„Täglich fragte ich mich: Werde ich heute überleben? Er gab sich selten damit zufrieden, mich einfach nur zu schlagen. Inzwischen war er dazu übergegangen, Handys und Stühle auf mir zu zertrümmern, bis ich Blut spuckte. Er beschimpfte mich aufs Wüsteste und drohte damit, eine andere, eine ´Bessere als mich´ zu finden und mir dann Fotos von ihnen zusammen zu schicken."

Was wie die Handlung eines Horrorfilms klingt, ist die wahre Geschichte einer 17-Jährigen aus Palma, die unerkannt bleiben möchte. Genauso wie die anderen beiden jungen Frauen, die der MZ-Schwesterzeitung „Diario de Mallorca" von ihren Misshandlungen erzählten. Schikanen, Beleidigungen, Kontrolle über ihr Telefon und in den sozialen Netzwerken, körperliche Übergriffe bis hin zu Androhung von Gewalt, wenn sie sich weigerten, mit ihren Freunden zu schlafen - das gehörte für die drei Mädchen zum Alltag. Gleichzeitig entwickelten alle drei jungen Frauen eine starke Abhängigkeit von ihren Freunden.

Gewalt gegen Frauen wird in Spanien viel stärker thematisiert als in Deutschland. Allein auf Mallorca starben 2016 bislang sechs Frauen an den Misshandlungen durch ihre aktuellen oder ehemaligen Partner, spanien­weit waren es 40 ­Frauen. Im Vergleich zu bis vor einigen Jahren sind die Zahlen leicht rückläufig, Grund zur Entwarnung aber gibt es nicht. Die Gewalt gegen Frauen hat sich verfestigt - und reproduziert sich auch unter den Jüngeren. „Wir müssen gerade die jungen Frauen schützen und dafür sorgen, dass sie gleichberechtigte Beziehungen leben lernen", sagt Blanca Hernández, Beauftragte der Zentralregierung für Gender-Gewalt. Erst wenn die jungen Frauen lernten, zwischen Zuneigung und Kontrolle zu unterscheiden, könnten sie sich selbst schützen.

Die Stiftung IReS, eine private Organisation in Palma, die 1969 gegründet wurde, bietet jungen ­Frauen, die Opfer von Gewalt wurden, Hilfe an. Auch die drei Frauen, die von sich erzählen, sind inzwischen in der Obhut des Psychologischen Dienstes des IReS.

Joana Llobera, die Leiterin, erzählt von dem Programm, das den jungen Frauen möglichst schnell aus der akuten Notlage helfen und langfristig ihr Selbstwertgefühl stärken soll: Zunächst haben die jungen Frauen ein Gespräch bei einer Psychologin, später kommen zehn Gruppensitzungen hinzu, weiter gibt es Workshops, um das Selbstwertgefühl der Mädchen zu stärken. Die jungen Frauen wählen selbst, was sie von diesen Angeboten wahrnehmen wollen.

„Wir möchten vor allem, dass die Frauen lernen, den Teufelskreis der Gewalt zu durchbrechen und die Angst unter Kontrolle zu bringen. Sie sollen das Gefühl von Schuld ablegen, um sich aus der Abhängigkeit befreien zu können. Die Arbeit in der Gruppe hilft zusätzlich dabei, dass Freundschaften untereinander entstehen - auch das gibt Kraft und Halt", sagt Llobera. Aktuell würden zehn Frauen betreut, der Bedarf aber sei viel größer.

Bild der duldsamen Frau

Die 17-Jährige kannte bisher nur Gewalt in einer Beziehung. Beide Partnerschaften, die sie hatte, waren davon geprägt. Sie wuchs bei ihrer Großmutter auf. Diese vermittelte ihr das Bild der duldsamen Frau, die still erträgt. Mit 13 Jahren und dem ersten Freund fing alles an: Beleidigungen, Eifersuchts­szenen, dann physische Gewalt.

„Der zweite Freund war noch schlimmer", erzählt die junge Frau. Er bedrohte sie mit einem Messer und drohte damit, die Wohnung in Brand zu setzen. „Manchmal sah ich aus wie ein Dalmatiner mit all den dunklen Flecken von seinen Schlägen." Jemand aus ihrer Familie überzeugte sie eines Tages davon, ihn anzuzeigen. Aber die Anziehung, wenn auch negativ, überwog, und sie kehrte zu ihm zurück. Der Kreislauf der Gewalt ging weiter, bis irgendwann ein Lehrer sie zu einem Sozialarbeiter schickte.

„Ich war wütend, ich wollte keine Hilfe", sagt sie. Aber am Ende habe es sie gerettet. Die Strafe für den Gewalttäter fiel milde aus: einen Monat Sozialdienst. Nun lebt die junge Frau in ständiger Angst, ihn zu treffen: „Ich habe immer ein Telefon mit einer Notfallnummer bei mir." Zugleich hat sie zaghaft Hoffnung für ihre Zukunft geschöpft: In der Schule laufe es besser, nachmittags jobbe sie, um etwas Geld für ihren Führerschein beiseitezu­legen. Es sind kleine Schritte in eine selbstbestimmte Zukunft.

„Niemand schritt ein"

„Es fing alles gut an", erzählt eine andere Frau, die Ähnliches erlebte. Die Geschichte der heute 27-Jährigen liegt zehn Jahre zurück. „Ich wog damals 15 Kilogramm mehr als heute, die Freunde meines damaligen Freundes beleidigten mich, bis auch mein Freund mich zu dick fand. Er schämte sich, mit mir gesehen zu werden, nannte mich ´Dicke´. Mein Selbstwertgefühl rutschte in den Keller", schildert sie. Irgendwann habe auch die körperliche Gewalt angefangen. Er habe sie immer wieder geschlagen. In der Folge der Misshandlungen habe sie sich immer weiter abgekapselt, sei vereinsamt. Auch in der Schule wurde sie schlechter. Sogar vor der eigenen Familie habe ihr Freund sie schlecht behandelt. „Aber niemand schritt ein."

Ganz sei sie noch nicht „geheilt", sagt die Frau heute, aber seitdem sie psychologisch betreut würde, gehe es ihr besser. „Ich fange langsam an, mich wieder selbst wertzuschätzen, jahrelang wollte ich am liebsten tot sein."

Kein Bikini am Strand

Die dritte Frau, die ihre Geschichte erzählt, ist noch heute mit ihrem Freund zusammen. Die 18-Jährige lernte ihn vor vier Jahren kennen. Anfangs sei alles wunderschön gewesen, doch irgendwann habe auch er angefangen, sie zu kontrollieren. „Ich sollte mich nicht mehr mit anderen Freunden treffen, irgendwann verbot er mir sogar, meine Freundinnen oder meine Familie zu sehen." Freunde auf der Straße mit den zwei Küsschen links und rechts zu begrüßen war ebenfalls tabu. Im Sommer durfte sie keinen Bikini tragen, „ich war kein einziges Mal am Strand", berichtet sie.

Sein Verhalten sei roh. Kein netter Begrüßungskuss, keine zärtliche Umarmung. Stattdessen überwacht er ihr Handy und beschimpft sie und ihre Freundinnen als Hure und Flittchen. Das Ganze ging einmal so weit, dass er ihr an die Gurgel ging, „vor anderen Leuten", erzählt die 18-Jährige. Ein Familienmitglied zeigte ihn schließlich an. „Ich hätte das nicht geschafft", gibt sie zu. Zu eng sei die emotionale Bindung. „Ich weiß, gesund ist diese Beziehung nicht."