Die Wellen klatschen unbarmherzig an die Küste, hier im Nordosten von Mallorca zwischen Can Picafort und Son Serra de Marina. In der Finca von Son Real, wo die wichtigste archäologische Ausgrabung der Insel - die gleichnamige Nekropolis - liegt, hat die zerstörerische Kraft des Mittelmeeres vor allem jetzt im Herbst und Winter weitreichende Folgen. Archäologe Jordi Hernández schlägt Alarm: Ein Jahrtausende altes Kulturerbe könnte in wenigen Jahrzehnten zu einem Großteil verschwunden sein. Die Totenstadt von Son Real stammt aus der Zeit zwischen dem siebten und dem ersten Jahrhundert vor Christi Geburt und bestand einst aus rund 200 Grabstätten, die meisten davon kunstvoll aus großen Steinen aufgeschichtet.

Jordi Hernández und sein Team kämpfen gegen die Wellen und das Wetter an. Sie geben die Nekro­polis noch nicht verloren, auch wenn der Archäologe schätzt, dass bereits rund 30 Prozent des Geländes verloren gegangen sind. Etwa 20 Grabstätten hat das Meer bereits verschlungen. Ganz genau kann das niemand mehr sagen. Der Klimawandel führe schließlich zu einem immer schneller ansteigenden Meeresspiegel. Bis zum Ende des Jahrhunderts rechnen Forscher mit einem Anstieg von bis zu einem Meter - das wäre das Aus für Son Real.

Hernández und sein Team haben schon einmal am eigenen Leib miterlebt, wie eine jahrelange Arbeit von den Launen der Natur zunichte gemacht wurde. 2001 war es, als ein heftiger Sturm auf die Küste im Norden der Insel krachte. Damals wurde die kleine Insel Illot dels Porros komplett überschwemmt. Auch auf diesem wenige Meter vor der Küste liegenden Eiland hatten die Archäologen drei Gemeinschaftsgräber und mehrere Einzelgräber aus der Zeit zwischen dem vierten und dem zweiten Jahrhundert vor Christus gefunden und rekonstruiert. Sechs Jahre lang hatte Hernández dort mit ­mehreren Kollegen gearbeitet. „Davon ist heute so gut wie nichts mehr übrig. Die einzige Erinnerung besteht aus Fotos, die wir damals gemacht haben.“

Auch in Son Real selbst mussten er und vier seiner Kollegen - die von zahlreichen Freiwilligen unterstützt werden - schon häufig Folgen von starkem Wellengang beseitigen. Immer wieder finden sie nach Sturmtagen lose Steine mehrere Hundert Meter weit von ihrem ursprünglichen Fundort entfernt. Dabei tun die Archäologen einiges, um ihre Funde widerstandsfähiger zu machen: So sichern sie freigelegte Grabstätten mit Mörtel und Kalk. Gegen die Kraft der Natur können sie aber wenig ausrichten.

Es muss also etwas getan werden angesichts des bedrohten Kulturerbes. Doch dafür brauchen die Archäologen, die jeweils im Sommer rund drei Wochen in der Nekro­polis arbeiten, Hilfe von außen. „Wir können das nicht leisten, wir selbst können die Ausgrabungen nur notdürftig sichern.“

Das Problem ist, dass sich niemand so richtig zuständig fühlt für die Nekropolis. Zugeordnet ist sie dem Inselrat, der die Ausgrabungslizenzen vergibt. Allerdings liegt sie auf dem Gelände der finca pública de Son Real, die wiederum der Balearen-Regierung gehört. Die Ausgrabungen betreffen aber auch die Küstenbehörde, die der Zentralregierung in Madrid angegliedert ist, und schließlich hat auch die Gemeindeverwaltung von Santa Margalida ein Wörtchen mitzureden. Ein ziemliches Kompetenzchaos also.

Hernández ist sich nicht so sicher, welche die beste Lösung für Son Real wäre. „Man könnte Wellenbrecher ins Meer nahe den Ausgrabungen legen. Allerdings weiß ich nicht, ob das mit den dortigen Strömungen und den nahe gelegenen Stränden vereinbar ist. Außerdem steht das Gebiet ja auch unter Landschaftsschutz.“ Eine zweite Option wäre, die Gräber alle von Hand abzubauen und einige Meter weiter oben und vom Meer entfernt wieder aufzubauen. „Das wäre kein Problem. Man hat ja schon ganze Kirchen auf Lkw geladen und woanders wieder aufgebaut“, sagt Hernández. Es wäre allerdings eine ziemliche Gedulds­arbeit.

Dass sich trotz aller Schwierigkeiten die Ausgrabungen und die Forschung in Son Real immer noch lohnen, haben die Archäologen erst dieses Jahr wieder erfahren. Ende August schlossen sie die Kampagne ab, in der sie eigentlich keine neuen Funde erwartet hatten. Entgegen aller Vermutungen fanden sie auch diesmal wieder zwei neue Gräber, eines davon könnte ein Familiengrab sein. Auf zwei Ebenen waren ein Erwachsener und ein Kind bestattet worden.