Manche vergleichen Miquel Brunet mit dem Barockmusiker François Couperin, andere mit dem Jazzer Miles Davis. Der Franzose hat 1724 eine Reihe von Kammerkonzerten komponiert, denen er den Namen „Les goûts réunis (Die vereinten Geschmäcker) gab, und die italienischen und französischen Barock vereinten. Und Miles Davis publizierte 1970 „Bitches Brew“ (Hurengebräu), die erste JazzRock-Platte der Musikgeschichte. Miquel Brunet, der sich als Produzent mit mehr als 300 Kunden auseinandergesetzt hat, sucht immer wieder auf Umwegen nach den Wurzeln.

Nun beweist der 54-jährige Mallorquiner mit einer Doppel-CD plus DVD, wie weit bei ihm auch ohne Kunden Talent und Neugier reichen: „Ferments – El mapa sensitiu d‘una illa“ (Fermente, die sinnliche Landkarte einer Insel) heißt das experimentelle Werk. Entstanden ist es an drei Tagen in seinem Studio bei Bunyola, mit 16 Musikern, zwei T ä n z e r n u n d einer Köchin. Das Ergebnis sind mehr als zwei Stunden Folk-Jazz, und ein einstündiger Film, auf dem die Beteiligten über Musik auf Mallorca sprechen, dazwischen sind Landschafts- und Studioaufnahmen zu sehen.

„Es gab keinerlei Vorgaben, weder Partituren noch Drehbuch“, sagt Brunet. Als einzige Inspiration diente das Essen von Maria Solivellas, einer wichtigen Figur in Mallorcas Gastronomieszene. Sie bekochte zwischen dem 20. und 22. November 2014 den 57-jährigen Letten Uģis Prauliņš ebenso wie die 16-jährige Júlia Colom aus Valldemossa oder die 76-jährige Sebastiana Quetglas Estarellas aus Bunyola. Auch die glosadors Mateu Xurí und Maribel Servera oder das Tänzerpaar Tomeu Gomila und Leticia Hoz waren „im Studio eingesperrt“, wie Brunet sagt. Die Spurensuche sollte zum Klang der Insel führen.

Wie hört sich Mallorca an?

Wie hört sich Mallorca an? So lautete die Ausgangsfrage. Vermischt wurden Folk- und Jazzmusiker verschiedener Generationen, Prauliņš war der Einzige, der nicht auf der Insel lebt. „Wir mussten mit verbundenen Augen etwas kosten und danach Musik machen“, erzählt Sebastiana Quetglas lachend, „ich habe immer eine Olive bekommen.“ Die Ölfrucht ist für die Mallorquinerin tatsächlich so etwas wie die Essenz ihres Daseins. Aufgewachsen auf dem Landgut Son Roca, wo ihre Eltern als Arbeiter lebten, verbrachte sie bis zu ihrer Hochzeit den Alltag mit Ernten, Säen, Dreschen oder Mähen, „immer an der Seite meines Vaters, und immer singend.“

Ihre tonades und romances sind Kleinode, die sie schon diversen Folkloregruppen der Insel weitergereicht hat, „viele gehören zur Olivenernte, bei der wir jedes Jahr im Landgut Raixa mithalfen.“ Für sie war die Studioarbeit „eine „Warum muss alles, was als wertvoll erkannt wird, im Museum enden, wo es niemand mehr anfassen kann?“

Auch Biel Majoral, 65-jähriger Musiker und Katalanischprofessor aus Algaida, war dabei. Sein A-cappella-Gesang, der zunächst nichts anderes als „Bones sopes, sopes bones“ (Gute Suppen, gute Suppen) wiedergibt, ist das Erste, was auf der CD zu hören ist. Naheliegend ist hier die Inspirationsquelle: Maria Solivellas hatte das typische Arme-Leute-Essen serviert: Gemüsesuppe mit dünnen, gerösteten Brotscheiben darin. „Es gibt wohl nichts, das uns besser beschreibt als sopes mallorquines“, sagt sie. Nach dem Einsatz von Biel Majoral steigen Bläser, Flügel (Miquel Brunet) und Trommeln ein und schon ist schmissiger, freudiger Jazz zu hören.

Harmonie zwischen modernen und traditionellen Instrumenten

„Die Arbeit war wunderbar“, erinnert sich Brunet, „wir haben ausgezeichnete junge Jazzmusiker auf der Insel.“ D a n n i s t e i n E-Piano zu hören, mit Rap-artigem Sprechgesang, auf Katalanisch. Es sind Texte v o n M a t e u X u r í , Mallorcas berühmtestem Autor der gloses, kurzer, improvisierter Spottgesänge. Auch die jugendliche Sängerin Júlia Colom, deren großes Talent inselweit bekannt ist, genoss das Treffen. „Es ging um den freien Ausdruck und um die Harmonie zwischen modernen und traditionellen Instrumenten,“ erzählt sie. Mit acht Jahren brachte ihr der Großvater den Sibyllengesang bei, jenes mittelalterliche Lied, das zum Welterbe der Unesco gehört und das der ganze Stolz der Insulaner ist. Auf der CD wagt sie es, die althergebrachte Melodie nach und nach improvisierend zu verfremden und sie schließlich zu verjazzen.

Ein Höhepunkt der CD, wie Uģis Prauliņš fi ndet. „Warum muss alles, was als wertvoll erkannt wird, im Museum enden, wo es niemand mehr anfassen kann?“ Brunets Experiment ist für ihn, dem Mallorcas Folk zunächst fremd war, bestes Beispiel der „Ethnogenese“. Will heißen: Hier spüre man die Entstehung des mallorquinischen Volkes, sagt er. Der lettische Komponist und Musiker hört arabische, phönizische, griechische und christliche Einfl üsse und verteidigt deren Verarbeitung nach heutigen Standards. „Wenn wir unsere Erbe nicht beleben, endet es hinter Vitrinen.“