Es gibt Orte auf Mallorca, die haben etwas Magisches. Der Lochfelsen Sa Foradada bei Deià beispielsweise – oder der Tafelberg Randa. Das Anwesen s’Hort des Correu dagegen ist auf den ersten Blick so wenig mystisch wie ein altes Pausenbrot. Der Garten mit Unkraut und hohem Gras wirkt eher verwahrlost als verwunschen, das alte Gemäuer mit den hölzernen Fensterläden betagt statt sagenumwoben. Und der strauchartige Baum direkt neben dem Wohnhaus – eine Korb- oder Hanfweide – ist so unscheinbar, dass er leicht übersehen wird. Niemand, der zufällig vorbeikommt, würde erwarten, dass hierhin seit vielen Jahrzehnten in der Johannisnacht Dutzende teils sogar vom Festland angereiste Menschen pilgern, um die vermeintlichen Wunderkräfte der Pflanze in Anspruch zu nehmen. Ein Ritual, das möglicherweise bald nicht mehr in seiner ursprünglichen Form abgehalten werden kann. Denn das Anwesen steht zum Verkauf.

In der Johannisnacht soll der Baum Leistenbrüche bei Kindern heilen. Sebastià Sansó

Kein Tor versperrt die Einfahrt, es gibt keine dicken Mauern, nur einen dünnen Drahtzaun, der am Zufahrtsweg ausgespart ist. Jeder kann das Grundstück am äußeren Rand der Innenstadt betreten. Wer sich dann umschaut, sieht hinter sich den viel befahrenen Kreisverkehr, von dem aus die Landstraße in Richtung Porto Cristo führt, eine städtische Gesamtschule und die Kinos. Wer aber nach vorne blickt, auf s’Hort des Correu, der kommt sich vor, als sei er plötzlich im ländlichen 19. Jahrhundert gelandet. Das Einzige, was diesem Eindruck widerspricht, ist das in der Sonne glänzende Metallschild an der Vorderseite des Sandsteingebäudes. Ein Hinweis auf eine angeblich irgendwo befestigte Alarmanlage. Es wirkt zu modern, geradezu fehl am Platz – und es ist das einzige Indiz dafür, dass das Anwesen mit dem „Wunderbaum“ nicht vollends sich selbst überlassen wurde.

Dort, wo jetzt schulterhohe Gräser wuchern, hatten die Besitzer Joan und Miquel Amer Servera „Correu“ Ende des 19. Jahrhunderts einen botanischen Garten mit Pavillon, Teich und vielen Heilpflanzen angelegt. Die Bürger Manacors nutzten den auch zu Studienzwecken gedachten Mini-Park am Stadtrand bis ins 20. Jahrhundert hinein zur Erholung. Die Familie Servera ist noch heute eine der wohlhabendsten der Insel. Neben zahlreichen weiteren Grundstücken besitzt sie auch die Besucherhöhlen Coves del Drach in Porto Cristo, eine wahre Goldgrube. Um die Instandhaltung des Anwesens kümmerte sich eine weitere Familie, die Sureda-Sunyers, die diese Aufgabe 2019 aber aus Altersgründen aufgaben. Jetzt wollen sich die Servera gänzlich vom s’Hort des Correu trennen, 1,2 Millionen Euro verlangen die Mallorquiner für das 600 Quadratmeter umfassende Gebäude und den 28.000 Quadratmeter großen Außenbereich.

Splitternackt durch die Zweige

Der aktuelle Zustand im Inneren des Hauses ist nur schwer zu erahnen, draußen dominiert klar der Wildwuchs. „Es ist wirklich schade. Diese Hanfweide ist schon etwas Besonderes“, sagt ein älterer Mallorquiner, der am Grundstück entlangläuft und sich als Pep vorstellt. Er wohne nicht weit von hier entfernt, sein ganzes Leben schon. Auch er habe einmal, vor vielen Jahren, eine Nichte begleitet, um sie in der Johannisnacht der magischen Wirkung des vimer auszusetzen. „Man hatte bei ihr Leistenbruch diagnostiziert, wir haben das ganze Programm mitgemacht“, sagt der Rentner.

Sprich: In den allerersten Sonnenstrahlen nach der Johannisnacht am 24. Juni bei der Wunderweide erscheinen, einen Weidenzweig und eine Nummer zugeteilt bekommen – die Zahl 13 wurde übrigens nie vergeben –, den biegsamen Trieb anritzen und zu einer Schlinge formen und das Kind hindurchheben. Dann den Bauch des Kindes mit dem Saft der Pflanze einreiben. Anschließend den Zweig mithilfe von Schlamm und Bast wieder an die Schnittstelle am Strauch anbringen und mit farbigen Bändern und der gezogenen Nummer kennzeichnen. Wenn der Zweig bis zum Jakobstag am 25. Juli wieder angewachsen ist, heilt angeblich auch der Leistenbruch des Kindes. Falls nicht, sollte doch eine Operation in Betracht gezogen werden.

„Nicht, dass ich wirklich daran glaube, aber es kann ja nicht schaden“, berichtet der alte Mallorquiner. Ob seine Nichte damals letztlich doch noch operiert werden musste, daran erinnere er sich nicht mehr. „Aber darum geht es ja auch nicht. Fakt ist, dass wir manacorins viel mit diesem Baum verbinden. Und nun bangen wir darum, dass neue Besitzer den Zugang versperren könnten.“

Zur Pflege verpflichtet

Ganz der Willkür der neuen Inhaber überlassen ist die Hanfweide, deren Blätter sich pelzig anfühlen und einen intensiven Geruch verströmen, nicht. Mit dem Kaufvertrag wird den Besitzern die Pflicht übertragen, den Baum zu pflegen. Dafür hat das Rathaus in Manacor gesorgt, als es die Pflanze als Kulturgut kennzeichnete. „Sie darf weder an einen anderen Ort versetzt noch abgesägt werden oder verkommen“, so ein Sprecher im Rathaus auf MZ-Nachfrage. Ob die zukünftigen Eigentümer jährlich am 24. Juni Dutzende von Leistenbruch-Pilgern auf ihrem Grundstück haben wollen, sei aber letztlich ihre eigene Entscheidung. „Ich hoffe, dass sie alles in Schuss bringen und das Mystische bewahren. Ich kann es hier jedenfalls noch immer spüren“, sagt Pep, der Rentner.