Für lärmempfindliche Menschen müssen die berühmt-berüchtigten Sechstagerennen die Hölle auf Erden sein. In einem geschlossenen Velodrom, im Fall der Berliner Radrennbahn gar unter der Erde, pusten Tausende Radsportfans in ihre Trillerpfeifen, dazu ertönt wummernde Musik aus den Lautsprechern, eine Nebelmaschine räuchert das Velodrom ein. Sechstagerennen kommen gerade wieder richtig in Mode, vor allem in England, Belgien und Deutschland, nachdem es zwischenzeitlich so aussah, als ob sie ganz aussterben würden.

David Muntaner macht das Spektakel auf der Bahn nichts aus, im Gegenteil. „Ich kann mich gut konzentrieren, wenn alles um mich herum am Durchdrehen ist", sagt der 32-jährige Bahnradweltmeister von 2014. Muntaner, der in Alaró mit seinem Bruder Albert das „Cycling Planet" betreibt, ein Radgeschäft mit Bewirtung, sieht beim Treffen mit der MZ tatsächlich recht erholt aus. Dabei hat er einen strapaziösen Winter hinter sich. In den vergangenen drei Monaten absolvierte der Insulaner fünf Sechstagerennen, allein drei im Ja­nuar. Jetzt ist die Sixdays-Saison vorbei und Muntaner zieht beeindruckt Bilanz. „Die Rennen sind so gut wie jeden Tag ausverkauft, die Leute haben unsere Trikots an und peitschen uns nach vorne."

War lange Zeit jedem Veranstalter selbst überlassen, wie er sein Sechstagerennen abhielt, gibt es seit 2007 internationale Vorschriften. So müssen unter anderem 24 Stunden, also vier Stunden pro Tag, den Rennen selbst gewidmet werden. Der Rest ist Rahmenprogramm. Es gibt verschiedene Renn-Modalitäten, Herzstück der Sechstagerennen ist das Zweier-Mannschaftsfahren (Madison). Hier geht es für die Fahrer darum, in einer bestimmten Zeit eine bestimmte Strecke zurückzulegen - mit Geschwindigkeiten von teils deutlich über 50 km/h.

Diese Vereinheitlichung der Regeln hat dazu beigetragen, Sechstagerennen - die ihre Hochzeit zwischen den Weltkriegen hatten - wieder populärer zu machen. Muntaner macht aber auch die englische Firma Madison Sports Group aus London für den Aufschwung auf der Bahn verantwortlich, die sich die Rechte einiger der Sixdays-Rennen in Europa gesichert hat und für die kommenden Jahre weitere Wettkämpfe in anderen Städten etablieren will.

Nicht ganz zufrieden ist der Mallorquiner mit seiner sportlichen Ausbeute. Bei den fünf Sechstagerennen, zu denen Muntaner meist mit dem Franzosen ­Morgan Kneisky antrat, wurden die beiden einmal Neunte in Gent, ansonsten schienen sie auf Platz 5 abonniert zu sein - in London, Bremen, Berlin und Kopenhagen. „Dabei war unser Ziel, zumindest einmal auf dem Podest zu landen."

Doch die Konkurrenz sei in den vergangenen Jahren genauso gestiegen wie die Popularität des Bahnradsports. „Vor allem viele junge deutsche Fahrer drängen zurzeit in die Elite", berichtet Muntaner, der sich im vergangenen Dezember einem deutschen Team angeschlossen hat. Mit den Maloja Pushbikers, die ihren Sitz im oberbayerischen Irschenberg haben, hat Muntaner das gefunden, was er lange Zeit suchte: einen zwanglosen Zusammenschluss von professionellen Fahrern.

Die Leitung des Teams, das sich keinerlei Angestellten leistet und alle Einnahmen den Fahrern selbst zukommen lässt oder in Werbemaßnahmen steckt, hat der Bayer Christian Grasmann übernommen. Der Bahnradfahrer, der ­Muntaner vor ein paar Monaten ansprach und ihn dazu ermunterte, in seinem Team zu fahren, gilt als der Kopf einer neuen Bahnrad-Bewegung in Deutschland. Vor allem die Nachwuchsarbeit nimmt er ernst. In seinem Heimatverein RSV Irschenberg fahren 60 Kinder und Jugendliche Rad, 15 davon sind Amateure mit Lizenz. Vier stehen kurz vor dem Sprung in die Pushbikers. Muntaner ist nicht in die Betreuung der jungen Fahrer eingebunden. „Das macht alles Christian." Doch im April fährt der Mallorquiner wieder einmal ins Alpenvorland, um bei einem Foto­shooting des Teams dabei zu sein.

Der Sechstage-Zirkus lohnt sich für Muntaner vor allem auch finanziell. Nach wiederholten Reibereien mit dem spanischen Bahnrad-­Nationaltrainer Salvador Melià hatte der 32-Jährige im vergangenen Jahr beschlossen, nicht mehr für Spanien zu fahren. Nicht nur aufgrund des schwierigen Verhältnisses zum Coach. „Es war auch eine ­Geldfrage. Bei internationalen Wettbewerben bekomme ich nur Preisgeld, wenn ich ganz vorne mitfahre. Wenn ich stürze, kommt nichts bei herum. Beim Sechstagerennen hingegen werde ich zu einem Großteil schon vor dem Start bezahlt, bei Siegen kommt noch ein bisschen obendrauf."

Diese Sicherheit weiß Muntaner inzwischen zu schätzen. Zumal er zusätzlich auch Trainer der irischen Männer-Bahnrad-Nationalmannschaft ist und so über ein zweites stabiles Einkommen verfügt - und für diesen Job nicht einmal die Insel verlassen muss. Weil auf Mallorca die Bedingungen ungleich günstiger sind als auf der britischen Insel, verbringen die Fahrer des Teams - Muntaner hat zurzeit sieben junge Männer im Team - die meiste Zeit des Jahres auf Mallorca. „Hier haben wir mit der Palma Arena eine tolle Radbahn, die es so in ganz Irland nicht gibt. Außerdem können wir aufgrund des Klimas hier fast täglich auch auf der Straße trainieren." Da bekommt man auch keinen Hörschaden.