Doch, es gibt sie, diese Mallorca-Orte, an denen auch langjährige Inselresidenten noch innehalten und denken: „Wahnsinn, ist das schön.“ Und Cala Figuera ist eindeutig einer davon. Obwohl: Eigentlich beschränkt sich dieser Wow-Effekt auf einen Teil des Hafens im Küstenort. Nur wer den abschüssigen Hang bis zum Wasser hinuntergeht und sich links der schmalen Meereseinmündung Caló d’en Busques zuwendet, der fühlt sich vom pittoresken Ambiente des Ortes schier überwältigt. Ein krasser Gegensatz zu vielen anderen Ecken von Cala Figuera: Dort dröhnt der Baulärm zwischen heruntergekommenen 60er-Jahre-Bauten.

Schmale Stege zum verlieben

Zahlreiche typische llaüts liegen im Hafen vor Anker Nele Bendgens

Davon ist in den Werbebroschüren im kleinen Tourismusbüro am Hafen selbstverständlich nichts zu sehen. Hier herrschen die typischen Schnappschüsse des „schönsten Fischerdorfs Mallorcas“ vor, von denen auch das Internet voll ist. „Cala Figuera ist eine absolute Sehenswürdigkeit, ein Muss für alle Urlauber, die die schönsten Ecken Mallorcas sehen wollen. Wie Valldemossa oder Deià“, sagt Alberto Camargo. Natürlich sagt er das, schließlich arbeitet der 40-Jährige nicht nur in der Touristen-Auskunft, sondern kommt auch aus Cala Figuera – genau wie seine Vorfahren mütterlicherseits.

Seit drei Generationen treibt die Familie den Tourismus im Ort maßgeblich mit voran. Und irgendwie hat Camargo ja auch recht: Es lohnt sich tatsächlich, an den schmalen steinernen Stegen am Hafen entlangzulaufen, die nur wenige Meter breit sind und die hellen Wohnhäuschen vom kristallklaren Wasser trennen. Hier unten ist der Charme des Fischerortes greifbar. Es gibt keine Restaurants, keine Urlauber-Shops, nichts, was den Blick ablenken könnte. Zahlreiche mallorquinische llaüts sind in der Meerenge vertäut. Wer den Stegen weiter folgt, gelangt zum zweiten Meeresarm, dem Caló d’en Boira. Von dort aus gehen gut ausgeschilderte Trampelpfade weiter durch die Natur bis zum Leuchtturm an der Steilküste. Auch das Naturschutzgebiet Cala Mondragó ist auf ausgewiesenen Wanderwegen von hier aus schnell zu erreichen.

Die Macht der Bilder

Dass der Hafen die absolute Postkarten-Idylle symbolisiert, hat sich schon lange herumgesprochen. Die MZ ist an jenem Donnerstagvormittag (3.3.) nicht das einzige Medium, das Aufnahmen macht. Ein US-amerikanisches Filmteam hat sogar eine Drohne im Einsatz. „Es wird ein Sportvideo“, gibt eine blonde Schönheit auf Englisch Auskunft, „mit traditionell-romantischem Hintergrund.“ Mal wieder.

In Spanien machte vor allem der Werbeclip der Biermarke Estrella Damm im Jahr 2016 nicht nur Lust auf cerveza, sondern auch auf Cala Figuera. Und Alberto Camargo von der Touristen-Info will sogar eine Österreicherin kennen, die allein aufgrund einer TV-Doku über den Ort ihr Heim direkt am Stephansdom in Wien aufgab, um sich mitten am Hafen von Cala Figuera niederzulassen – obwohl sie den Ort nie zuvor live gesehen hatte. Die Macht der Bilder eben.

Ein Fischer im Hafen von Cala Figuera. Nele Bendgens

Ein älterer Seemann beachtet weder die Aussicht noch die filmenden US-Amerikaner mit ihrer Drohne. Sein Blick ist auf den Boden gerichtet, auf die Netze, die er flickt. „Ich bin schon so oft fotografiert worden und war wohl schon auf so vielen Titelseiten, mich schockt gar nichts mehr, sagt er knapp zur MZ. „Aber nett, dass ihr wenigstens fragt, ob ihr mich fotografieren dürft.“

So ganz verstehe er nicht, warum Urlauber alles ablichten müssen. „Aber was soll’s wenn es dem Ort Geld bringt.“ Auch einer seiner Kollegen, gerade mit dem Boot eingelaufen, hat wenig Lust auf Konversation. „Ich muss weiterarbeiten, keine Zeit für Interviews“, sagt er und wendet sich ab. Er ist einer von zwei Bootsführern kleinerer Kutter. Hinzu kommen noch vier Schleppnetzfischerboote, die die Berufsfischerflotte bis heute vervollständigen. Wenn sie am Nachmittag im Hafen einlaufen, stehen die Urlauber mit ihren Kameras meist schon bereit.

Auch die Natur um Cala Figuera ist malerisch schön. Nele Bendgens

Häuschen für Häuschen

Es war im 19. Jahrhundert, als in Cala Figuera das erste Gebäude entstand – ein Unterschlupf für die Fischer und ihre Boote neben dem Caló d’en Busques. Heute ist die in den Fels eingelassene Baracke mit rostigen Ketten verriegelt. Damals gab es ringsum nichts anderes als weitgehend unberührte Natur und natürlich das Meer. Erst nach und nach bauten sich die Fischer aus Santanyí kleine Häuschen, um sich hier ganz niederzulassen. Das älteste richtige Wohnhaus, erbaut 1899, steht noch immer direkt am Wasser und ist auch noch bewohnt – allerdings nur zeitweise, als Wochenend-Immobilie einer Familie aus Palma.

Im Hafenbereich wirken auch alte Boote pittoresk Nele Bendgens

Mit den Jahrzehnten folgten weitere Fischerhäuser. „Alte Fotos zeigen, dass sich das Bild von damals kaum vom Anblick heute unterscheidet. Zumal die Fassaden hier unten nun ohnehin unter Denkmalschutz stehen und nicht mehr verändert werden dürfen“, sagt Alberto Camargo.

Harte Arbeit – viel mehr hatte das Leben den Fischern damals nicht zu bieten. Doch um es ein wenig zu versüßen, eröffnete Antònia Ferrer vor mehr als 80 Jahren die erste kleine Bar, nah am Hafeneingang, nur ein Stück den Berg hinauf. „Es gab keinen Strom und auch keine Kaffeemaschinen, aber sie brühte den Fischern ihr Kaffeewasser mit Kerzen auf“, berichtet Carlos García. Er ist der Ururenkel der einstigen Fischerfrau und führt das La Marina an derselben Stelle, an der es auch seine Urgroßmutter und seine Großmutter – ebenfalls Gattinnen von Fischern – weiterentwickelten. Heute gibt es weit mehr als nur Heißgetränke – das Restaurant ist für seine Fischspezialitäten und Paella bekannt. „Wir haben ein eigenes Boot, das uns frischen Fang bringt“, so Carlos García. Schon lange sind unter den Gästen mehr Urlauber als Fischer. Dabei ist Cala Figuera erst dadurch zum Urlaubermagneten geworden, dass es die Fischeridylle aufrechterhält.

Außerhalb des Hafengebiets hat diese Attraktivität den Ort grundlegend verändert. Immer weiter ist Cala Figuera den Berg hinaufgewachsen. Knapp 820 Menschen wohnen hier, hinzu kommen zahlreiche Teilzeitresidenten, 14 touristische Unterkünfte und – die Hotels im Nachbarort Cala Santanyí mit eingerechnet – etwa 15.000 Gästebetten. Es gibt ein Dutzend gastronomische Betriebe, von denen im vergangenen Winter aber keiner geöffnet hatte, kein Gesundheitszentrum, keinen Kindergarten, keine Schule und keinen Sportverein. Auch die zwei kleinen Supermärkte haben nur im Sommer geöffnet. Seit knapp zwei Jahren fährt immerhin ganzjährig ein Bus ins fünf Kilometer entfernte Santanyí.

Baulärm und Rohbauten

Dass Cala Figuera keines jener Dörfer ist, die seit Jahrhunderten bestehen, zeigt auch die Raumplanung. Es gibt keinen Dorfplatz, kein richtiges Zentrum, und die Kirche – ein heruntergekommener Betonklotz, der in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts aus dem Boden gestampft wurde – hat eindeutig keinen historischen Wert. Ihre Vorgängerin, eine kleinere, 1938 eingeweihte Kirche ist heute ein Restaurant. Überhaupt wirken viele der Gebäude im oberen Teil des Ortes eher schäbig und so gar nicht pittoresk.

„Na, soll eure Reportage Werbung für diesen verwahrlosten Ort sein?“, höhnt ein deutscher Teilzeitresident, der an einem Restauranttisch nahe des Hafens in der Sonne sitzt. Reden möchte er dann aber doch nicht. „Macht euch euer eigenes Bild“, sagt er. Auch eine andere deutsche Bewohnerin Cala Figueras bleibt lieber anonym. „Wenn man ehrlich ist, hat man hier tollste Natur und wunderschöne Plätze, aber gerade viele Mallorquiner aus anderen Gegenden der Insel, die hier Ferienhäuser haben, lassen sie ganz schön verrotten“, sagt sie. „Der obere Teil des Ortes ist nur schwer als schön zu bezeichnen.“

Im oberen Teil von Cala Figuera überwiegt derzeit der Baulärm. Nele Bendgens

„Es stimmt schon, dass oben und unten nichts miteinander gemein haben. Aber hier ist vieles im Wandel“, versucht Alberto Camargo von der Touristen-Info zu relativieren. „In den vergangenen Jahren, vor allem seit Corona, sind sehr viele in die Jahre gekommenen Gebäude von Ausländern aufgekauft worden. Jetzt sollen dort neue Wohnhäuser entstehen, und das ist gut so. Bald wird auch oben alles einen neuen Glanz bekommen.“

Das mag sein – noch allerdings sind ganze Straßenzüge in den Händen von Bauarbeitern. Das Rathaus erneuert derzeit für mehr als 500.000 Euro den Carrer Marina, später sollen der Carrer Joan Sebastián Elcano nahe des Aussichtspunkts und der Carrer Torrimar folgen. Am Carrer Daniel Camargo Adrover ist so etwas wie ein kleiner Dorfplatz geplant, und auch die Kanalisation soll weitgehend erneuert werden, heißt es in der Gemeindeverwaltung. Kein Wunder, dass von der ruhigen Fischeridylle zwischen Presslufthammern und Abrissbirnen momentan nichts zu spüren ist.

Luxus Zwischen Meer und Himmel

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Auch bei den privaten Bauprojekten geht es voran. Nackte Rohbauten prägen den Ort. Viele sind das Fundament für Luxusbauten. Allein der Bauträger Mallorca Heritage errichtet neun individuelle Wohnhäuser „nach höchstem Standard“, wie die mit der Vermarktung beauftragte Firma auf MZ-Anfrage Auskunft gibt. Bis Ende des Jahres sollen sie fertig sein, weitere könnten folgen. „Mar i Cel“ nennt der Bauträger das Projekt in Cala Figuera – Meer und Himmel. Es überrascht kaum, dass auch im Werbevideo die Hafenbilder überwiegen.

Noch weiter bergauf gelangt man zum Biker-Beachclub Pura Vida des Deutschen Kalle Muelle, Saisoneröffnung ist hier am 1. April. Mit mallorquinischer Fischeridylle hat dieses Lokal rein gar nichts mehr zu tun. Der Ausblick von hier oben aufs Meer aber, er ist noch einmal so überwältigend wie das Panorama unten im Hafen.