Das Blöken der Schafe empfängt jeden Besucher, der auf den Parkplatz des Landguts Son Real auf Mallorca fährt. Das öffentlich zugängliche Gelände zwischen Son Serra de Marina und Son Bauló (Can Picafort) ist ein idealer Ausflugsort für Familien: Landschaftliche Vielfalt bei kurzen Distanzen, wenig Steigungen und dafür Schotterwege, die auch mit Kinderwagen problemlos genutzt werden können. Dazu jede Menge Tiere, die kleine Besucher begeistern. Doch abgesehen davon ist das Anwesen vor allem eines: ein Spiegel von Mallorcas Geschichte und Kultur.

„Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass es hier früher recht lustig zugegangen ist, damals, vor dem Aufkommen des Tourismus, als die Landwirtschaft die Insel bestimmte. Tatsächlich muss das Leben aber unglaublich hart gewesen sein“, erzählt Oriol Carré, der bei der balearischen Forstbehörde Ibanat angestellt ist und das Anwesen leitet.

Es war im Jahr 2002, als die Landesregierung die alte possessió mit ihren Natursteingebäuden am Eingang, den umliegenden Ackerflächen, den Wäldchen und dem Küstenzugang von der damaligen Eigentümerfamilie Morell erwarb. „Das war noch mit der ersten Ökosteuer“, erinnert sich Carré. Damals sei das Anwesen ziemlich heruntergekommen gewesen. Klar: Landwirtschaft war schon lange nicht mehr rentabel. „Son Real war wie viele andere Landgüter für die Besitzer von einer wichtigen Einnahmequelle zur Last geworden.“

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So vielfältig ist die öffentliche Finca Son Real auf Mallorca Nele Bendgens

Neues Lernen in alten Gebäuden

Auch heute ist den Gebäuden ihr Alter natürlich anzumerken – einige stammen noch aus dem 14. Jahrhundert. Doch nach fast zwei Jahrzehnten in öffentlicher Hand ist von der Vernachlässigung keine Spur mehr zu sehen. Die Holzpforten der Kapelle, die einst die Landarbeiter allsonntäglich zur Messe rief, stehen offen und geben Einblick in ein gepflegtes Gotteshaus. Überall sorgen Topfpflanzen für grüne Akzente. Das Haus des letzten Gutsverwalters - der natürlich längst ausgezogen ist - wurde modern ausgestattet und dient im Sommer als Standort der Waldbrandbrigade. Zwei der Hauptgebäude sind im Innern gänzlich umgebaut: Hier entstand 2006 ein multimediales Museum.

Im Vergleich zum gleißenden Sonnenlicht im Freien ist es schummrig dort drin. Auf einer großen Leinwand am Eingang können Besucher in verschiedenen Sprachen ein Einführungsvideo über das Landgut anschauen, auch der Boden und die Seitenwände des Raums werden in die Projektion einbezogen. Dann geht es weiter zu den Ausstellungsflächen, und man taucht ein in eine Zeit, die noch gar nicht so lange zurückliegt, und doch für immer vergangen ist. Eine Zeit, in der die Inselbewohner unter großen Mühen im Einklang mit den Jahreszeiten und der Natur möglichst großen Gewinn aus der Umgebung zogen – und diese dabei gleichzeitig respektierten. Durch Viehzucht, Jagd, Anbau von Getreide oder Obst. Eine Zeit, in der nur das selbst geschlagene Brennholz und die Arbeit der Köhler für Wärme im Winter sorgten, in der es galt, saisonale Lebensmittel so zuzubereiten, dass sie möglichst lange haltbar waren, und in der die wenigen, dafür aber ausschweifenden Feierlichkeiten für viele die einzige Abwechslung aus dem allumfassenden Arbeitsleben versprachen. Die Ausstellung zeigt anschaulich mallorquinische Gerichte, nachgebaute Unterkünfte des einfachen Volks, landestypische Trachten, Instrumente und Werkzeuge – genauso wie ihre Verwendungszwecke und Hintergründe. Schon nach wenigen Minuten bekommt man das Gefühl, Mallorcas Seele ein Stück näher zu sein.

„Das Landleben auf Mallorca war bis in die 1950er-Jahre ein gänzlich anderes als heute. Meist ergriffen die Söhne die Berufe ihrer Väter – sei es Köhler oder Landarbeiter –, und für viele Familien bedeuteten Landgüter wie Son Real nicht nur ihr tägliches Brot, sondern auch ihren Lebensmittelpunkt. Einige kamen ihr Leben lang fast nie von hier weg.“ So wertvoll Modernisierung, Fortschritt und Komfort von heute auch seien – einiges von damals sollte man durchaus bewahren, findet Carré. „In einer Welt, in der wir keine Ahnung haben, wo die Lebensmittel, die wir verzehren, eigentlich herkommen, ist es doch gut, sich ab und an zu besinnen und Fragen zu stellen. Da können wir von unseren Vorfahren viel lernen.“

Die Tradition bewahren und beleben – gleich hinter dem Museumsgebäude arbeiten Carré und seine Mitarbeiter aktiv daran. 150 mallorquinische Schafe werden hier gehalten, zu fressen bekommen sie biologisch angebautes Getreide, und auf einer angrenzenden Wiese sind sorgsam eingefriedete Setzlinge und junge Bäume zu sehen. „Eine lebendige Samenbank“, erklärt Carré. Rund 80 heimische Mandelbaumsorten wachsen hier, hinzu kommen rund 40 Insel-Varianten des Johannisbrotbaums und mehrere traditionelle Feigenbaumarten. „Damit wollen wir ihren Fortbestand sicherstellen und können bei Bedarf überall auf der Insel neue Setzlinge anpflanzen.“

Spaziergang durch die Epochen

Auch abseits des Gehöfts ist das vergangene Mallorca auf Son Real greifbar. Wer mit offenen Augen durch die Natur spaziert – am besten mit einem kostenlosen Info-Faltblatt in der Hand, das im Infozentrum am Eingang ausliegt – der kommt sich schnell wie in einem Freilichtmuseum vor. Schlägt man den breiten Spazierweg ein, der von den Gebäuden und Weiden weg in ein Kiefernwäldchen führt, stößt man zunächst auf weitere Urmallorquiner: Schwarze Schweine (porcs negres) haben es sich gleich neben dem Wegesrand im Schatten gemütlich gemacht und grunzen die vereinzelten Besucher an. Alte Köhlermeiler sind über das Gelände verstreut, vereinzelte Gesteinsbrocken in den Wiesen weisen auf eine prähistorische Siedlung aus der Talaiot-Zeit hin. Es gibt alte Zisternen, die einst den Landarbeitern dienten, und einfache hölzerne Jagdstände. Noch immer darf auf Son Real zu bestimmten Zeiten auf traditionelle Art gejagt werden – mit Netzten (filats) statt Schusswaffen.

Je nachdem, welchen der drei sich verzweigenden Spazierwege man wählt, kommt man zudem an ausgedienten Marés-Steinbrüchen, ehemaligen Schmugglerhöhlen oder jahrhundertealten Steineichenwäldchen vorbei. Das Highlight kommt zum Schluss, wenn die Wege an die Küste münden: Hier breitet sich, direkt am Wasser, mit die wichtigste archäologische Ausgrabungsstätte der Insel aus, die Nekropolis Son Real. „Die alte prähistorische Totenstadt wurde in den 1960er-Jahren entdeckt und war einer der Gründe, warum die Landesregierung das angrenzende Landgut erwerben wollte“, so Oriol Carré. Tatsächlich sind die kreisförmigen Steinformationen beeindruckend, wenn man bedenkt, dass sie bereits vor mehr als 3.000 Jahren von Menschenhand erschaffen wurden.

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Alle Epochen der Geschichte Mallorcas, von der ersten Besiedlung bis heute, haben Spuren auf Son Real hinterlassen, und das macht das Landgut zu etwas Besonderem“, findet Carré. Das Anwesen ist zwar an Feiertagen oder Wochenenden oft gut besucht – neben den Naturbuchten zieht es viele Besucher auch zu den zahlreichen Picknicktischen –, wirklich Probleme mit Menschenmassen habe es aber nie gegeben. „Das Publikum ist sehr bunt gemischt. Es sind Naturliebhaber, Strandgänger, Geschichtsinteressierte, Vogelkundler und ganz viele Familien.“

Wer mag, kann für fünf Euro pro Tag eines der Fahrräder ausleihen, die am Parkplatz stehen – auf die Gefahr hin, beim Radeln das ein oder andere spannende Detail zu verpassen. Besser, man nimmt sich mehr Zeit. Übernachtungen sind – nach Voranmeldung – in der kleinen Wanderhütte nahe der Küste möglich.