ sich damals kein Beamter am Strand blicken. Auch in Zukunft dürfte gerade an den Stränden wenig von den „Blauen" zu sehen sein: „Früher hatten wir zwei Strand­patrouillen, die abwechselnd an den playas unterwegs waren", so Polizeisprecher González. Mittlerweile gebe es aber nur noch eine. Diese sei stets sieben Tage am Stück im Dienst und habe im Anschluss fünf Tage frei. Sprich: In jeder zweiten Woche wandert fünf Tage lang niemand zwischen den Handtüchern umher.

Auch der traditionelle Volkslauf am 1. Juli war wegen des Polizeimangels bereits abgesagt worden und fand letztlich nur statt, weil Freiwillige der Protección Civil die Sicherung und Sperrung der Straßen übernahmen. Ebenso Capdeperas Mittelaltermarkt im Mai: Er konnte nur stattfinden, weil die Zentralregierung dem Rathaus Beamte der Guardia Civil zur Unterstützung entsandte.

González ist bereits seit 13 Jahren bei der Ortspolizei Capdepera. Er erinnert sich noch an die Vor-Krisen-Zeiten. „Vor rund zehn Jahren waren wir mal 54 Polizisten, also fast doppelt so viele wie jetzt", erinnert er sich. Damals waren ständig vier bis fünf Patrouillen zu jeder Schicht im Einsatz, und die Polizisten konnten trotzdem ihre freien Zeiten einhalten. Doch dann kamen die Kürzungen und immer mehr Beamte brachen weg. „Im vergangenen Jahr haben wir oft 16-Stunden-Schichten geschoben und mussten zusätzlich unsere freien Tage opfern. Das war kein normales Leben mehr, vor allem, weil 80 Prozent von uns nicht hier wohnen, sondern in Palma."

Doch was die Polizisten seit Ende vergangenen Jahres immer wieder von Bürgermeister Rafael Fernández fordern, ist nicht in erster Linie mehr Personal, sondern vor allem mehr Geld. 1.280 Euro netto betrage das monatliche Einstiegsgehalt, so González. „Die Kollegen in Palma und Calvià verdienen bis zu 2.000 Euro", beschwert er sich und fordert 400 Euro pro Monat mehr als bisher.

Wie kleine Kinder

Für den Bürgermeister ist das inakzeptabel. Genau wie González wirkt er im Gespräch mit der MZ aufgebracht. Er hat die diplomatische Politiker-Sprache längst abgelegt. „Das ist, als fordere ein kleines Kind von seinen Eltern, ihm fünf Liter Eiscreme zu kaufen", wettert er. „Eine solche Summe werden wir nicht zahlen, sie ist gegen das Gesetz und unverhältnismäßig." Denn die Arbeitsbelastung und das Sicherheitsrisiko für die Polizisten in Capdepera sei nicht mit der Situation in Palma oder Calvià zu vergleichen.

Keine der beiden Seiten scheint derzeit einlenken zu wollen. Jüngstes Angebot von Fernández: 245 Euro monatlich mehr. Doch das reicht den Polizisten nicht, ebenso wenig wie die Tatsache, dass ab sofort fünf zusätzliche Polizisten eingesetzt werden. „Ich beschwere mich nicht darüber, dass sie sich weigern, Überstunden zu machen. Wohl aber da­rüber, dass sie sich kein Stück auf uns zu bewegen", so Bürgermeister Fernández. Zudem habe es bereits Beschwerden aus der Bevölkerung gegeben, weil Beamte sogar während ihrer regulären Dienstzeiten ihren Pflichten nicht ordnungsgemäß nachgekommen sein sollen, berichtet er.

„Das ist nicht wahr", so Polizeisprecher González. Er habe zudem das Gefühl, dass große Teile der Bevölkerung die Position der Ortspolizisten nachvollziehen können. Tatsächlich traf die MZ bei dem Lauf am 1. Juli in Cala Ratjada vor allem auf Menschen, die Verständnis für den Arbeitskampf der ­Polizisten haben.

Die zwei Frauen, die von dem alkoholisierten deutschen Störenfried aus dem Bett gescheucht wurden, machen sich darüber keine Gedanken. „Ich hoffe nur, dass das hier kein Dauerzustand wird", sagt eine von ihnen. Denn der Sommer ist noch lang. Und bald stehen die Sommerfeste im Dorf an. Vermutlich wird die Ortspolizei sich auch hier rar machen.