Aus der Ferne betrachtet sieht das alles fast belanglos aus: Da steht wie eh und je einem Fels in der Brandung gleich das Arenal-Kultlokal „Deutsches Eck" des Platzhirschs Michael Bohrmann. Davor befindet sich eine Traube in rosafarbene T-Shirts gehüllter Menschen, die irgendwie in einer Tonlage johlt und johlt und johlt. Wenn man nicht wüsste, dass hier an diesem Sonntag die alljährlich als vorsommerliches Aufwärm-Ritual verstandene Ballermann-Polonaise deutschsprachiger Mallorca-Fans starten wird, würde man denken: Da saufen sich irgendwelche deutsche Touristen aus Bock an der Freude in Richtung Besinnungslosigkeit. So wie das hier nun einmal üblich ist.

Großer Penis, kleine Hoden

Das stimmt sogar. Doch das, was bei näherer Betrachtung ebenso in der Menschentraube zu sehen ist, ist alles andere als alltäglich: Zunächst einmal sticht ein aufgeblasener fleischfarbener, etwa zwei Meter hoher erigierter Plastikpenis ins Auge, der sich zu wummernder Partymusik fast elegant nach links und rechts bewegt und dessen Hoden merkwürdig klein sind. Die Person im Innern des Objektes – es ist eine Frau – lächelt die um sie herumwuselnden Kameramänner deutscher Privat-TV-Teams mit fast ausgesuchter Freundlichkeit an und scheint – die mallorquinische Frühlings-Sonne brennt merklich – zu schwitzen.

Einige Meter vom Penis entfernt halten mehrere noch gebremst grölende Jugendliche („ist das geil hier!") eine ebenfalls fleischfarbene, mutmaßlich als Beischlafutensil für eine gewisse Spezies von Männern dienende weibliche Gummipuppe in die Höhe. Der ein oder andere von ihnen schaut vermutlich ob des Alkohol-Einflusses bereits ausdruckslos ins Leere. Viele der zahllosen Menschen tragen ungerührt Schilder um den Hals, die Werbung für einen Partyschnaps mit dem unmissverständlichen Namen „Ficken" machen. Sie lachen so ausgelassen, wie man eben lacht, wenn man schon einige Gläser intus hat. Auf einem größeren Plakat der Fusel-Firma steht: „Länger steh´n und geiler feiern."

Kunst-Schamhaar und „Yoda"

Und dann ist da noch dieser mit einer blonden Zopfperücke versehene Mann, der ernst dreinschaut, immer wieder auf und ab geht und aus dessen Slip etwa 20 Zentimeter lange und wohl unechte schwarze Schamhaare hervorlugen, die ebenfalls von Kameramännern gefilmt werden. In seiner unmittelbaren Nähe schieben sich zwei echte, in Leoparden-Fummel gehüllte Zopf-Blondinen durch den Pulk. Sie lächeln und freuen sich ihres Daseins.

Ein wenig überrascht es, dass hier in der Herzkammer des deutschen Insel-Frohsinns niemand seinen blanken Hintern zeigt, aggressiv brüllt oder – wenn man das an diesem Ort überhaupt sagen kann – zu sehr aus der Rolle fällt. Das Ganze wirkt – wiewohl in der unterstmöglichen Schublade – irgendwie geordnet.

Zu diesem ausgelassenen ­Zustand passen auch bekannte Gesichter aus dem deutschen Privat-Fernsehen, die hier und dort aus der Menschentraube hervorstechen: Schäfer Heinrich etwa, durch die RTL-Serie „Bauer sucht Frau" wegen seiner bedächtig-rührigen Art zu Berühmtheit gelangt, sagt irgendwas in Mikrofone. Mario Teusch, ein wegen seines unverwechselbaren Äußeren „Yoda" genannter ehemaliger Vorsing-Kandidat für „Deutschland sucht den Superstar", tänzelt unter einem roten Mexikaner-Hut ruckartig durch die Menge. Er wirkt lieb und nett.

Der geordnete Lindwurm

Plötzlich und erhofft wird aus der Menschen-Traube eine völlig unchaotische Menschen-Reihe, die sich inmitten von Party-Klängen nachgerade gesittet wie eine Art Lindwurm bewegt: Der Penis tanzt und schmiegt sich an die Vorder-Person, einige völlig verhüllte „Spidermänner" tanzen ebenfalls, die blonde Walküre mit dem Kunst-Schamhaar auch, und „Yoda" lacht aus vollem Hals.

Und langsam verschwindet die Polonaise in Richtung Strandpromenade und MegaPark. Aus der Ferne sieht man nur noch etwas rosa Schunkelndes, das sich im flirrenden Licht des Mittelmeeres auflöst.

Im E-Paper sowie in der Printausgabe vom 3. Mai (Nummer 626) lesen Sie außerdem:

- Nicht von hier und nicht von da: Third Culture Kids

- Mallorcas Missionare

- Can Lis, das "junge Mädchen"

Hier geht's zum E-Papier: epaper.mallorcazeitung.es.