Mallorca Zeitung

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Überwintern auf Mallorca: Was ist aus dem vermeintlichen Trend Langzeiturlaub auf der Insel geworden?

Winter auf der Insel – eine Option, die angesichts gestiegener Heizpreise und der Möglichkeit des Homeoffice noch reizvoller geworden ist. Doch wie viele nutzen sie wirklich?

Im Winter geht es auf Mallorca gemütlicher zu. Nele Bendgens

Wenn die Tage kürzer werden und der Durchschnittsurlauber Cala Ratjada im Herbst verlässt, dann geht für Ursula „Uschi“ Gerdau die Reise erst los. Statt Strandhandtüchern packt sie meist Dekoartikel ein – um sich im Hotelzimmer oder Apartment heimeliger zu fühlen. Drei, vier, oft sogar fünf Monate im Jahr verbringt die Bremerhavenerin in dem Küstenort im Inselosten. „Aber immer nur im Winter. Die Hitze im Sommer ist nichts für mich“, sagt die 81-Jährige.

Seit 1997 flieht sie Jahr für Jahr aus dem verregneten Norddeutschland auf die Insel. Langzeit-Winterurlaub im sonnigen Süden – gerade angesichts der hohen Energiekosten spielten im Herbst auch noch viele andere Nordeuropäer mit diesem Gedanken. Aber ist daraus wirklich ein Trend geworden?

Uschi Gerdau überwintert seit 1997 als Langzeiturlauberin in Cala Ratjada. | FOTO: SOPHIE MONO

Im vergangenen Mai, als die Gaspreise in die Höhe schossen, keimten erstmals entsprechende Hoffnungen in der Reisebranche auf. Damals schlug die Vorsitzende des Verbands unabhängiger selbstständiger Reisebüros (VUSR) Marija Linnhoff vor, dass Rentner doch den kommenden Winter im Warmen verbringen und damit Gas in Deutschland sparen könnten. Linnhoff regte dafür sogar einen Zuschuss der Bundesregierung an.

Dazu kam es zwar nicht, aber einige Monate später warben tatsächlich manche Reiseveranstalter um Kunden, die sich mit dem Urlaub Heizkosten sparen wollen. „Wer es zeitlich einrichten kann, wird länger im Ausland verweilen und dort ein mildes Klima und geringere Nebenkosten nutzen“, prophezeite Ingo Burmester von DER Touristik noch im September.

Ernüchterung in Cala Ratjada

In Cala Ratjada ist daraus nicht wirklich etwas geworden. „Bring mir doch bitte noch ein kleines Wasser“, sagt Überwinterin Uschi Gerdau in Cala Ratjada zu einer jungen Kellnerin, berührt sie in einer vertrauten Geste am Arm und erntet ein warmes Lächeln. Gerdau ist Stammkundin in dem kleinen Café an der Cala-Agulla-Straße, an der im Januar ansonsten fast alle anderen Läden und Lokale geschlossen haben – in diesem Winter genauso wie sonst auch. Jeden Morgen ab 8.30 Uhr kommt sie zum Frühstücken herüber, von der wenige Hundert Meter entfernten Ferienapartmentanlage Perla Negra – eine der wenigen, die aktuell geöffnet sind.

Danach geht Gerdau spazieren, zur Fuß- oder Nagelpflege, zum Markt oder Friseur, trifft sich mit Freunden und Bekannten – was man als Rentnerin eben so tut. Im Alltag, nicht im Urlaub, denn so fühlt sich ihr Aufenthalt in Cala Ratjada an. „Hier anzukommen ist für mich wie nach Hause zu kommen. Ich habe eben zwei Zuhause und zwei Familien, hier und dort“, sagt Uschi Gerdau.

"Waren mal eine eingeschworene Clique"

Nicht selten wird die fünffache Mutter, die sich schon vor Jahren von ihrem mittlerweile verstorbenen Mann trennte, auf ihren Wegen durchs Dorf in einen Plausch verwickelt. Viele Einheimische kennen „Señora Ursula“ und haben es in dieser Jahreszeit nicht eilig – ein Mehr an Winterurlaubern und dementsprechend Arbeit ist im Touristenort nicht zu erkennen. Uschi Gerdaus Bekanntenkreis deutscher Vollzeit-Residenten ist zwar weiterhin groß – die Reihen anderer Langzeiturlauber dagegen dünnen aus, statt zu wachsen.

„Wir waren mal eine eingeschworene Clique an Langzeitgästen“, erinnert sich Uschi Gerdau. Rund ein Dutzend Überwinterer, die sich in bescheidenen Verhältnissen, aber mit viel Gemeinschaftssinn im Küstenort einquartierten. Fast alle kamen in den Perla-Negra-Apartments unter, oder im Hostal Alzina, beide betrieben von der mallorquinische Familie Pons Alzina. Jahr für Jahr trafen sich dort die deutschen Dauergäste – fast alle anderen der gut 80 Hotels im Gemeindegebiet hatten und haben im Winter zu.

Mittlerweile ist auch das Alzina geschlossen. „Viele der Dauergäste sind mittlerweile gestorben. Jüngere kommen kaum nach, vielen ist es hier im Winter wohl zu langweilig“, sagt Gerdau. Die Zwangspause durch Corona habe dann auch noch einige der alten Garde aus ihrer Wintertradition gerissen. „Aktuell ist außer mir nur ein Paar von damals im Perla Negra“, so die Deutsche.

„Die Nachfrage ist aktuell sehr gering, es lohnt für uns nicht, das Hotel und das Restaurant geöffnet zu haben. Die Personal- und Energiekosten sind sehr hoch, auch hier in Spanien, da ist es unmöglich, dass es sich rentabel gestaltet“, sagt auch Nico Pons. Er führt den Betrieb seiner Eltern gemeinsam mit seiner Schwester Esperanza weiter, arbeitet dort aber vor allem im Sommer. Obwohl im Mietpreis der Apartments kein Essen inbegriffen ist, sieht er es gern, wenn Gerdau durch den Hintereingang zum mittäglichen Zusammenkommen der Familie im Nebengebäude des Hotels dazustößt. Mehr als 20 Winter schweißen eben zusammen.

Ähnlich wie Pons kann auch Mallorcas Hotelierverband FEHM keinen neuen Trend zum Überwintern auf der Insel ausmachen. „Wir haben keine Kenntnisse über eine erhöhte Nachfrage nach Langzeitaufenthalten und wissen auch nichts von speziellen Angeboten in dieser Hinsicht“, sagt eine Sprecherin auf MZ-Anfrage.

Werbetrommel oder Trend?

Bei den Ferienapartments scheint die Nachfrage unterdessen tatsächlich angezogen zu haben, wenngleich bei einigen Anbietern auch die Werbetrommel eine Rolle spielen mag. „Wir bemerken einen Anstieg“, sagt etwa Sybille Kay von der Ferienvermietervereinigung Rentallorca. „Das Leben ist hier derzeit definitiv entspannter und von den Lebenshaltungskosten her günstiger als in Deutschland – das ist sicher kein unwesentlicher Grund.“ Gefragt seien sowohl Fincas als auch Apartments, wobei rund 50 bis 60 Prozent der Ferienimmobilien aktuell zur Verfügung stünden.

„Die Tendenz, dass viele Leute überwintern wollen, ist in der Tat gestiegen“, meint auch Gudrun Scholz, die mit Winterangeboten für ihre Ferienapartments in Cala Millor wirbt. Auch sie spielt auf Rentner an, die sich Heizkosten in Deutschland sparen wollen. „Hinzu kommen die Leute, die im Homeoffice stecken.“ Diese machten mittlerweile zu allen Jahreszeiten einen immer höheren Anteil ihrer Kunden aus.

64 Prozent der Befragten wollten dem deutschen Winter entfliehen

Das Ferienhausportal FeWo-direkt indes will auf Grundlage einer im Herbst erhobenen Umfrage bei den Langzeitaufenthalten im Winter einen Anstieg von 25 Prozent gegenüber dem Vorjahr erkannt haben – allerdings nicht nur für die Balearen, sondern auch für die Kanaren, Málaga, Alicante sowie die Türkei und Thailand.

Von 3.000 befragten deutschen Kunden hätten im Oktober 64 Prozent angegeben, dass sie dem deutschen Winter entfliehen möchten, 46 Prozent wünschten sich darüber hinaus Abwechslung, 41 Prozent wollten länger bleiben, um Land und Leute intensiver kennenzulernen, 34 Prozent Energiekosten sparen und 22 Prozent eine neue Sprache lernen.

Auch Tui bietet Langzeitaufenthalte an, allerdings nicht spezifisch wegen der hohen Gaspreise. Sprecher Aage Dünhaupt sieht in Langzeitaufenthalten einen generellen Trend. „Wir sehen, dass jetzt auch wieder außerhalb der Hauptsaison mehr Urlauber nach Mallorca kommen“, sagt Dünhaupt. Im vergangenen Jahr sei das durch Omikron nur eingeschränkt der Fall gewesen.

Jetzt kämen vermehrt Ruheständler und Arbeitnehmer im Homeoffice, die ihren Arbeitsplatz für einige Wochen nach Mallorca verlagern. Und da gehe noch mehr, so Dünhaupt. „Wir erwarten, dass noch einige Buchungen für Langzeiturlaub im Januar, Februar und März kommen“, sagt er.

Thermostat zu Hause umgestellt

Freilich sind es nicht nur Urlauber, die es im Winter in wärmere Gefilde zieht, sondern auch immer wieder Zweithausbesitzer. Gerold Meppelink und seine Frau Alide zum Beispiel. Jedes Jahr verbringen sie im Winter einige Wochen auf Mallorca, seit 2004 besitzen sie eine Wohnung in Tolleric (Gemeinde Llucmajor). Trotzdem ist dieses Jahr ganz anders.

Statt wie sonst fünf Wochen werden sie etwa vier Monate auf der Insel verbringen. Sie sind schon seit dem 16. November hier und planen, erst Ende März wieder abzureisen. „Ich wollte hier schon lange überwintern, meine Frau aber war sich unsicher“, sagt Meppelink. Den Ausschlag gaben dann tatsächlich die Strompreise.

Zu Hause in Deutschland haben sie das Thermostat so eingestellt, dass die Leitungen bei Minusgraden nicht zufrieren, sonst ist die Heizung aus. Der Kühlschrank ist abgetaut, sämtliche elektronischen Geräte ausgesteckt. Bei den aktuellen Tarifen sparen sich die Meppelinks einiges, auch wenn sie dafür hier etwas Strom zahlen. „Wir haben bisher höchstens mal morgens ein wenig geheizt, es war ja warm genug“, sagt Gerold Meppelink.

Entscheidung, auf Mallorca zu überwintern, nie bereut

Ihre Entscheidung, auf Mallorca zu überwintern, haben die Eheleute bisher in keinem Moment bereut. Und das, obwohl sie befürchtet hatten, sich in der kleinen Wohnung auf die Nerven zu gehen. „In Deutschland haben wir ein großes Haus, da kann man sich leichter aus dem Weg gehen“, sagt Meppelink.

Eine weitere Befürchtung seiner Frau sei gewesen, dass Weihnachten ohne die Kinder traurig werden würde. Die Meppelinks haben zwei erwachsene Söhne, die beide bereits eine eigene Familie haben. „Wir haben dieses Jahr zum ersten Mal zu zweit Weihnachten gefeiert“, sagt der 70-Jährige. „Es war ein wunderbar entspanntes Weihnachten ohne Druck oder Geschenkestress.“

Nur dass sie demnächst ihren 70. Geburtstag ohne Freunde feiern muss, betrübt Alide Meppelink etwas. Ansonsten sei das Experiment ein voller Erfolg. Die beiden gehen wandern oder schwingen sich auf die Fahrräder und genießen die Sonne auf den „alten Knochen“. In keinem Moment sei ihnen langweilig geworden. „Wir haben nichts zu tun, aber trotzdem vergeht die Zeit sehr schnell.“

Nicht zum Sparen hier, sondern wegen des Lebensgefühls

Auch Cala-Ratjada-Überwinterin Uschi Gerdau hat in ihrer Mietwohnung in Bremerhaven das Wasser abgeschaltet, die Elektrogeräte ausgestöpselt und das Thermostat heruntergedreht. Ihre Putzfrau schaut regelmäßig nach dem Rechten. „Alle in Deutschland beschweren sich über Stromnachzahlungen, ich dagegen bekomme stets etwas wieder, weil ich die Heizung so gut wie nie nutze“, sagt sie.

Ein angenehmer Nebeneffekt, der mit ihrer Überwinterer-Entscheidung aber nichts zu tun habe. Im Gegenteil: Von Geldsparen könne bei den doppelten Mietkosten nicht die Rede sein – immerhin muss die ehemalige selbstständige Altenpflegerin trotz Freundschaftspreisen in Cala Ratjada mehrere Hundert Euro im Monat für ihre einfache Ferienunterkunft zahlen, hinzu kommen die Flugkosten und eine private Auslandskrankenversicherung. Nein, es gehe nicht ums Sparen. „Ich bin hier, weil ich das Lebensgefühl mag“, sagt sie. „Gerade im Winter.“ Unabhängig von real existierenden oder herbeigesehnten Reisetrends.

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