Wäre das Wetter im Jahr 1985 auf Sardinien nicht so fürchterlich gewesen, würde es den Radsporttourismus in seiner heutigen Form auf Mallorca womöglich nicht geben. „Ich kann mich noch erinnern, wie ich mit meinem Fahrrad hinter einem Laster geklebt habe, weil ich bei dem starken Wind sonst gar nicht vorangekommen wäre“, erzählt Max Hürzeler. Der Schweizer war damals auf die italienische Insel gereist, um sie als potenzielles Ziel für sein geplantes Radreiseunternehmen zu testen. „Mallorca kannte ich schon, ich wollte etwas Neues. Heute muss ich sagen, dass das Wetter dort zum Glück grauenhaft war.“ Der heute 68-Jährige setzte auf Altbekanntes und machte Mallorca zum Paradies für Radfahrer.

Hürzeler war zu diesem Zeitpunkt noch aktiver Radrennfahrer – Karrierehöhepunkt: Weltmeister im Steherrennen 1987 –, hatte sein ausgeprägtes unternehmerisches Gespür aber bereits unter Beweis gestellt. „Schon mit 23 Jahren hatte ich einiges an Geld angesammelt“, erzählt er. Bei einem Rennen in Italien waren ihm die schönen Pokale aufgefallen. In der Schweiz gab es die versilberten oder vergoldeten Trophäen damals nicht. Höchstens aus Zinn, und die waren teuer. Der junge Kerl aus Bad Zurzach erkannte eine Marktlücke. „Ich habe die Pokale in Italien gekauft und lasterweise in die Schweiz gebracht. Das war ein lukratives Geschäft“, sagt er.

Bei Geschäften nicht zu bremsen

Neben der Radsportkarriere hatte Hürzeler auch eine Ausbildung zum Maschineninstallateur gemacht. „Ich habe auch ein Ingenieursstudium versucht, aber nach zwei Wochen abgebrochen. Mit 22 Jahren hatte ich schon die ganze Welt gesehen und kam mit den 19-jährigen Grünschnäbeln nicht klar“, sagt er. Zumal er das auch einfach nicht nötig hatte. „Ich habe den Blick eines Geschäftsmanns. Ich sehe beinahe zu viel und muss mich oft bremsen“, sagt er.

Als er 1981 einen Steher-Weltrekord auf der Bahn aufstellte, kaufte er zur Feier für Freunde und Bekannte 250 T-Shirts. „Für 7,50 Schweizer Franken das Stück“ (etwa 7,90 Euro). Ein Bekannter riet ihm, dass er in Thailand nur zwei bis drei Franken dafür zahlen müsste. Erneut machte es beim Schweizer Klick. „Nach vier Jahren war ich mit meiner Firma Blacky der größte T-Shirt-Importeur in der Schweiz. Damals habe ich 120.000 T-Shirts verkauft, Adidas kam nur auf 80.000.“

Die Entdeckung der Insel

Schon im Jahr des Weltrekords hatten Sponsoren den Schweizer auf die Insel eingeladen. „Ich sah, wie die Leute Freude hatten am Fahren, an der Sonne, an den Hotels und an den billigen Drinks. Wir haben auf jedem Berg Sekt gesoffen“, erinnert er sich. Fahrradwege oder Radrouten gab es damals noch nicht. „Wir sind losgefahren wie die Deppen. Einmal bin ich im Hotel Delta in Es Puigderrós gestartet und in Portocristo gelandet. Ich musste mir erst einmal eine Karte kaufen, um zu wissen, wo ich überhaupt war.“

Vier Jahre später reifte langsam die Idee, Radsporturlauber auf die Insel zu bringen. „Die Reiseagenturen waren damals auf Fußballer spezialisiert. Als ich gesagt habe, dass ich 1.000 Radfahrer nach Mallorca hole, wurde ich ausgelacht“, sagt Hürzeler. Doch er blieb hartnäckig und setzte sich durch. Gemeinsam mit seinem Landsmann und Radprofi-Kollegen Albert Zweifel gründete er 1986 das Radreiseunternehmen „Bicicletas Mallorca S.L..“ mit Sitz im Hotel Delta. Die beiden waren nicht die ersten Radsportanbieter auf der Insel – das war Diana Sportreisen –, aber sie begannen damit, das Geschäft groß aufzuziehen.

„Es war eine schöne Zeit. Ich freute mich, dass ich kostenlos auf der Insel trainieren konnte“, sagt Hürzeler. Denn gemütliche Ausfahrten waren die Touren auf Mallorca nicht, zumal wenn der Guide Max Hürzeler hieß. „Es ist immer zu einem Rennen ausgeartet. Oftmals habe ich eine Woche Inselurlaub als Preis für denjenigen ausgeschrieben, der schneller als ich am Ziel ist. Gewonnen hat ihn nie jemand.“ Die sportliche Konkurrenz bei den offiziellen Wettkämpfen habe lange nicht verstanden, wieso er so kräftige Beine hatte, obwohl er nur mit Amateuren trainierte. Das Geheimnis hieß Mallorca.

1988 – ein Jahr nach dem WM-Titel in Wien – beendete Max Hürzeler seine aktive Karriere. „Noch nie war ein Radfahrer als amtierender Weltmeister abgetreten. Die Leute haben mich entsetzt angeguckt. Dabei hatte ich mit den Geschäften einfach zu viel um die Ohren und zehn Jahre lang eine Menge gearbeitet“, sagt er.

Radsportreisen auf Mallorca anzubieten war Ende der 80er-Jahre noch ein hartes Geschäft. Hürzeler streckte das Geld für die Auslagen vor, bekam es später von der Reiseagentur zurück. Der Verdienst hielt sich in Grenzen, und es war nicht immer einfach, die Kunden zufriedenzustellen. „Ich wurde für viele Fehler verantwortlich gemacht, für die ich nichts konnte“, sagt Hürzeler. Zum Beispiel wenn es bei der Übernachtung im Hotel Probleme gab oder die Räder, die damals noch im Flugzeug mitgenommen wurden, nicht pünktlich ankamen.

Jan Ullrich sei dank

Doch Hürzeler blieb dran, ließ mit bunten Pfeilen auf den Straßen die Routen markieren, schloss mit immer mehr Hotels Vereinbarungen, expandierte vom Süden der Insel an die Playa de Muro – heute die Radfahrer-Hochburg schlechthin. Entscheidenden Rückenwind brachte dann der Radsport-Boom in den 90er-Jahren. Spätestens nachdem Jan Ullrich 1997 die Tour de France gewann, beschlossen viele Deutsche, sich auf den Sattel zu schwingen und ebenso wie „Ulle“ auf Mallorca zu trainieren.

„Wir sind dann kontinuierlich gewachsen“, sagt Max Hürzeler. „Das geht auch heutzutage noch weiter“. Besonders der Anteil an Frauen habe in den vergangenen zehn Jahren stark zugenommen. „Das sind gute Kundinnen. Die Damen achten oft auf Qualität.“ 60.000 Räder im Jahr verleiht „Max Hürzeler – Das Radsporterlebnis“, wie das Unternehmen inzwischen heißt. Rund 150 festangestellte Mitarbeiter sorgen dafür, dass alles klappt.

Seit 2005 nicht mehr Eigentümer

„Ich wollte eigentlich nie so groß werden“, sagt Max Hürzeler. „Ein Unternehmen mit solchen Ausmaßen zu führen, ist wahnsinnig anstrengend.“ Schon 1998 überlegte der Schweizer, seine Firma zu verkaufen. Dazu kam es erst 2005, wobei Hürzeler weitere zehn Jahre noch der Geschäftsführer war und bis heute noch Teil der Geschäftsleitung ist. „Ich mache immer weniger. Als Berater bin ich immer ansprechbar und mir liegen alle Zahlen vor. Wenn etwas schlecht läuft, dann spreche ich das auch an.“ In zwei Jahren will er sich im Alter von 70 Jahren komplett aus dem Geschäft zurückziehen. „Rentner bin ich eigentlich jetzt schon. Ich finde es schön, dass es ein langsamer Abschied ist. Ich genieße es, hier rumzuhängen und zu sehen, wie mein Lebenswerk weitergeführt wird.“

Wobei dieses Lebenswerk mittlerweile viele Nachahmer gefunden hat. Hinter Hürzeler haben sich Philipps Bike Team und Fred Rompelberg als Konkurrenten etabliert. „Sie waren beide bei mir als Guides. Das sind schlaue Leute, die verstanden haben, dass sie das Rad nicht neu erfinden müssen“, sagt der Schweizer. Der Niederländer Fred Rompelberg gibt unumwunden zu, dass er das Konzept im Detail kopierte. „Wir können gar nicht die ganze Nachfrage abdecken“, sagt Max Hürzeler.

Im Wechsel der Jahreszeiten

Der Radsport hat die Nebensaison und die örtliche Wirtschaft auf der Insel entscheidend belebt – vor allem gegen Ende des Winters, wenn sich die Mittel- und Nordeuropäer auf die Mallorca-Sonne freuen. Auch im Herbst kommen Radsporturlauber, aber weniger: Die Sommermüdigkeit stecke ihnen noch in den Knochen, die Hotels seien vergleichsweise teuer, sagt Max Hürzeler.

Er selbst pendelt je nach Jahreszeit. Im Sommer ist er in der Schweiz, im Winter in Thailand und im Frühjahr auf Mallorca. Wobei: „Auf der Insel habe ich ein schönes Haus und die meisten Freunde. Hier fühle ich mich am wohlsten. Zumal es keinen schöneren Ort auf der Welt zum Radfahren gibt“, sagt der 68-Jährige.