Regentropfen fallen von der Bronzestatue des Joan Mas auf den steinernen Sockel. Doch der lokale Held von Pollença reckt den Kopf stolz gen Himmel. Es ist wolkenverhangen, die Straßen sind nass. Nicht gerade der ideale Moment, um die beste Seite eines Ortes einzufangen. Andererseits: Ein bisschen Regen dürfte der Schönheit von Pollença doch eigentlich nichts anhaben. Seit dem vergangenen Wochenende ist sie offiziell: Nach Fornalutx, das bereits 2017 als erster Ort auf Mallorca in die Liste der schönsten Dörfer Spaniens aufgenommen wurde, hat die Vereinigung „Pueblos más bonitos de España“ nun zusätzlich die Bewerbung von Pollença akzeptiert. Und nicht nur das: Auch die Nachbargemeinde Alcúdia darf sich ab sofort mit dem Titel schmücken. Stellt sich die Frage: Welcher der Orte an der Nordküste ist schöner?

„Es gab immer eine gewisse Rivalität zwischen Alcúdia und Pollença“, sagt Catalina, eine ältere Dame, die sich auf Pollenças Plaça Major einen Kaffee gönnt. Der Platz im Stadtzentrum ist übersät von ausladenden Schirmen, die die Café-Gäste vor dem Regen schützen. Ja, es ist schön hier. Seitlich ragt das alte Gebäude der pollensinischen Sparkasse Colonya Caixa auf, gegenüber die Kirche Mare de Deu dels Àngels, oberhalb zweigen die engen Gassen mit den zahlreichen Boutiquen ab, die sich bis hinauf zum Fuß der Treppe des Kalvarienbergs ziehen. Grüne Topfpflanzen säumen die verkehrsberuhigten Wege. „Mich überrascht es gar nicht, dass Pollença den Titel bekommen hat. Ich lebe seit meiner Geburt hier, wir haben die Berge, das Meer und eine wundervolle Altstadt. Wie kann man das nicht schön finden“, sagt Catalina, schmunzelt und fügt dann hinzu: „Aber zugegeben, Alcúdia hat sich in den vergangenen Jahren auch gemacht.“

Durch und durch aus Alcúdia: Xisca Cifre von der Botiga Ca'n Paner Sophie Mono

15 Kilometer sind es vom Zentrum von Pollença zum Ortskern von Alcúdia. Die Gemeindegrenze verläuft an der Landstraße Ma-2201 an einer einspurigen Brücke. Vorfahrt hat, wer aus Alcúdia kommt. „Es ist eine gesunde Rivalität. Ich würde sagen, beide Orte haben ihren Charme und ähneln sich sogar. Auch wenn ich Alcúdia natürlich vorziehe“, sagt Xisca Cifre mit einem Augenzwinkern. Sie betreibt in dritter Generation den kleinen Lebensmittelladen Botiga Ca’n Paner in Alcúdia, „den letzten alteingesessenen des Viertels“, wie sie sagt. Er liegt in einer Seitenstraße zwischen der Stadtmauer und der Plaça de la Constitució, wo sich auch bei dem schlechten Wetter die Touristen tummeln – schließlich gibt es ja Regencapes. Hier sind die Straßen breiter als in Pollença, überhaupt wirkt der Ort optisch offener, trotz der hohen Festungsmauern, die ihn umgeben. Vielleicht, weil es keine nennenswerte Steigungen gibt. Die großflächige Plaça Carles V vermittelt ebenfalls ein Gefühl der Weite, das Pollença fehlt. Dafür wirkt dort alles ein wenig intimer.

„In Alcúdia ist die Geschichte lebendig“, heißt es in der Beschreibung der Schöne-Dörfer-Jury. Sie hebt neben der Stadtmauer auch die archäologischen Funde der ehemaligen römischen Siedlung Pol·lèntia südlich des heutigen Zentrums hervor. Ganz klar: Was die Geschichte angeht, hat Alcúdia die Nase vorn. Unter den Römern war Pol·lèntia ab 70 vor Christus Hauptstadt der Provinz Balearica. Nachdem sie im Jahr 426 nach Christus von Vandalen geplündert und zerstört worden war und während der Zeit der Besetzung durch die Araber nicht viel mehr als ein großes Landgut darstellte, das den Namen Al-Qudya („der Hügel“) erhielt, bildete sich eine Siedlung, die der katholische König Jaume II. 1298 offiziell als Ort anerkannte.

Allerdings knapp 70 Jahre nach Pollença. Dort waren früh die Phönizier unterwegs, offiziell gegründet wurde Pollença aber von Jaume I. im Jahr 1229. Einen Namen als Dichterstadt machte sich Pollença Anfang des 20. Jahrhunderts, als Autoren wie Agatha Christie und Lorenzo Silva im Ort verweilten. Auch heute schwärmen viele vom inspirierenden Charme des Orts. Die Vereinigung der schönen Dörfer lobt den „authentischen Charakter einer dynamischen Gemeinde mit sensiblen Bewohnern“.

Apropros Bewohner: 2016 überholte die Gemeinde Alcúdia mit ihren Außenorten die Gemeinde Pollença in der Einwohnerstatistik. 20.800 Personen waren Anfang 2020 in Alcúdia und Umgebung gemeldet, in Pollença knapp 16.700. Allerdings: Im eigentlichen Zentrum von Alcúdia leben den Statistiken zufolge knapp 7.200 Menschen – etwa 300 weniger als in Pollença. In beiden Orten gehen die Bevölkerungszahlen seit Jahren nach oben.

„Vor allem zieht es immer mehr ausländische Residenten nach Pollença“, sagt Estanya. Die Tschechin, die in dem Naturproduktladen Orenda nahe der Plaça Almoina arbeitet, ist selbst eine von ihnen. Vor fast 20 Jahren kam sie nach Pollença – und blieb. Mittlerweile ist sie mit einem Einheimischen verheiratet, ist angekommen. „Die Bauwerke im gesamten Zentrum sind beeindruckend“, so die studierte Architektin, die schon viel von der Welt gesehen hat. „Aber es ist nicht nur optisch ansprechend, es gibt hier auch vieles, was den Alltag bereichert.“ Vielfältiges kulturelles Angebot, kurze Wege, eine akzeptable Anbindung zur Hauptstadt Palma. „Das hat sich rumgesprochen.“ In vielen ehemaligen Ladenlokalen sind jetzt Immobilienbüros untergebracht. „Bald kann sich hier kaum ein Einheimischer mehr eine Immobilie leisten. Außer er hat geerbt.“

„Das ist in Alcúdia ähnlich“, bestätigt Ladenbesitzerin Xisca Cifre. Auch sie kann ihr Geschäft nur aufrechterhalten, weil das Lokal in Familienbesitz ist und sie keine Miete zahlt. Alles habe eben zwei Seiten. „Je bekannter die Schönheit des Ortes wird, desto mehr steigen natürlich die Häuserpreise. Aber sollten wir unsere Schönheit deshalb verstecken? Nein.

So scheinen das auch die Verantwortlichen der Rathäuser zu sehen. Man wird nicht einfach so in die Liste der schönsten Dörfer aufgenommen. Die Bewerbung um den Titel ist mit formellem Aufwand verbunden – es gilt, den städtebaulichen, architektonischen, soziokulturellen und imagepflegenden Anforderungen der Vereinigung zu entsprechen. Obendrein verpflichtet sich die lokale Verwaltung, einen jährlichen Beitrag von bis zu 5.000 Euro zu zahlen – und die Schönheit aufrechtzuerhalten. Im Gegenzug bedeutet der Titel Werbung.

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Nahe Alcúdias Auditorium hat ein deutsches Urlauberpärchen unter einem Baum Schutz vor einem neuen Schauer gesucht. „Wenn man aus Recklinghausen kommt, ist das hier ein Paradies“, sagt der Urlauber, der sich als Henni Brinkmann vorstellt. Besonders der helle Sandstein, der an den Fassaden in Alcúdia vorherrscht, begeistert ihn. „Und das Flair, es ist städtisch, aber nicht zu groß.“ Von der neuen Auszeichnung ihres Reiseziels haben die Brinkmanns noch gar nichts gehört. Aber Alcúdia stehe doch in jedem Reiseführer. Und Pollença auch. „Wir schauen uns beide Orte an. Von Schönem kann man nicht genug kriegen.“

„Letztlich kommt es ja gar nicht darauf an, wer schöner ist“, findet Rentnerin Catalina in Pollença und stellt ihre Kaffeetasse ab. „Es ist doch Werbung für die ganze Region.“ Xisca Cifre aus Alcúdia sieht das ähnlich. „Heutzutage sind die Wege so kurz, alles vermischt sich.“ Sie lacht. „Man stelle sich vor, meine Schwester ist sogar mit einem pollencí verheiratet.“