Mallorca Zeitung

Mallorca Zeitung

Nou Llevant: Im Zukunftsviertel von Palma entsteht eine neue Deutschen-Hochburg auf Mallorca

Das Viertel verändert sich rasant. Doch während vor allem Ausländer die Wohnanlagen beziehen, ist vom geplanten Innovationsdistrikt noch wenig zu spüren. Ein Zwischenstand aus dem Stadtentwicklungsgebiet

53

Nou Llevant - Palmas Zukunftsviertel nimmt Gestalt an

Als Maria Antonia Colombás zur ersten Eigentümerversammlung erschien, staunte sie nicht schlecht. Zwar wurde das Treffen für die Bewohner des Apartmentgebäudes im Nou Llevant auf Spanisch abgehalten, alles Wichtige aber simultan ins Deutsche übersetzt, erzählt die Eigentümerin eines Drei-Zimmer-Apartments des Komplexes Jardins de Llevant. Die Versammlung habe so bis in den späten Abend gedauert. Sogar der Präsident der Eigentümergemeinschaft sei Bundesbürger. „Das ist mir nur recht“, meint Colombás. Vom Fahrrad im Hausflur bis zur Reklamation von Baumängeln: „Er kümmert sich gewissenhaft um alles.“

Wer ein paar Monate nicht mehr im Nou Llevant war – der „Neue Osten“ liegt zwischen Meerespromenade, Ringautobahn, Manacor-Straße und dem Viertel Foners – erkennt das Stadtentwicklungsgebiet kaum wieder. Mehrstöckige Quader mit Hunderten Apartments sind auf den lange brachliegenden Grundstücken in die Höhe gewachsen, dazwischen wird weiter eifrig gebaut. Zahlreiche der neuen Apartments sind inzwischen bezogen, und dass nicht wenige der neuen Nachbarn Deutsch sprechen, wird schon beim Besuch der im März 2022 eröffneten Lidl-Filiale klar. Es wäre nicht verwunderlich, wenn die nächste Aktualisierung der Einwohnerstatistik das Nou Llevant als das Viertel in Palma mit dem höchsten Deutschen-Anteil ausweisen sollte. Ein Quartier, das sich eigentlich mit Innovation und Kultur einen Namen machen sollte, ist jetzt erst einmal ein Anziehungspunkt für die alemanes.

Ein bisschen Avantgarde: der Komplex Xo Residences. | FOTO: BENDGENS

Schnell zur Meerespromenade

Besonders heimelig sei das Viertel bislang zwar noch nicht, aber „wir gehen über die Autobahnbrücke nach Portitxol, dann haben wir Ambiente“, berichtet eine Deutsche, die bereits vor anderthalb Jahren einzog und damit zu den ersten Anwohnern der neuen Gebäude gehörte. So wie viele Nachbarn ist sie mit ihrer Familie häufig, aber nicht permanent auf der Insel. Die Hausgemeinschaft in Mediterrània 1 – Bauträger Gestilar – sei bunt gemischt und international, von US-Amerikanern über Belgier bis Russen, aber 28 der 90 Wohnungen gehörten Deutschen. „Man kennt sich“, so die Bewohnerin, die von einer effizienten deutschsprachigen WhatsApp-Gruppe der Hausgemeinschaft berichtet. Darin gibt es Tipps bei Problemen mit der Klimaanlage, oder man überlässt sich gegenseitig den Parkplatz, wenn zum Beispiel die Eltern zu Besuch kommen.

„Die Deutschen machen einen sehr hohen Anteil unter den Käufern aus“, bestätigt ein Sprecher des Bauträgers Metrovacesa. Er verweist auf die Lage, „die Nähe zum Flughafen, zum Zentrum von Palma und nach Portitxol sowie eine gute Anbindung an das gesamte Verkehrsnetz der Insel“. Metrovacesa ist der Big Player im Nou Llevant. Auf die erste Bauphase von Jardins de Llevant (114 Apartments, alle verkauft) folgten die Phasen zwei und drei, diesmal im Auftrag eines Fonds, der die jetzt fertiggestellten Wohnungen vermieten will. Viertes Projekt ist Aire de Llevant, Baubeginn und Verkauf stehen aber noch aus. Statt von Nou Llevant ist auf einigen Immobilien-Portalen auch schon von „Nou Portitxol“ die Rede.

Blick in den Innenhof eines Wohnkomplexes. | FOTO: PURE FOTODESIGN

Es wird aufgewertet

Akzente in Sachen Luxus, Design und Energieeffizienz hat im Nou Llevant insbesondere der Bauträger Xojay mit seinem avantgardistischen, 84 Wohneineinheiten umfassenden Projekt Xo Residences gesetzt. Der Komplex, der mit dem European Property Award ausgezeichnet wurde, hat eine besonders internationale und wohlhabende Zielgruppe. Diese kann sich auch ein Penthouse gönnen, für das fünf Millionen Euro aufgerufen werden, wie es heißt. Daneben eine Baustelle des Bauträgers Avantespacia, zu lesen ist der deutsche Satz „Ihr Zuhause ist mehr als nur ein Wohnbau“.

Garage, Pool, Fitnessraum – das Plakat ist rein deutsch, stellt Ronald Bulss fest. Er lebt bereits seit sieben Jahren im Nou Llevant, in einem der schon früher errichteten Wohngebäude, und kann die Veränderungen auch beim täglichen Gassigehen beobachten. Hier ein neuer Kran, dort ein weiteres beleuchtetes Fenster am Abend, jetzt die Ankündigung für eine neue Drogerie-Filiale von Rossmann, direkt neben dem Supermarkt von Lidl. „So schnell kann man gar nicht schauen, wie sich das Viertel verändert.“ Es sind Veränderungen die ausstrahlen. Eine einfache Bar vor der Haustür sei vor Kurzem kernsaniert worden, ein kleiner Supermarkt um die Ecke habe dagegen zugemacht. „Meine Wohnung könnte ich wohl zum doppelten Preis verkaufen.“

Mit den Unterschieden bei Meerblick, Design und Bauqualität erklärt Hans Lenz, Präsident der auf internationale Immobilienkunden spezialisierten Maklervereinigung ABINI, die Preisspanne bei den Quadratmeterpreisen im privaten Markt. Bei den bisherigen Verkäufen in dem Viertel reiche sie von 3.500 bis 10.000 Euro. Die Zahl internationaler Käufer gibt Lenz mit nur rund 30 Prozent an.

Sehr viel deutlicher ist das Gefälle zwischen Nou Llevant und dem sozialen Brennpunkt weiter nördlich Richtung Manacor-Straße, dem Viertel Soledad Sud. An der Grenze beider Viertel sind neue Sozialwohnungen entstanden: Neben der früheren Textilfabrik Can Ribes wurden im Juni 43 Sozialwohnungen in vier Gebäuden fertiggestellt – die Marès-Fassaden sorgen für zusätzliche optische Kontraste.

Während die Bauträger vorgelegt haben, lassen die von der linken Vorgängerregierung vollmundig angekündigten Projekte auf sich warten. Dabei sollten gerade sie den Nou Llevant zu Palmas Zukunftsviertel machen, zu einem Distrikt, der Green Economy, Innovation und Kulturindustrie anzieht, ein bisschen so wie im Poblenou in Barcelona. „Es gibt nichts Schriftliches, nur Gespräche und Ankündigungen“, sagt José Juan Novás, Ex-Generaldirektor im balearischen Finanz- und Wirtschaftsministerium und geistiger Vater des neuen Distrikts.

Wo bleibt die Innovation?

Das Problem: Die frühere Linksregierung habe es verpasst, das Projekt zur Chefsache zu erklären, um so die Hürden in der öffentlichen Verwaltung zu nehmen. Wahlkampf, Machtwechsel in Palmas Rathaus, Anlaufzeit der neuen Politiker – die Zeit verstreicht weiter. Wobei die neue PP-Regierung nach eigenen Angaben nicht untätig war, wie Baudezernent Óscar Fidalgo gegenüber der MZ versichert (siehe Kasten).

Endlich Nägel mit Köpfen machen im Nou Llevant, so lautet die Ankündigung der neuen PP-Regierung in Palmas Rathaus. Freilich muss das noch den Praxistest bestehen. Man habe bereits das Konzept und die Statuten für eine neue Körperschaft vorliegen, die nach dem Vorbild der Tourismusstiftung Palma 365 alle Beteiligten an einen Tisch bringen und die nötige Durchschlagskraft zur Umsetzung des Innovationsdistrikts haben soll, versichert Baudezernent Óscar Fidalgo gegenüber der MZ. „Bislang gibt es nichts Schriftliches, wir müssen dieses Projekt endlich erden.“ Den Sitz werde man in Büroräumen im Parc de Pocoyo, neben dem Gesa-Gebäude, einrichten, so der PP-Politiker. Fidalgos Vision vom Nou Llevant: ein Innovationsdistrikt, der für das Palma des 21. Jahrhunderts steht – von der Architektur über das Verkehrskonzept bis hin zur Müllentsorgung – und international Talente anziehen soll. Besonderes Potenzial sehe er im Bereich der erneuerbaren Energien.

Der Plan für ein Museum für moderne und zeitgenössische Kunst im markanten Gesa-Gebäude, sei das Einzige, was man bislang vernommen habe, so Novás. „Es ist spät, aber nicht zu spät, wenn die Politik jetzt schnell in die Gänge kommt“, so der Ex-Politiker auch mit Verweis auf EU-Subventionen. Wenngleich es für die NextGeneration-Fonds zu spät sei, stünden noch andere, permanente EU-Töpfe bereit.

Ähnlich ist die Lage in der Balearen-Universität. Man warte auf Initiativen und Entscheidungen der Landesregierung, so Loren Carrasco, Vizerektorin und Innovationsverantwortliche. Sie verweist auf den Strategieplan „Campus Palma Tech“, den man im Frühjahr erstellt habe – ein 15-seitiges Strategiepapier, das Universität, öffentliche Verwaltung und Privatwirtschaft im Dienste der Innovation im Nou Llevant zusammenbringen soll. Die Mission: Uni-Wissen transferieren, gemeinsame Projekte anschieben, Start-ups den Weg ebnen. Im Gespräch sind ein Sitz für die Ingenieurswissenschaften, eine Forschungsgruppe für erneuerbare Energien oder ein Ableger des Master-Lehrgangs in Computeranimation (Ladat).

Das Konzept für die nötigen Räumlichkeiten ist da, aber nicht konkretisiert: Den privaten Bauträgen wird mehr Bauvolumen zugestanden, im Gegenzug müssen sie einen Teil ihrer Fläche der Stadt überlassen. Insgesamt mehr als 20.000 Quadratmeter dürften auf diese Weise für Innovationsprojekte zur Verfügung stehen, rechnet Initiator Novás zusammen. „Die Puzzleteile sind alle da, wir müssen sie nur zusammensetzen.“ Der Ex-Politiker wirbt zudem explizit um das Engagement deutscher Unternehmer im Nou Llevant.

Ein Platz für die Kultur

Deutlicher zu vernehmen ist die Zukunftsmusik der Kultur im Nou Llevant: Beschlossene Sache ist eine Zirkusschule im Komplex der früheren Textilfabrik Can Ribes. Und die Caixa de Música, der neue Sitz der Balearen-Sinfoniker, nimmt derzeit neben dem Sitz der Rafa-Nadal-Stiftung für benachteiligte Kinder Gestalt an. Wenn der Zeitplan hinhaut, werde man im zweiten Quartal 2024 einziehen können, so Sinfoniker-Chef Pablo Mielgo. Entscheidend für die Umsetzung seien die privaten Spenden, darunter zwei Millionen Euro des deutschen Logistikunternehmers Klaus-Michael Kühne. Spannend für die Anwohner: Das Projekt beinhaltet eine Außenleinwand und ein 360-Grad-Soundsystem, dank dem sie im benachbarten Park Konzerte kostenlos verfolgen können sollen.

Gespannt auf die Eröffnung des Sitzes der Sinfoniker nebenan und die weitere Belebung des Viertels ist denn auch Anwohner Marin Koychev. Mit Frau und Kind zog der Arzt im April dieses Jahres von Hamburg nach Mallorca, als er eine Stelle im Deutschen Facharztzentrum Peguera antrat. Man habe schnell Anschluss im Nou Llevant gefunden, zogen doch gleichzeitig mit ihnen weitere junge Familien ein. „Man kommt leicht in Kontakt, man passt zum Beispiel mal gegenseitig auf die Kinder auf.“ Auch der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie sowie seine Familie ließen sich von Strandnähe und Anbindung überzeugen: „Wir fühlen uns wohl.“

Gleichzeitig sei das Nou Llevant mit seinen Baustellen noch ein gewisses Provisorium, es fehlten Geschäfte und Cafés. Und dass der soziale Brennpunkt im Norden nicht weit sei, zeige sich auch an der wiederholten Vermüllung der Grünflächen. Vor der Tür herrscht Kontrastprogramm: Wo am Abend junge Leute mit quietschenden Reifen einen Kavalierstart an der Ampel hinlegen, kommen tagsüber Anzugträger zur Besichtigung neuer Wohnungen zwischen den Baukränen. Die verbliebenen Brachflächen harren derweil noch der künftigen Nutzung.

Artikel teilen

stats