Eigentlich hat sich nicht viel am Ballermann verändert. Die musikalischen Inhalte sind seit knapp 20 Jahren die gleichen: Saufen und Abschleppen. Aber seit der letzten Saison mischt ein neuer Typus Sänger die überschaubare Musik-Gemeinde auf: der Influencer. Wird er sich am Ballermann durchsetzen?

Julian Benz ist ein Sänger, dem man nicht vorwerfen kann, sich nicht zu bemühen. Seit 2017 steht er regelmäßig auf der Bühne des Megaparks, jedes Jahr erscheinen neue Songs von ihm. Doch die Gage reicht kaum zum Leben. Gerade einmal 800 Euro bekommt er pro Auftritt. Nach Abzügen wie Flug, Manager, Booker und Steuer bleibt davon nicht allzu viel übrig. Benz’ zusätzliches Problem: Seine Songs sind jenseits der Playa de Palma kaum bekannt.

Bei den Hits führt Mickie Krause 20:0 gegen Knossi

Auch die Lieder von Malle Kalle oder Marc Eggers sind nicht unbedingt Welthits, aber bei der Gage spielen die Influencer, Tiktoker, Youtuber oder Twitcher längst in einer anderen Dimension als der herkömmliche Ballermann-Sänger. Malle Kalle – obwohl erst seit diesem Jahr dabei – bekommt das Zehnfache von Julian Benz, Marc Eggers knapp das Zwanzigfache und Knossi fast das Dreißigfache. Damit erhält Knossi, der durch lustige Twitch-Livestreams bekannt wurde, mehr Geld als Mickie Krause, der sich immerhin seit 25 Jahren auf der Bühne abmüht. Krause hat knapp 20 eigene Hits im Repertoire, Knossi keinen. Aber das Nachsingen alter Ballermann-Gassenhauer bringt den Influencern trotzdem jede Menge Jubel.

Knossi, Eggers und Malle Kalle sind eine neue Form des Quereinsteigers am Ballermann. War vor ihnen die Teilnahme an einer Trash-TV-Show der Garant für eine Ballermann-Karriere, ist es nun das Netz. Sie sind beliebte Influencer mit Hunderttausenden, teilweise Millionen von Followern. Und bei diesen Voraussetzungen ist es eigentlich fast egal, was für ein Repertoire sie auf der Bühne präsentieren. Sie ziehen ein neues Zielpublikum an die Playa, eine neue Generation an jungen Party-People.

Die Ballermann-Hit-Produzenten Oliver deVille (li.) und Mike Röttgens (re.). In der Mitte Veranstalter Markus Krampe. Ingo Wohlfeil

Digitale Reichweite und ein junges Publikum

„Wenn ein Influencer singen kann, dann ist die Chance sehr groß, dass er der neue Ballermann-Star wird“, sagt Daniel Weiskopf von der Plattenfirma Madizin Music/Believe. Das neue Label konzentriert sich besonders auf Schlager und Party-Musik. „Die Vorteile sind die digitale Reichweite und ein junges Publikum. Die Influencer sind die neuen ‚Bravo‘-Stars von einst. Früher war es wichtig, in dem Jugendmagazin stattzufinden, heute ist es wichtig, Reichweite auf Tiktok zu haben.“

Während der Bierkönig auf diesen Trend noch nicht aufgesprungen ist, weiß besonders der Megapark dieses Internet-Phänomen zu nutzen. Der Partykomplex ruft mittlerweile Eintrittspreise von bis zu 40 Euro auf und wird damit in diesem Jahr den höchsten Umsatz aller Zeiten generieren.

Spärliches Hit-Repertoire

„Natürlich ist Reichweite sehr wichtig heutzutage“, sagt der Ballermann-Produzent Mike Rötgens, „allerdings, und das sage ich auch immer wieder allen Musikern: Der wahre Star ist immer noch der Hit. Nicht der Künstler. Ich bin mir sicher, dass nur ganz wenige auf Anhieb sagen können, wer ‚Layla‘ oder ‚Johnny Däpp‘ gesungen hat.“ Vorsichtig ist der Musikmacher auch, was die Bühnenpräsenz der neuen Stars angeht. „Wenn Influencer mit ihrem spärlichen Hit-Repertoire auf großen Festivals auftreten, kann das ganz schnell in die Hose gehen.“

Oliver deVille, der zweite große Ballermann-Produzent neben Rötgens, betont dennoch die Bedeutung eines kontinuierlichen Social-Media-Auftritts. „Momentan funktionieren nur die Ballermann-Stars, die auch auf Tiktok einigermaßen funktionieren. Einige, besonders ältere Musiker, vernachlässigen das, und deshalb läuft es auch nicht mehr so super.“

Der Musikproduzent sieht aber ein ganz anderes Problem mit den Social-Media-Stars: „Influencer verdienen ihr Geld ganz woanders, sind also nicht auf die Musik angewiesen. Von daher bezweifle ich bei einigen auch den echten Willen, sich in diesem Genre zu behaupten!“

Der Influencer nur eine kurze, dem Zeitgeist geschuldete Erscheinung?

Für Marc Eggers zählt nur der Spaßfaktor

Vielleicht! Youtuber Marc Eggers ist mittlerweile Inhaber von drei Firmen, die nichts mit Musik zu tun haben. Für ihn zählt eigentlich auf der Megapark-Bühne nur der Spaßfaktor: „Wenn es keine Laune mehr macht, höre ich wieder auf.“ Klingt nicht unbedingt nach Kontinuität. Andererseits: Das Closing des Megapark Ende Oktober wird zum zweiten Mal in Folge exklusiv auf Knossis Twitch- Kanal übertragen. Im vergangenen Jahr schalteten Hunderttausende ein.

Und davon profitieren dann auch die konventionellen Künstler wie Julian Benz. Sie werden dadurch einer Zielgruppe bekannt, auf die ganz besonders der Megapark setzt. Daniel Weiskopf: „Durch das Booking der Influencer ist auch das Ballermann-Publikum in den vergangenen ein bis zwei Jahren eher jünger geworden.“

Dennoch wird es sich der Megapark nicht leisten können, nur noch auf die Social-Media-Stars zu setzen, meint Produzent Mike Rötgen: „Am Ende werden wohl Influencer und Ballermänner Seit’ an Seit’ das Programm bestreiten. Ganz ohne altgediente Recken wird es nicht gehen.“