Die Zeiten, in denen man Sexspielzeug mit Schamröte im Gesicht im Hinterzimmer gekauft und danach im Kleiderschrank versteckt hat, sind lange vorbei. Vom Schmuddel-Image befreit, werden die Erotikartikel mittlerweile in durchgestylten Geschäften ebenso feilgeboten wie bei Haus­besuchen in der eigenen Wohnung.

Oder aber in einer ganz normalen Bar. Mittwochabend, 22. ­Februar, im „Twins" im Santa-Catalina-Viertel. „Wer möchte gerne Erdbeer­geschmack probieren?" „Ich", ertönt es aus dem Publikum. María José Mari, eine von zwei anwesenden Vertreterinnen des Erotik-Anbieters Kleido, gibt der jungen Frau einen Tropfen Erdbeer-Gleitgel auf die Handfläche. „Wow, fühlt sich das gut an. Und lecker ist es auch noch", befindet die junge Frau.

María José Mari ist eine von 180 Beraterinnen, die für das seit 2007 in ganz Spanien tätige Unternehmen Treffen organisieren, bei denen Sex-Spielzeuge, erotischer Körperschmuck und Kosmetik verkauft werden. Etwa 30 der über 100 Artikel, die man im Onlineshop von Kleido kaufen kann, stellt die 27-Jährige bei den reuniones sexy vor. Jedes Produkt wird, so weit das eben geht, zum Anfassen und Ausprobieren reihum gegeben. Es wird viel gelacht.

Essbare Massageöle mit Mangogeschmack, flüssige Körperschokolade, Augenbinden und Streichel­federn machen den Anfang. Die erste Frau der Runde kitzelt sich selbst mit dem plumerito im Gesicht. Gelächter. Die Teilnehmer sind zwischen 18 und 48 Jahre alt, die Stimmung ist gut und kein bisschen verklemmt. Und das obwohl sich die drei Freundes-Grüppchen heute zum ersten Mal sehen. Minderjährige sind zu den Verkaufsabenden nicht zugelassen. Und Männer trauen sich hier nur wenige hin.

Auch asesora María José Mari grinst, während sie die Produkte vorstellt. Nach den eher harmloseren zückt sie zwei verschiedene Exemplare sogenannter Liebeskugeln (bolas chinas): „Die Einzelkugel ist für Anfängerinnen gedacht, das größere Kugelpaar für ältere Frauen, die vielleicht schon Kinder geboren haben." In den bolas befinden sich entweder batteriebetriebene Vibratoren oder jeweils eine weitere Kugel. Während des Gehens beispielsweise verbreitet deren Schwingung eine als angenehm empfundene Vibration.

Während María José Mari die einzelnen Artikel vorstellt, zücken die Gäste immer wieder die ausliegenden Preislisten und merken sich die Namen ihrer Favoriten. „Pulpito Wally" heißt das nächste Objekt – ein Mini­vibrator in Kraken­form. Ein anderer Vibrator sieht aus wie eine Plastikorchidee. „Für die Blume brauche ich eine Freiwillige", sagt María José Mari. Sie holt einen Stuhl und bittet die einzige Frau, die sofort die Hand gehoben hat, sich auf den darauf liegenden Orchideen-­Vibrator zu setzen. Es ist die 48-Jährige. Sie muss so sehr lachen, dass sie sich kaum auf dem Stuhl halten kann. „Nein, jetzt mal im Ernst, es war gut", sagt sie, als sie sich wieder beruhigt hat.

Auch die immerhin zwei anwesenden Männer sollen nicht zu kurz kommen. Die Beraterin bittet einen von ihnen, ihr als „Penis­ersatz" drei Finger entgegenzustrecken. Dann steckt sie ihm einen vibrierenden lilafarbenen Penisring auf, der die Erektion verlängern soll. Er ist peinlich berührt, sagt nichts. „Scheint ihm zu gefallen", kommentiert María José Mari grinsend.

Dann zaubert sie ein Produkt hervor, das aussieht wie der überdimensionale Henkel einer Tasse: „Mit diesem ´Rude Boy´ hier kann der P-Punkt stimuliert werden." „Welcher Punkt bitte? Hast du punto b oder p gesagt? Ich kenne nur den G-Punkt", fragt eine Teilnehmerin. Zwischenfragen sind jederzeit möglich. „Den P-Punkt kennen hauptsächlich Schwule und Analsex-Praktizierende", erklärt María José Mari.

Für die Vertreterinnen gibt es keine dummen Fragen. „Einige kommen ganz ohne Erfahrung hierher. Nicht zuletzt weil das Thema Sex für sie bisher tabu war", sagt Sacramento Egea, die Kollegin von María José Mari, die seit 2007 nebenberuflich als Koordinatorin des Direktverkaufs der Firma arbeitet. Sie werde tatsächlich häufig von Kunden gefragt, was diese tun müssen, um einen Orgasmus zu haben. „Wir sind keine Sexologen, aber wir wissen, wie man die Produkte verwendet und durch sie sein Sexleben verbessern kann."

Jedes Mal aufs Neue wird Sacramento Egea auch von einigen Reaktionen der Teilnehmer überrascht. Bei einer privaten

reunión habe sie einmal ein Mädchen nach einem Kondom und einem Produkt gefragt, das zuvor reihum ging. Sie wolle es gerne direkt mit ihrem Freund auf der Toilette ausprobieren. Auch die Frage einer über 50-Jährigen, ob sie nicht auch größere Dildos verkaufe, habe sie mit offenem Mund dastehen lassen. (Der längste Dildo der Firma ist 16,5 Zentimeter lang.)

Auch die beiden heute anwesenden Mittvierziger fallen durch ihre kreischenden Reaktionen immer wieder auf. Als María José Mari das Highlight des Abends, den Vibrator „Orgasmo 2.0", der laut der asesora alles hat und bei dem nur noch die Musik fehlt, rundum gehen lässt, wollen sie ihn gar nicht wieder hergeben. 46,95 Euro kostet das Vibratorwunder. „Ich hätte gedacht, der wäre mindestens doppelt so teuer", staunt eine Teilnehmerin. Bis zu 149,95 Euro kosten die Produkte der Firma. Dafür, dass die Gäste an den kostenlosen Treffen teilnehmen, erwarten die Beraterinnen von ihnen, dass sie mindestens ein Teil – und wenn es das billigste für 3,95 Euro ist – kaufen. Nur gut, dass unter den Mitarbeitern der Firma auch Männer sind: „Männer kaufen nämlich ganz selten bei Frauen", so Sacramento Egea.

Im E-Paper sowie in der Printausgabe vom 1. März (Nummer 617) lesen Sie außerdem:

- Schöne Dinge:Frühlingsmode

- Wasserwelten: Neue Hanse 445

- Aktiv: Shiatsu in santa Catalina

- Kindermenü: Demo im Tutu

- Abschlag: Körper als Handicap

- Wegweiser: Von Sóller nach deià

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